Radolfzell. Zugvögel wählen nicht die kürzeste Strecke, sondern suchen günstigste Windströmungen

Zugvögel wählen ihre Flugrouten nicht unbedingt nach der kürzesten Strecke, sondern vor allem nach den besten Windströmungen. Auf diese Weise sparen sie – trotz deutlich größerer Distanz – mehr als ein Viertel ihrer Reisezeit, wie ein deutsches Forscherteam um Bart Kranstauber vom Max-Planck-Institut für Ornithologie in Radolfzell im Fachblatt „Ecology Letters“ berichtet. Die Folge: Die Tiere überleben die Reise eher, pflanzen sich eher fort – und können ihr Wissen um die beste Strecke an den Nachwuchs weitergeben.

Jeden Herbst und jedes Frühjahr machen sich Milliarden Vögel auf den Weg. Auf ihren langen und gefahrvollen Reisen überqueren sie Ozeane wie den Pazifik, Gebirge wie den Himalaya oder Wüsten wie die Sahara. So zieht etwa die nur 100 Gramm schwere Küstenseeschwalbe (Sterna pardisaea) um die halbe Erde – von ihren Brutgebieten am Nordpol zu ihren Winterquartieren am Südpol. Ähnlich lang ist der Zug der etwas größeren Pfuhlschnepfe (Limosa lapponica baueri), die von Alaska nach Neuseeland fliegt. Die Forscher um Kranstauber verglichen nun die kürzesten Strecken zwischen Start- und Zielgebieten von Zugvögeln mit den tatsächlich geflogenen Routen.

Mithilfe von Wetterdaten aus den Jahren 1990 bis 2010 errechneten sie per Computer die günstigsten Strecken zwischen 102 Orten im Norden und 65 im Süden. Unter Berücksichtigung der Windverhältnisse sagte das Programm die tatsächliche Zugroute recht zuverlässig vorher.

Obwohl die wettermäßig günstigste Route im Mittel rund 14 Prozent länger war als der direkte Weg, brauchten die Tiere im Vergleich dazu nur 73 Prozent der Flugzeit, kalkulieren die Forscher. Die Windströmungen steigerten die mittlere Geschwindigkeit über Grund demnach deutlich von etwa 25 auf 43 Kilometer pro Stunde. Auf vielen Flugrouten von Europa nach Afrika hielten sich Vögel wie etwa der Kuckuck (Cuculus canorus) östlich jener Strecke, die sie dann auf dem Rückweg flogen.

„Natürlich können einzelne Vögel nicht vorhersagen, wann an welchem Ort der beste Wind weht“, so Kranstauber. „Dieses Wissen könnte von Generation zu Generation weitergegeben werden – entweder, indem Jungtiere die beste Flugroute von ihren Eltern lernen oder indem nur die bestangepassten Vögel überleben.“

Wie sich Zugvögel überhaupt auf ihrer Reise orientieren, ist noch nicht abschließend geklärt. Experten vermuten aber, dass sie das Magnetfeld der Erde nutzen.