Hamburger Forscher wollen am Beispiel des Living Place untersuchen, wie Technik uns das Leben erleichtern kann. Durch “mitdenkende“ Wohnungen.

Hamburg. Sie schlafen unruhig in dieser Nacht und liegen oft wach, Ihre Gedanken kreisen um den wichtigen Termin am nächsten Tag. Wird alles glattgehen? Der Morgen verspricht stressig zu werden - doch zum Glück hat Ihre Wohnung die Situation erkannt: Sensoren am Lattenrost des Bettes haben registriert, dass Sie sich oft hin und her gewälzt haben, was typisch ist für einen leichten Schlaf. Diese Information haben die Sensoren an den Wecker weitergegeben, der Sie nun nichtmit einem schrillen Klingeln aus dem Bett reißt, sondern entspannende Musik spielt - und zugleich dafür sorgt, dass es erst langsam hell wird und die Lampen den Raum in ein warmes Licht tauchen. In der Küche blubbert schon die Kaffeemaschine; ein Bildschirm zeigt Ihnen an, wie Sie den aktuell gemeldeten Stau umfahren.

Eine Wohnung, die "mitdenkt", in der modernste Technologien bei der Organisation des Lebens helfen - diese Vision könnte bald Realität werden, wie Forscher der Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW) Hamburg zeigen. "Living Place", Platz zum Leben, nennen sie ihren Prototyp für das Wohnen 2.0, den sie am Freitag vorstellten und der heute für jedermann in der Nacht des Wissens von 17 bis 24 Uhr auf dem Hochschulgelände zu besichtigen ist (Berliner Tor 11, Haus D, 2. Stock). Dabei handelt es sich um ein 130 Quadratmeter großes, in Weiß gehaltenes Loft mit Küche, Wohn- und Schlafzimmer, ausgestattet mit Bewegungssensoren, Kameras und Mikrofonen sowie einem Steuerraum.

Die meisten Blicke zieht jedoch ein etwa zwei Meter breiter Tisch mit integriertem Berührungsbildschirm (Touchscreen) auf sich, der an Geräte in Science-Fiction-Filmen erinnert. "Wir nennen ihn Küchentresen, aber man kann alles mögliche damit machen", sagt Kai von Luck trocken. Der Professor für Informatik leitet zusammen mit seinen Kollegen Birgit Wendholt und Gunter Klemke das etwa 30-köpfige Entwicklerteam, zu dem Ingenieure, Designer, Soziologen und Künstler gehören. Geplant ist zudem eine Zusammenarbeit mit den Medizintechnikern der HAW vom Campus Bergedorf.

Mehr als eine Million Euro stecken bisher in dem Wohnlabor. 350 000 Euro zum Anschub gab die Hamburger Wirtschaftsbehörde, weitere 500 000 Euro kamen von der Wissenschaftsbehörde, etwa 200 000 Euro stammen von den 20 Firmen, die das Projekt unterstützen, weil sie sich davon neue Produkte und Dienstleistungen erhoffen. Die eingesetzte Technik, von den Bewegungssensoren bis zum Touchscreen-Tresen, gibt es schon eine Weile. Neu ist, wie die Forscher um Kai von Luck diese Elemente zu einem automatisierten System verbinden.

Sie tun das vor allem mit Blick auf eine Zeit, in der die Grenzen zwischen Beruf und Privatem zunehmend verschwimmen, in der es vielen Menschen immer schwerer fällt, die viel zitierte "Work-Life-Balance" zu wahren. Was ist etwa, wenn man (auch) zu Hause arbeiten muss oder will: Gelingt es, die Arbeit im Arbeitszimmer zu lassen und auf dem Sofa zu entspannen? Spätestens, wenn auf dem Smartphone eine Mail aus dem Büro ankommt oder die Kollegen anrufen, ist es mit der Ruhe vorbei - und zwar abrupt. "Wenn die Arbeit uns schon zu Hause fordert, sollte sie das freundlich tun", sagt Kai von Luck. Deshalb könnte die Technik bei einem beruflichen Anruf etwa das zuvor angenehm gedimmte Licht heller und den Fernseher leiser stellen. Mehr noch könnte die Technik künftig womöglich vorausschauend agieren, sagt von Luck. Wenn sich etwa im Büro Probleme andeuten, die eine Telefonkonferenz nötig machen, können Signale an die Wohnung geschickt werden, die nun in angemessener Zeit für eine arbeitsmäßige Atmosphäre sorgen und dem Heimarbeiter alle wichtigen Informationen (Anlass der Besprechung, Zeitpunkt und Teilnehmer) vermitteln. Dies schafft einen angenehmeren Übergang von der Freizeit zur Arbeit.

Solche technischen Dienste könnten jedoch nicht nur für Selbstständige und Heimarbeiter interessant sein, sondern zum Beispiel auch für Altenheime oder Anbieter von betreutem Wohnen, sagt von Luck. Zwei Beispiele: Angenommen, ein alter Herr, der in einer betreuten Wohnanlage lebt, stürzt. Dann würden die Sensoren im Boden dies registrieren und die Zentrale alarmieren, die sich nun über Lautsprecher in der Wohnung meldet und fragt, ob Hilfe nötig ist. Oder die Enkel schicken ihrer Oma eine Nachricht, die in deren Wohnung auf dem Fernseher erscheint. Dann könnte die alte Dame (falls ihr SMS schreiben zu kompliziert ist) ihre Antwort in ein Mikrofon sprechen.

All das klingt vielversprechend - einerseits. Aber: Wie genau kann Technik das Leben - ob im Home Office oder im Altenheim - tatsächlich erfassen? Wie nah kann sie den Befindlichkeiten der Bewohner kommen? Besteht nicht die Gefahr von Irrtümern? Nehmen wir nur das Beispiel, mit Sensoren vom Lattenrost aus den Schlaf zu analysieren: Tatsächlich registrieren die Sensoren bisher nur die Bewegungen im Bett - ob der Mensch aber tatsächlich schläft oder wach ist, können sie nicht eindeutig bestimmen. "Die Daten sind nur Indizien, die Annahmen ermöglichen", gibt Kai von Luck zu. Aber je weiter die Technik fortschreite, je genauer die Programmierung sei, desto geringer sei das Risiko, dass Fehler aufträten.

Doch selbst, wenn alles funktionieren würde: Ist diese Technik erstrebenswert? "Grundsätzlich kann jeder selbst bestimmen, wie viel Überwachung und Kontrolle er haben will", sagt Kai von Luck. "Ich kann heute noch nicht sagen, wie viel Technik eine Wohnung und ihre Bewohner vertragen. Fragen Sie mich in zwei Jahren noch einmal, ob der Living Place Sinn macht - oder eine irrwitzige Idee war."