Berlin. Die Verbraucherzentralen starten ein neues Online-Portal, das Fragen zu Nahrungsergänzungsmitteln beantworten soll

Als Brausetablette, als Pille oder Pulver – Nahrungsergänzungsmittel sind in Drogerien und Apotheken allgegenwärtig. Rund 170 Millionen Packungen werden jährlich gekauft, 35 Prozent der Deutschen schlucken sie regelmäßig. Doch viele unterschätzen offenbar die gesundheitlichen Gefahren, die von den Mitteln ausgehen, wenn sie ohne Rücksprache mit einem Arzt eingenommen werden.

Zum Start der Grünen Woche in Berlin stellten die Verbraucherzentralen am Mittwoch ihr neues Internetportal „Klartext Nahrungsergänzung“ vor. Es ist ab sofort freigeschaltet und soll Verbraucher über Risiken von Nahrungsergänzungsmitteln aufklären sowie die Möglichkeit zu Fragen und Beschwerden geben, wie Klaus Müller, Vorstand der Verbraucherzentrale Bundesverbandes (vzbv) erklärte.

Obwohl Vitaminmangel in Deutschland eine Seltenheit ist, wächst der Markt für die Pillen rasant. „Der Gesamtumsatz von Nahrungsergänzungsmitteln lag allein im Jahr 2015 bei 1,1 Milliarden Euro – ohne Internet- und Versandhandel“, so Müller. Doch statt die Gesundheit zu unterstützen, wie rund die Hälfte der deutschen Verbraucher laut einer Forsa-Umfrage hofft, könnten die Produkte ihr sogar schaden, so der Verbraucherschützer. Oftmals würden mehrere Nahrungsergänzungsmittel gleichzeitig eingenommen oder mit anderen Nährstoffen und Medikamenten kombiniert. Überdosierungen und Wechselwirkungen seien die Folge – hier soll das neue Portal (www.verbraucherzentrale.nrw/klartext-nahrungsergaenzung) vorbeugen. Ernährungsexperten sollen Fragen von Verbrauchern hier direkt beantworten. Unter dem Punkt „Risiken“ können sich Nutzer über sinnvolle Tagesmengen und mögliche Probleme bei der Kombination mit Arzneimitteln informieren. Von welchen Mitteln Verbraucher grundsätzlich die Finger lassen sollten, wird unter der Kategorie „Schadstoffe“ zusammengefasst, Links zu internationalen Schnellwarnsystemen führen Nutzer zu einem Überblick über gefährliche Produkte und deren Ursprung. Einen Anspruch auf Vollständigkeit erheben die Verbraucherschützer nicht. Die Regierung müsse dringend eine Datenbank mit offiziell angemeldeten Nahrungsergänzungsmitteln sowie eine Meldestelle für Nebenwirkungen einrichten, so Müller. Bislang fehlten aber selbst gesetzlich geregelte Höchstmengen für Vitamine und Mineralstoffe.

Eine aktuelle Marktuntersuchung der Verbraucherzentralen habe gezeigt, dass zahlreiche Produkte in der Dosierung vom Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) und der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit Efsa empfohlene Höchstmengen teils drastisch überschreiten. Bei einer Auswahl von Magnesiumpräparaten hätten 64 Prozent die angeratene Tagesmenge von 250 Milligramm überschritten. „Bei empfindlichen Menschen kann eine zusätzliche Magnesiumzufuhr von täglich 300 Milligramm zu Durchfall, Erbrechen oder Magen-Darm-Beschwerden führen“, so die Verbraucherschützer.

Zu viel Vitamin A oder D kann beispielsweise im Extremfall zu Hypervitaminose führen – Vergiftungserscheinungen, die etwa mit Schwindel, Übelkeit und Kopfschmerzen einhergehen können. „Bei einer zu großen Aufnahmemenge von Vitamin C erhöht sich etwas das Risiko für Nierensteine“, erklärte Prof. Helmut Heseker vom Institut für Ernährung, Konsum und Gesundheit der Universität Paderborn und Präsident der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE). „Gleichzeitig gibt es in Deutschland weniger als zehn Fälle von Skorbut – also krankhafter Vitamin-C-Mangel – jährlich. Das Risiko vom Blitz getroffen zu werden ist in Deutschland größer als das, mit Vitamin C unterversorgt zu sein.“ Wirklich sinnvolle Ergänzungen seien Vitamin D für Säuglinge und Folsäure für Schwangere – und auch das nur in Absprache mit einem Arzt, so Heseker. Stattdessen würden auch Spurenelemente, Pflanzen- und Kräuterextrakte als Pillen angeboten, „ohne dass überhaupt eine Wirkung bekannt wäre“. Einen Überblick auch für solche Produkte sollen künftig regelmäßige Marktchecks aber auch amtliche Untersuchungen bieten, die auf dem neuen Portal zu finden sind.

„Trotz fehlender Grenzwerte zählen Nahrungsergänzungsmittel zu den meistbeanstandeten Lebensmitteln – wozu sie rechtlich gehören – in Deutschland“, sagt Angela Claussen, Expertin für Lebensmittel im Gesundheitsmarkt von der Verbraucherzentrale NRW. Oft würden unzulässige Werbeaussagen oder fehlende Warnhinweise dazu führen, dass Überwachungsämter einzelne Produkte aus dem Markt ziehen. Die Verbraucher stünden vielfach hilflos vor den werbeüberladenen Produkten, die sich teilweise kaum von Medikamenten unterscheiden ließen. „Die Mehrzahl der Käufer geht irrtümlich davon aus, dass Nahrungsergänzungsmittel wie Medikamente auf Wirksamkeit und Sicherheit geprüft werden, bevor sie verkauft werden dürfen“, so Müller. Bisher sei das aber nicht vorgeschrieben. „Die Politik ist in der Pflicht, das zu ändern und das bisherige Meldeverfahren durch eine behördliche Zulassung zu ersetzen“. Dass die EU in puncto Nahrungsergänzungsmittel bislang kaum Vorgaben gemacht hätte, sei kein Anlass nicht national tätig zu werden „und auch mal Vorreiter zu sein“.