Hamburg. Die Chefs der Kassenärztlichen Vereinigung Hamburg kritisieren den Trend bei Patienten, gleich ins Krankenhaus zu gehen

Diese Extremsituation kennen viele Hamburger: Man sitzt mit Schmerzen in der Notaufnahme des Universitätsklinikums Eppendorf (UKE), Ärzte rauschen an einem vorbei, Türen gehen auf, schlagen zu, hier noch ein Fragebogen, da ein vertröstendes „Geht gleich weiter“ – und am Ende dauert es Stunden, ehe man aus der Mitte der Schmerzgeplagten zur Untersuchung gebeten wird. Die Zahl der Menschen, die mit akuten Beschwerden ins UKE kommt, stieg von 2009 bis heute von jährlich 56.000 auf 70.000.

Dieser Trend hat viel damit zu tun, dass Patienten nicht sofort Termine bei ihrem Orthopäden oder Internisten bekommen. Dann gehen sie oft ohne Not in die Notaufnahme. Und das hat Folgen. Im Gespräch mit dem Abendblatt weisen die Chefs der Kassenärztlichen Vereinigung Hamburg (KV), Walter Plassmann (Vorsitzender) und Dr. Stephan Hofmeister (Stellvertreter), auf die Kosten und den zweifelhaften Nutzen hin. „Salopp gesagt, gehen viele Patienten mit Beschwerden lieber in die Notaufnahme und lassen sich trotz langer Wartezeiten versorgen. Es ist aber nicht vernünftig, dass ein Patient nachts mit Rückenschmerzen ins UKE geht, dort nicht einmal auf einen Facharzt trifft, aufwendig mit vielen Apparaten untersucht wird, weil der möglicherweise junge, unerfahrene Kollege vieles ausschließen muss“, sagt Hofmeister. Am Ende koste die Krankenhausbehandlung deutlich mehr Geld als bei einem niedergelassenen Arzt.

Plassmann kündigt eine Untersuchung an, die wissenschaftlich ergründen soll, wer wo hingeht: „Wir hegen da einen Verdacht, dass nicht jeder wirklich in die Notaufnahme eines Krankenhauses muss und womöglich beim KV Notdienst besser aufgehoben wäre.“ Für Hofmeister stellt sich die Frage: „Wie steuert man die Patienten? Die Politik drückt sich um die Antwort herum, denn man kann den Versicherten ja nicht einfach ihre Krankenkassenkarte wegnehmen.“

Dr. Jens Baas, Vorstandschef von Deutschlands größter gesetzlichen Krankenkasse, der Techniker, sagt: „Wir sind hier auf der Seite der KV. Die Notaufnahmen der Krankenhäuser sind überlastet. Und die Gefahr der Überdiagnostik steigt, je jünger der Arzt ist. Darunter leidet die Behandlungsqualität bei gleichzeitig höheren Kosten.“

Patienten beschweren sich immer wieder, dass sie lange auf einen Termin warten müssen. Die Ärzte jedoch haben selbst Terminprobleme, da sie Zeitpuffer einbauen müssen. „Das ist wie bei einem guten Italiener. Augenarzt Müller ist vielleicht sehr beliebt und wird hoch frequentiert. Dann kann nicht jeder sofort einen Termin bei ihm bekommen. Vielleicht muss dann ein Patient mal nach Farmsen oder Schnelsen fahren, um innerhalb von vier Wochen einen Augenarzttermin zu bekommen“, sagt Hofmeister.

Haus- und Fachärzte beklagen sich über ihre Honorare. „Im Vergleich zur Bundesebene haben die niedergelassenen Ärzte in Hamburg in den vergangenen sieben Jahren deutlich an Honoraren verloren. Der Abstand zwischen dem, was in der Gebührenordnung steht und dem, was wir auszahlen, beträgt zwanzig Prozent“, so KV-Chef Plassmann. Fünf bis acht Prozent mehr Honorar fordern die Ärzte. Im Rahmen einer bundesweiten Verhandlung wird derzeit darüber gestritten.

Plassmann ergänzt, dass man als Hausarzt in Mecklenburg 30 bis 40 Prozent mehr Geld bekommt für die gleiche Zahl von Patienten. „Schon im Kreis Harburg wird man besser honoriert, weil Ärzte auf dem Land fehlen.“

Die hohe Qualität müsse sich in den Honoraren widerspiegeln. „Bei unserem Versorgungsforschungstag haben Wissenschaftler das untermauert. Zum Beispiel wird in der Strahlentherapie alles ambulant gemacht. In anderen Bundesländern muss man dafür ins Krankenhaus. Ähnliches gilt für die Onkologie“, so Plassmann.

Gleichzeitig steigen die Ansprüche der Patienten. Viele informieren sich im Internet oder nutzen Gesundheits-Apps. Hofmeister, der jahrelang als Hausarzt arbeitete, sagt: „In zehn oder zwanzig Jahren wird die Medizin ganz anders aussehen. Wir haben natürlich Angst vor Datenmissbrauch. Die Verbraucher jedoch sind längst bei Facebook und WhatsApp und geben dort alle Daten hinein. Wenn aber ein Versicherungskonzern alle meine Daten hat – was macht er dann? Da sind die Verbraucherschützer gefragt.“

Deshalb sehen die Ärzte die elek­tronische Gesundheitskarte und das e-Health-Gesetz skeptisch. Denn künftig sollen sie Namen, Wohnort und weitere Angaben der Krankenversicherten kontrollieren. „Wir können in den Praxen aber keinen Sozialdatenabgleich machen“, kritisiert Hofmeister. „Ich sehe die Verantwortung nicht beim Arzt, den Personalausweis oder die Miet­bescheinigung zu kontrollieren, um zu sehen, ob jemand seinen Wohnort noch hat. Gegen diese unzulässige Aufgabe wehren wir uns.“ Denn das raube dem Arzt außerdem wertvolle Zeit.