Hamburg . Hamburger Psychologin entwickelt spezielles Trainingsprogramm, das bereits von Hunderten genutzt wird. Studie am UKE gestartet.

Es ist eine Volkskrankheit: Rund 17 Prozent aller Menschen erkranken im Laufe ihres Lebens an einer Depression. Und es kann jeden treffen. Man weiß nur so viel: Frauen sind häufiger betroffen als Männer, ältere Menschen öfter als jüngere, auf dem Land ist die Erkrankung weiter verbreitet als in der Stadt.

Manchmal ist es ein Schicksalsschlag, der die Krankheit auslöst, manchmal schleicht sich die Depression langsam ins Leben. Gemein ist allen Fällen: Haben sich die Betroffenen endlich dazu durchgerungen, sich Hilfe zu suchen – oft vergehen Jahre –, müssen sie im Schnitt vier Monate auf einen Therapieplatz warten. Experten sprechen von einer eklatanten Versorgungslücke in diesem Bereich.

Um diese Lücke zu schließen, hat die Hamburger Psychologin Nora Blum mit ihrer Berufskollegin Kati Bermbach ein online-basiertes Verfahren mit dem Namen Selfapy entwickelt, das im März dieses Jahres an den Start gegangen ist, bereits von Hunderten Betroffenen genutzt und gerade am Hamburger Universitätsklinikum Eppendorf (UKE) von einer Studie begleitet wird.

Leiter der Studie sind Steffen Moritz, Professor für Psychologie am UKE, und seine Mitarbeiterin Johanna Schröder. Wie viele seiner Berufskollegen war Moritz zunächst skeptisch, als er vor einigen Jahren zum ersten Mal von Online-Interventionen hörte. „Ich dachte, dass depressive Personen dann noch eher der sozialen Isolation anheimfallen“, so der 46-Jährige. Inzwischen hat er seine Meinung geändert: „Die Erfahrungen, die wir in diversen Studien mit derartigen Angeboten gemacht haben, sind sehr positiv. Die Betroffenen schaffen es in vielen Fällen, aktiver zu werden und ihre Gedanken positiv umzustrukturieren.“

Selfapy setze da an, wo die Betroffenen auf sich allein gestellt sind. „Entweder weil sie auf eine Therapie warten oder weil sie nach der Beendigung in ein Loch gefallen sind“, so die 24-jährige Psychologin und Entwicklerin Blum. „Über die Seite durchlaufen die Betroffenen verschiedene Übungen und Module, die denen einer kognitiven Verhaltenstherapie sehr ähnlich sind“, sagt sie. Dazu gehören Trainings zur Selbsterkenntnis, zur Tagesstruktur, zu sozialen Kontakten, zur Rückfallprofilaxe und einige weitere. Jedes Modul umfasst Informationsmaterial, Videos und Fragebögen. „Grundsätzlich zielen die Übungen darauf ab, Verhaltensmuster und eingefahrene Gedankenstrukturen aufzubrechen. An positiv besetzte Tätigkeiten und Übungen werden die Nutzer per Mail und SMS erinnert.“

Die Studie an der Universität gliedert sich in drei Gruppen

Auf Wunsch begleiten ausgebildete Psychologen den Prozess, der im Schnitt auf drei Monate angelegt ist. Zugeschaltet werden sie per Telefon, Mail und Chat. 99 Euro kostet das Online-Training im Monat, wer die Module ohne Expertenbegleitung durchlaufen möchte, zahlt 12,90 Euro. „Unser Ziel ist es, dass die Krankenkassen die Kosten künftig erstatten“, sagt Blum. Ausschlaggebend dürfte dafür das Ergebnis der Selfapy-Studie am UKE sein.

Obwohl es bereits einige vergleichbare Online-Interventionen gebe, seien einige Ansätze bei Selfapy dennoch neu, sagt Studienleiter Moritz. Etwa, dass es ein Forum gebe, in dem sich die Nutzer austauschen können. Rund 120 Menschen mit depressiven Störungen nehmen an der Selfapy-Studie teil. Es gibt drei Versuchsgruppen: Die erste ist eine Wartegruppe, die zweite nutzt Selfapy und erhält zusätzlich psychologische Gespräche, die dritte nutzt Selfapy und bekommt zusätzlich den Nutzer-Forum-Zugang. Vor und nach der Interventionsperiode von drei Monaten wird mit standardisierten Fragebögen getestet, ob und inwieweit sich die Nutzung von Selfapy positiv auf die Symptome der Erkrankten ausgewirkt hat.

Laut Moritz ist Selfapy an das Prinzip der Selbsthilfe angelehnt. Die Vorteile liegen aus seiner Sicht auf der Hand: „Das Angebot ist so niedrigschwellig, dass sich auch diejenigen angesprochen fühlen, die sich sonst aus Scham oder Angst vor Stigmatisierung nicht trauen, einen Psychologen aufzusuchen.“ Abstriche gebe es aber trotzdem: „Für Suizidgefährdete sind derartige Online-Interventionen nicht geeignet. In dem Falle müssen sich die Betroffenen dringend an das professionelle Versorgungsnetz wenden.“ Auch der persönliche Kontakt zu einem Psychotherapeuten könne durch eine Online-Intervention nicht ersetzt werden. „Internetbasierte Angebote können aber präventiv wirken und sind als Lösung zur Überbrückung langer Wartezeiten auf Psychotherapieplätze durchaus ernst zu nehmen“, fügt Johanna Schröder hinzu.