Berlin. Das Mittel Truvada kann einer HIV-Infektion vorbeugen, doch in Deutschland kostet es 820 Euro pro Monat

Lange Zeit war Frederics Sexualleben von Sorge begleitet. „Als schwuler Mann, der in den 90ern aufgewachsen ist, war HIV für mich immer ein Thema“, sagt der Anfang 30-jährige aus Berlin. Und damit auch die Frage, wie man einer Infektion mit dem Aids-Erreger vorbeugen kann. Doch mit Kondomen hat er so seine Probleme. Deswegen hat Frederic sich für die sogenannte Prä-Expositionsprophylaxe (PrEP) mit dem Medikament Truvada entschieden. Die Tabletten werden täglich genommen, um einer HIV-Infektion vorzubeugen. Ihre Inhaltsstoffe Tenofovir und Emtricitabin verhindern, dass HI-Viren ihr Erbgut in Körperzellen einschleusen. Studien zufolge kann Truvada das Risiko einer HIV-Infektion um knapp 90 Prozent senken. Das Pro­blem: Eine Monatsration kostet in Deutschland 820 Euro.

Risikogruppen können sich das Mittel kaum leisten

Truvada ist schon länger zur Behandlung von HIV zugelassen und wird in diesen Fällen auch von den Krankenkassen bezahlt. Doch die Kosten für die Prophylaxe übernehmen sie nicht. Eine Belastung für Nutzer wie Frederic. Als schwuler Mann ist er nach Angaben des Robert Koch-Instituts (RKI) besonders gefährdet, sich zu infizieren. Das Institut schätzt, dass sich 2016 in Deutschland rund 3200 Menschen neu mit HIV infiziert haben. 2200 davon seien aus der MSM-Community – also Männer, die Sex mit Männern haben. Genau diese Risikogruppe könnte von Truvada profitieren.

Für Jens Ahrens, fachlicher Leiter für Prävention bei der Berliner Aidshilfe, ist die gegenwärtige Situation in Deutschland unhaltbar: „Wenn man Prävention betreiben will, dann muss man das Medikament auf breiter Ebene zur Verfügung stellen.“ Momentan werde die PrEP kaum genutzt. Das bestätigt Ingo Ochlast, Allgemeinmediziner mit einer HIV-Schwerpunkt-Praxis in Berlin: „Die Verordnung des Medikaments Truvada in der Prävention ist schlichtweg nicht existent. Gerade die Leute, die das Medikament recht dringend brauchen, können es sich nicht leisten.“

Wollen sie trotzdem die Prophylaxe, bleibt ihnen die Möglichkeit, ein Truvada-Generikum über Großbritannien aus Indien zu bestellen. Ein Prozess, den Ochlast als „semi-legal“ beschreibt. Dabei fehlt allerdings – im Gegensatz zur Verschreibung in Deutschland – die ärztliche Auflage, sich regelmäßig zur Kontrolle untersuchen zu lassen. Diese wichtige Untersuchung ist dann freiwillig.

Frederic bestellt regelmäßig über eine indische Onlineapotheke das Generikum Tenivir-EM nach Großbritannien. Es wirkt wie Truvada und kostet nur einen Bruchteil. Zugleich geht er alle drei Monate zur medizinischen Kon­trolle. Dass man sich einfacher und günstiger mit Kondomen schützen könnte, sieht er anders: „Kondome verlangen im Eifer des Gefechts eine rationale Entscheidung. Genau an dem Punkt, an dem man an alles denken will außer an Krankheit und Angst.“

Auch für den Mediziner Keikawus Arastéh, Chefarzt der Inneren Medizin, Infektiologie und Gastroenterologie am Vivantes Auguste-Viktoria-Klinikum in Berlin, hat es keinen Sinn, auf Kondome zu verweisen, wenn ein Patient an der Prophylaxe interessiert ist. „Der Mensch ist halt so, wie er ist und keine Wunschvorstellung“, sagt Arastéh. Hinzu komme die Selbstbestimmung über den Schutz – für Arastéh einer der wichtigsten Punkte: „Der passive Partner ist immer darauf angewiesen, dass der aktive das mit dem Kondom richtig hinkriegt.“ Mit Tenofovir im Körper ist der Schutz vor HIV nicht mehr von einem anderen Menschen abhängig.

Die Gefahr der Infektion geht bei vielen Betroffenen mit einer lebensumspannenden Angst einher. Seitdem die weg ist, hat sich bei Frederic mehr als nur das Sexleben verändert. „Ich bin viel sicherer im Alltag und mache mir nicht ständig Gedanken darüber, ob ich gerade frisch infiziert bin“, sagt er. Insgesamt ist die Prophylaxe nur ein Teil der Strategie gegen HIV. Die Verwendung von Kondomen gehört ebenso dazu wie das sogenannte „Treatment as Prevention“ (Behandlung als Prävention). Dabei geht es um die antivirale Therapie HIV-positiver Patienten, so dass die Anzahl der HI-Viren in ihrem Blut unter die Nachweisgrenze sinkt. Zusammen könnten diese drei Strategien die Ausbreitung von HIV wirksam bekämpfen, sagt Arastéh. Doch man müsse Wege finden, die Prophylaxe-Pille bezahlbar zu machen.

Andere Länder haben solche Modelle. Entweder kostet Truvada weniger, es gibt zugelassene Generika oder die Kosten werden ganz oder teilweise von Krankenkassen übernommen. Doch in Deutschland ist die Situation verzwickt. Erst im November entschied der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA), er sei nicht verantwortlich für die Frage, ob Truvada für Präventionszwecke von den Krankenkassen bezahlt werden muss. Das Gremium entscheidet darüber, welche Arzneimittel die gesetzlichen Krankenkassen für Impfungen und Therapien bezahlen muss. Der G-BA-Vorsitzende Josef Hecken erklärte, präventiv würden nur Schutzimpfungen oder Vorsorgeleistungen bezahlt. „Bei Truvada handelt es sich zweifellos nicht um einen Impfstoff. [...] Die Preisgestaltung liegt im Verantwortungsbereich des pharmazeutischen Unternehmers.“

Truvada-Hersteller Gilead sieht die Verantwortung beim G-BA: „Sollten entsprechende Projekte zur Implementierung der PrEP in einem rechtssicheren Rahmen geplant sein, ist Gilead offen für Diskussionen.“ Das Bundesgesundheitsministerium sieht keinen Handlungsbedarf – ebenso wenig wie die Krankenkassen. Für die fällt das Thema in die Eigenverantwortung der Versicherten – ebenso wie die Verwendung von Kondomen.