Greifswald. Energiegewinnung: Forscher wollen mit einer Kernfusionstestanlage die Sonne auf die Erde holen

Zwischen superheiß und superkalt liegen im Greifswalder Kernfusionsexperiment nur Zentimeter. Und mittendrin – so die Hoffnung der Forscher des Max-Planck-Instituts für Plasmaphysik – bald viel Energie. Das hinter 1,80 Meter dicken Betonwänden errichtete Forschungsprojekt „Wendelstein 7-X“ erkundet eine neue Form der Energiegewinnung, die Verschmelzung von Atomkernen ähnlich den Prozessen auf der Sonne.

Gelingen den Physikern die Experimente in Mecklenburg-Vorpommern, wäre man der kohlenstofffreien Energiegewinnung aus fast unerschöpflichen Ressourcen um Riesenschritte nähergekommen, ist Institutschef Thomas Klinger überzeugt. Die Testanlage ist nach zehn Jahren Hauptmontage samt Rückschlägen betriebsbereit.

Technologisch ist die 725 Tonnen schwere Anlage mit Tausenden Verkabelungen oder Messanlagen hochkomplex. Testweise sei in dem 16 Meter großen Vakuumring ein Magnetfeld erzeugt worden, das, so Klinger, genau den physikalischen Vorhersagen entspreche. „Es ist uns gelungen, die Magnete so präzise zu bauen, dass die Annahmen erfüllt sind.“

Doch bis zum Start dürften noch einige Wochen vergehen. Das Landesamt für Gesundheit und Soziales hat die Betriebsgenehmigung noch nicht erteilt. Die Antragsunterlagen würden in Abstimmung mit dem TÜV Rheinland geprüft. Am heutigen Montag will die Behörde ihre Entscheidung bekannt geben.

Die Sonne macht vor, was Fusionsforscher seit Mitte des 20. Jahrhunderts erforschen: aus Wasserstoff ein Plasma zu erzeugen, das unter hohen Temperaturen zu Helium fusioniert und dabei gigantische Mengen Energie freisetzt. Im Sonneninneren verschmelzen pro Sekunde unter Temperaturen von 15 Millionen Grad und extremem Druck rund 567 Millionen Tonnen Wasserstoff zu 563 Millionen Tonnen Helium.

In Greifswald wollen die Forscher ein extrem dünnes Gas mit 100 Millionen Grad, sechsmal heißer als der Kern der Sonne, durch den luftleeren Ring der Anlage jagen und es damit kurz vor den Fusionspunkt bringen. Da der im Sonneninneren herrschende Druck von 10 hoch 16 Pascal auf der Erde nicht erzeugt werden kann, müssen in der Forschungsanlage durch höhere Temperaturen Bedingungen geschaffen werden, die in einem späteren Kraftwerk eine Verschmelzung zu Atomkernen ermöglichen, wie Klinger erklärt.

Eine Mikrowellenheizung wird dazu das Wasserstoffplasma erhitzen. In Form gehalten wird es durch ein Magnetfeld, erzeugt von supraleitenden Spulen. Diese müssen dafür auf minus 270 Grad heruntergekühlt werden. Energie wird Wendelstein 7-X noch nicht erzeugen. Kritisiert werden die hohen Kosten von einer Milliarde Euro und die – wenn auch in deutlich geringerem Umfang als bei der Spaltung – anfallenden radioaktiven Abfälle. Das Wasserstoffisotop Tritium hat eine Halbwertszeit von 12,3 Jahren.