Mainz. Im Westen Deutschlands werden Frauen häufig im Neutrum genannt. Forscher wollen herausfinden, warum

Deutschland ist geteilt. Die Trennlinie verläuft irgendwo im Westen und teilt Deutschland in einen „das“- und einen „die“-Teil. Während auf der einen Seite Mädchen namens Anne mit „die“ Anne angesprochen werden, heißt es auf der anderen Seite „das“, „dat“ oder „es“ Anne. Im Dialekt bekommen Frauen hier oft das Neu­trum mit auf den Weg gegeben.

Während Zugereiste sich über die seltsame Sprachblüte wundern, sie meist aber nicht hinterfragen, will die Mainzer Namensforscherin Damaris Nübling dem ominösen Neutrum nun auf die Schliche kommen. Ihr Forschungsgebiet erstreckt sich von Nordrhein-Westfalen hinunter über Rheinland-Pfalz, Saarland und Baden-Württemberg bis in die Schweiz. Überall dort gibt es Neutrum-Gegenden. Aber wer nutzt es genau und vor allem, warum?

Nübling und ihr Team wollen Interviews in Deutschland, der Schweiz und Luxemburg mit Menschen aus drei Generationen führen, um solche Fragen zu klären – bevor „das“ und „es“ womöglich für immer verschwinden. „Dass ein Abbau stattfindet, ist bereits zu sehen“, sagt Nübling. Weit verbreitet sei die Gewohnheit dennoch.

Das Neutrum drückt am wenigsten Handlungsfähigkeit aus

Erste Erkenntnisse lassen auf ein gesellschaftspolitisches Konfliktpotenzial schließen. Nübling vermutet die historische Quelle in der „domestizierten“ Frau, die bei Haus und Hof unter der Kontrolle ihres Mannes lebte. „Das Neutrum ist das Genus, das am wenigsten Handlungsfähigkeit ausdrückt.“

Damit ist nicht gesagt, dass Männer, die heutzutage ihre Frau „es“ Sabine oder die Tochter „dat Jacqueline“ nennen, einem angestaubten Geschlechterbild nachlaufen. Aber eventuell hat einst einmal jemand unterbewusst damit angefangen. Im Dialekt lebt es nun fort. Warum vor allem im Westen, wissen die Forscher noch nicht.

Heute drücken „das“ und „es“ womöglich auch etwas ganz anderes aus: familiäre Wärme. „Es ist eine Art Verniedlichung, die heute selbstverständlich gebraucht wird“, sagt Klaus-Michael Köpcke, Germanistik-Professor an der Uni Münster. „Dahinter liegen aber Schichten, die sich entwickelt und möglicherweise einen anderen Ursprung haben. Bei Männern kommt diese Bezeichnung nämlich interessanterweise nicht vor.“

Im einst „festen Neutrumgebiet“ Schweiz ist bereits etwas ins Rutschen geraten. Zumindest hat Namensforscherin Nübling das beobachtet. „In der Schweiz gibt es ein anderes Sprachbewusstsein. Da wehren sich die Frauen dagegen“, sagt sie. In Deutschland sind „es“ Anne und „das“ Sabine hingegen noch recht zufrieden mit ihren Namen.