Berlin/Hamburg. Eine ungewöhnlich lang anhaltende Unwetterserie richtet enorme Schäden an. Das Abendblatt beantwortet die wichtigsten Fragen.

Es waren Sturzbäche, die sich in kurzer Zeit über Teile von Nordrhein-Westfalen ergossen. Fast gleichzeitig glaubten die Menschen mehrere Hundert Kilometer entfernt in Hamburg nicht, was sie da sahen: Ein Tornado durchpflügte Teile der Hansestadt. Ist das Wetter verrückt geworden? Werden infolge des Klimawandels mehr Tornados entstehen? Experten sind sich uneinig.

Wie entsteht ein Tornado?

Trotz jahrzehntelanger Forschung ist das bislang nicht eindeutig geklärt. Sicher ist: „Es braucht eine ganze Reihe von Zutaten, die zum Glück jedoch selten gleichzeitig auftreten“, sagt Andreas Friedrich, Tornadobeauftragter des Deutschen Wetterdienstes (DWD).

Wichtigste Voraussetzung für einen Tornado ist eine Schauer- oder Gewitterwolke, deren untere Grenze nicht höher als 1000 Meter über dem Erdboden schweben darf. „Außerdem muss die Luft, die sich zwischen Erde und Wolkengrenze befindet, feucht sein und aufsteigen“, erklärt der Meteorologe. Zudem brauche es eine sogenannte Windscherung, also eine Änderung der Windgeschwindigkeit und -richtung. In der Folge beginnt die Luft zu rotieren, es entsteht ein Schlauch aus Staub und Wassertropfen, der sich bis zum Boden zieht und rotiert.

Tornados seien meist auf kleine Räume begrenzt, sagt Friedrich. So sei es zu erklären, dass der Tornado am Dienstagabend im Nordosten Hamburgs auftrat und dort wütete, während der restliche Teil der Stadt davon nichts mitbekam. „Es war Zufall, dass der Nordosten der Stadt betroffen war“, sagt Friedrichs. Wären die nötigen atmosphärischen Bedingungen in einem anderen Teil der Stadt aufgetreten, hätte dort auch ein Tornado entstehen können – so wie 2006 in Harburg.

Hat die Zahl der Tornados zugenommen?

„Nein. Wir wissen aus den USA, wo jedes Jahr rund 1000 Tornados über das Land fegen, dass ihre Zahl konstant bleibt“, erklärt Friedrich. In Deutschland seien es 20 bis 60 im Jahr, die nachgewiesen würden. „Der Nachweis ist der entscheidende Punkt“, sagt der Meteorologe. Etliche Tornados entstünden unbemerkt, etwa nachts. Die ersten Berichte von verheerenden Tornados in Deutschland habe es schon 1764 und 1801 gegeben. „Sie hatten nach dem, was wir heute wissen, die Kategorie 5.“ Ein F5-Tornado auf der sogenannten Fujita-Skala hat eine Windgeschwindigkeit von bis zu 512 Stundenkilometern.

Der Eindruck, dass Wetterphänomene wie Tornados in Deutschland zunehmen, habe vor allem mit den technischen Möglichkeiten zu tun, sagt Meteorologe Jörg Kachelmann. „Es kann kaum noch ein Tornado irgendwo in Deutschland auftreten, ohne dass er nicht ein paar Minuten später irgendwo auf Youtube ist.“


Warum sind Tornados gefährlich?

Gefährlich sind vor allem umherfliegende Gegenstände. „Je stärker der Tornado, umso mehr Geschosse“, erklärt Kachelmann. In einem Tornado können im Extremfall Windgeschwindigkeiten von über 500 Stundenkilometern herrschen. Doch gefährlich wird auch schon ein Tornado der niedrigsten Kategorie F0, der bei Geschwindigkeiten von bis 115 Stundenkilometern Gegenstände mitreißt, die Menschen treffen können.

Lässt sich ein Tornado vorhersagen?

„Das ist punktgenau kaum möglich“, sagte Andreas Friedrich. Immerhin könne das Risiko vorhergesagt werden und der Deutsche Wetterdienst könne dann eine Warnung herausgeben. Eine konkrete Warnung wäre, wenn überhaupt, nur Minuten vorher möglich.

Sind die extremen Unwetter der vergangenen Tage und der Tornado in Hamburg Folgen des Klimawandels?

„Man kann einzelne extreme Wetterereignisse zwar nicht direkt auf den Klimawandel zurückführen“, sagt Stefan Rahmstorf, Klimaforscher am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. Doch es gehe um die Frage, wie die globale Erwärmung die Häufigkeit von ex­tremen Wetterereignissen beeinflusse.

Rahmstorf sieht einen Zusammenhang: „Unsere Studien hier in Potsdam belegen einen signifikanten Trend für Nordeuropa: Es sind insbesondere die Blitzfluten, die zunehmen – jene Starkregen, bei denen in wenigen Stunden extreme Niederschlagsmengen niedergehen und zu schweren Überschwemmungen führen können. Wir können sagen: Von drei Tagesrekordregen, die im nördlichen Europa niedergingen, traten zwei durch Zufall auf, einer ist durch den Klimawandel hinzugekommen.“

Was aber heißt das für die Entstehung von Tornados? Der Kieler Klimaforscher Mojib Latif geht davon aus, dass solche Wirbelstürme im gesamten Bundesgebiet und auch in Hamburg häufiger auftreten werden: „Ich erwarte mehr heftige Gewitter und damit auch mehr Tornados“, sagte Latif. Zwar habe es schon immer extremes Wetter und Tornados gegeben. Aber Simulationen deuteten darauf hin, dass künftig öfter mit heftigen Unwettern zu rechnen sei.

Andreas Friedrich vom DWD widersprach Latifs Einschätzung. Simulationen ließen erwarten, dass es im Sommer, wo mehr als 90 Prozent der Tornados entstünden, trockener werde und zu weniger Gewittern komme. „Allerdings könnten diese Gewitter heftiger ausfallen und damit Tornados stärker werden“, sagte Friedrich. Im Winter werde es wohl mehr Starkregen geben, aber wie bisher kaum Tornados, weil dazu nicht die notwendigen atmosphärischen Bedingungen herrschten. „Deshalb spricht kaum etwas dafür, dass wir mehr Tornados erleben werden.“

Wie erklären sich Forscher die lange Serie anhaltender Unwetter?

Hinweise lieferten jüngste Studien zu diesem Thema, sagt der Potsdamer Klimaforscher Peter Hoffmann. „Wir sehen eine Verbindung zwischen der Erwärmung der Arktis und dem Wetter in unseren Breiten“, so Hoffmann. „Als Folge der schmelzenden Schnee- und Eisflächen ändern sich Bahnen der Jetstreams, der Höhenwinde. Das verändert die Zugbahnen der Tiefdruckgebiete und beeinflusst auch das Wetter bei uns: Entweder machen die Tiefs einen Bogen um Mitteleuropa, oder sie verharren genau über uns.“