Wann eine Frühbehandlung sinnvoll ist. Fehlstellungen der Zähne können später zu Tinnitus, Migräne oder Nackenschmerzen führen.

Unsere Zähne sind das härteste Material, das wir im Körper haben – und sie glänzen mit einer weiteren erstaunlichen Eigenschaft: Sie verharren keineswegs so starr im Kiefer, wie sie uns bei einem Biss auf harte Leckereien wie Nüsse oder Karamellbonbons vorgaukeln. Das Gebiss eines Erstklässlers aus Hamburg könnte dafür als Paradebeispiel dienen. Dem Siebenjährigen fehlten rechts unten im Milchgebiss zwei Backenzähne nach Kariesbefall. In diese Lücke schob sich wegen des fehlenden Gegendrucks innerhalb weniger Monate der noch vorhandene Backenzahn so weit in unnatürlicher Schräglage hinein, dass die bleibenden Zähne, die aus dem Kiefer nachrücken wollten, an diesem Hindernis scheiterten. Sie blieben quer im Knochen zurück. Ein Fall für die Kieferorthopädie. Dr. Luzie Braun-Durlak passte dem Jungen eine herausnehmbare Klammer an. Diese drängte den quer liegenden Backenzahn in seine ursprüngliche Lage zurück, und nach 18 Monaten standen alle Zähne so, wie es das Lehrbuch vorsieht.

Die richtige Zahnstellung ist nicht nur eine Frage der Optik, also des guten Aussehens. Sie verhindert auch Leiden, die sich viele Jahre später bilden können und dann nur mit wesentlich größerem Einsatz und Aufwand bekämpft werden können. Alle Probleme, die sich dank einer Frühbehandlung beseitigen lassen, „führen später schnell zu einer Art Teufelskreis“, sagt Luzie Braun-Durlak. Fehlstellungen der Zähne können im Erwachsenenalter zu Tinnitus, Migräne oder Nackenschmerzen führen.

Macht ein Besuch beim Kieferorthopäden schon im Grundschulalter Sinn? „Ja“, meint Dr. Claus Durlak, „bei ausgeprägten Fehlstellungen ist eine frühe Behandlung sinnvoll.“ In der Praxis behandeln er und seine Frau Kinder und Jugendliche in speziell ausgerichteten Räumen, getrennt von der Erwachsenenabteilung. Die jüngsten Patienten sind erst vier Jahre alt.

Schon im Grundschulalter erkennt der Experte grundlegende Fehlentwicklungen: Zeichnet sich ein Kreuzbiss ab? Das bedeutet: Die Zähne im Oberkiefer stehen zu weit nach innen, im Unterkiefer zu weit nach außen. Dadurch schließen sie nicht richtig aufeinander. Diese recht häufige Fehlstellung kann auch an nur einer Seite auftreten. Warum sollte ein Kreuzbiss so früh wie möglich behandelt werden? „Das verhindert Kieferfehlstellungen in den Folgejahren“, sagt Claus Durlak.

Auch Folgendes sollte frühzeitig überprüft werden: Ragen die oberen Frontzähne zu weit nach vorn (Prognathie) oder stehen sie hinter den unteren (Progenie)? Oder schließt das Gebiss nicht korrekt als Spätfolge von Daumenlutschen, Nuckeln an Trinkflaschen oder falscher Zungenstellung? Je nach Ausprägung rechtfertigen die Symptome eine sogenannte Frühbehandlung, also noch im Grundschulalter. „Oft kommen die Patienten zu spät, dann ist die Behandlung mit deutlich mehr Kosten und Zeitaufwand verbunden“, sagt Durlak.

Zum Beispiel bei Fehlstellungen der Zähne durch Lippen oder Zunge. Eine mögliche Ursache sind die Rachenmandeln, die bei manchen Kindern so stark vergrößert sein können, dass die Zunge aus Platzmangel nach vorn gedrückt wird und die Schneidezähne sich dadurch schief stellen. Bei jedem Schluckvorgang, also bis zu 3000-mal am Tag, drückte sich die Zunge dann zwischen die Zähne. So kann es zu einem offenen Biss und zu fehlerhaften Zahnstellungen sowie Kieferanomalien kommen. Bleibt bei geschlossenem Gebiss im Frontbereich ein Abstand zwischen oberen und unteren Zähnen, in den sich Lippe oder Zunge einlagern, sollte das mit einer Zahnklammer korrigiert werden. Allerdings übernimmt die gesetzliche Kasse erst ab einer gewissen Größenordnung der Abweichung die Kosten der Behandlung – was zu der fragwürdigen Konsequenz führt, dass bei geringerer Abweichung, gemessen in Millimetern, erst der größere Schaden abgewartet werden muss, bevor der Kieferorthopäde bei gesetzlich Versicherten aktiv werden kann.

Dr. Luzie Braun-
Durlak und ihr Mann Dr. Claus Durlak betreiben gemeinsam eine Praxis für Kieferorthopädie in Hamburg. Für
Kinder gibt es
speziell gestaltete Behandlungsräume
Dr. Luzie Braun- Durlak und ihr Mann Dr. Claus Durlak betreiben gemeinsam eine Praxis für Kieferorthopädie in Hamburg. Für Kinder gibt es speziell gestaltete Behandlungsräume © Durlak

Durch Mandeln oder Polypen, häufige Erkältungen oder eine schiefe Nasenscheidewand können sich Kinder die ständige Atmung durch den Mund angewöhnen, normal erfolgt sie durch die Nase. Das führt zu einer ungünstigen Zungenlage und zu veränderten Druckverhältnissen im Mund bis hin zu einer Verschmälerung des Oberkiefers. Manchmal lässt sich die Mundatmung schon mit einem Trick wieder abgewöhnen, erläutert Dr. Claus Durlak. Sein Tipp: eine vorher gereinigte Zwei-Euro-Münze als Übung zwischen den Lippen halten.

Ein geöffneter Mund und eine Schlafstellung auf dem Rücken begünstigen auch ein Ärgernis, das meistens Frauen zur Weißglut treibt: Ihr Partner schnarcht. Wenn bei starken Schnarchern die Atmung aussetzt (Apnoe) ist die Sauerstoffversorgung des Gehirns in Gefahr. Das kann sogar Herzleiden auslösen und zu einer geringeren Lebenserwartung führen. Nach einer Voruntersuchung durch den HNO-Arzt kann möglicherweise auch der Kieferorthopäde dem Patienten helfen – mit einem Anti-Schnarch-Gerät, einer individuell angepassten Kunststoffschiene, die den zu weit nach hinten fallenden Unterkiefer nach vorn schiebt. Allerdings zahlen die gesetzlichen Kassen diese Schienen, die je nach Ausführung mehr als 1000 Euro kosten können, nur in Ausnahmefällen.