Hamburg. Wer auf Fleisch und Fisch verzichtet, benötigt andere Quellen für Proteine: zum Beispiel besonders eiweißreiche Pflanzen.

Viele Menschen in Deutschland verzichten auf Fleisch, Tendenz steigend. Gaben 2009 noch 6,29 Prozent der Teilnehmer einer Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach an, sich komplett fleischfrei zu ernähren, waren es 2014 schon 7,75 – 1983 bezeichneten sich bei einer Studie der Gesellschaft für Konsumforschung gerade einmal 0,6 Prozent der Befragten als Vegetarier. Doch wer auf Fleisch – und als Vegetarier auch auf Fisch – verzichtet, benötigt andere Quellen für Proteine: besonders eiweißreiche Pflanzen.

In Deutschland ist Eiweißmangel extrem selten und daran sollen neue Ernährungstrends auch nichts ändern. Doch Protein ist nicht gleich Protein: Es besteht, je nach Lebensmittel, aus bis zu 23 unterschiedlichen Aminosäuren. Acht von ihnen sind für den Körper essenziell, weil er sie dringend braucht, aber selbst nicht herstellen kann. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) gibt den durchschnittlichen Eiweißbedarf eines Menschen mit 0,8 Gramm pro Kilogramm Körpergewicht und Tag an. Die Auswahl alternativer Eiweißquellen ist immens – doch drei stechen besonders hervor, unter anderem durch ihre Vielfalt an Einsatzmöglichkeiten, ihre ökologischen Vor- und Nachteile und ihre Exotik:

Lupine – die schöne Alleskönnerin

Schon in den alten Hochkulturen Ägyptens und Griechenlands standen Lupinensamen als Grundnahrungsmittel auf dem Speiseplan. Lupinen gehören zur Unterfamilie der Schmetterlingsblütler und sind Hülsenfrüchte. Aufgrund ihrer bunten Blüten werden sie gerne als Zierpflanze eingesetzt, weshalb viele Menschen gar nicht wissen, dass ihre grünen Schoten auch nährstoffhaltige und gesunde Samen enthalten. Heutzutage sind Lebensmittel auf Lupinenbasis eher exotisch. Diverse Produkte wie Lupinensteaks und Lupinenwürstchen existieren zwar, sind aber selbst in Bioläden eine Rarität.

Doch das könnte sich bald ändern. Das Fraunhofer Institut und das Start-up-Unternehmen Prolupin in Grimmen (Vorpommern), eine Ausgründung des Instituts, erhielten 2014 den deutschen Zukunftspreis für ein Verfahren, mit dem das Eiweiß der blauen Lupine ohne die sonst typischen Bitterstoffe extrahiert werden kann – und das erstmals in industriellem Maßstab. Die gesunden und nun mehr geschmacks-neutralen Lupineneiweiße eignen sich nach Angaben der Entwickler zum Einsatz in Lebensmitteln für den Massenmarkt.

Erste Produkte, beispielsweise ein veganes Schokoladeneis, gibt es schon in manchen Supermärkten unter der Marke „Made with Luve“ zu kaufen, in Hamburg in drei Real-Märkten. Doch die Forschungsarbeit des Fraunhofer-Instituts ist mit dem Zukunftspreis noch nicht beendet. Laut Preisträger Prof. Peter Eisner, Experte für Verfahrensentwicklung bei Lebensmitteln, wird nun weiter an Geschmack und Herstellungsprozess gefeilt. „Außerdem wenden wir uns verstärkt der weißen Lupine zu.“ Aus ihr lassen sich beispielsweise Fleischersatzprodukte herstellen, wofür sich die blaue Lupine nicht ganz so gut eigne.

Ein großer Vorteil der Lupine ist, dass sie auch in Deutschland, besonders auf den sandigen Böden des Nordens, gut gedeiht. So fallen Transportwege rund um den Globus weg, wie sie beim Sojamehl für die Tierhaltung nötig sind. Das verbessert die Klimabilanz der Hülsenfrucht deutlich.

Ähnlich wie Soja hat die Lupine einen hohen Eiweißgehalt von etwa 35 Prozent, wobei alle essenziellen Aminosäuren enthalten sind. Da Lupinen durch die an ihren Wurzeln enthaltenen Knöllchenbakterien Stickstoff im Boden binden und so die Erde düngen, bilden sie eine gesunde Eiweißquelle mit zusätzlich großem ökologischem Potenzial. Denn im Gegensatz zu Soja brauchen sie in der Regel keinen künstlichen Dünger. Auch gibt es von ihnen keine gentechnisch veränderte Sorten.

Sojabohne – die Altbewährte

Der Sojaverbrauch unserer Erde ist schon jetzt gigantisch – weltweit wird die Hülsenfrucht auf einer Fläche angebaut, die dreimal so groß ist wie Deutschland. Die größten Anbauländer sind die USA, Brasilien und Argentinien. Sobald die Schoten der etwa zwei Meter hohen Pflanze eine bräunliche Farbe annehmen, ernten die Bauern die darin enthaltenen Bohnen. Doch nur etwa zwei Prozent werden zu Lebensmitteln wie Tofu und Sojamilch verarbeitetet. 82 Prozent landen als Sojamehl in den Futtertrögen von Nutztieren. Der Rest wird unter anderem zu Sojaöl gepresst.

Der Einsatz als Futtermittel stellt jedoch ein echtes ökologisches Problem dar: Füttert man beispielsweise ein Schwein mit einem Kilogramm Soja, nimmt es um etwa 300 Gramm Körpermasse zu. Aus der selben Menge an Sojabohnen ließen sich auch zwei Kilogramm Tofu herstellen – wovon sechsmal so viele Menschen satt werden könnten wie von den 300 Gramm Schweinefleisch.

Die konventionelle Sojaproduktion stößt immer wieder auf Kritik. In Südamerika werden für Sojafelder große Flächen Regenwald unwiederbringlich zerstört. Zudem wurde 2010 auf 71 Prozent der weltweiten Anbaugebiete gentechnisch verändertes Saatgut verwendet, welches resistent gegen das Unkrautgift Glyphosat ist. Gensoja ermöglicht den großflächigen Einsatz des Herbizides, was Risiken für die Umwelt und die Gesundheit der einheimischen Bevölkerung birgt. Tofu und Co. bestehen in Deutschland allerdings in den seltensten Fällen aus Gensoja, da die meisten für den Endverbrauch bestimmten Pflanzen in der EU angebaut werden, in der gentechnisch verändertes Soja-Saatgut verboten ist.

Gegenüber einer fleischlichen Ernährung hat der Verzehr von Sojaprodukten viele Vorteile. Soja enthält alle acht für den Menschen essenziellen Aminosäuren und erreicht in Kombination mit Seitan, das aus dem Weizeneiweiß Gluten hergestellt wird, eine höherwertige Proteinmischung als Fleisch. Ähnlich gut schneiden Linsen und andere Hülsenfrüchte ab.

Kein Wunder also, dass der Sojaverzehr in Deutschland beständig wächst. Setzten 2010 laut dem Statistikportal Statista rund 560.000 Menschen mehrmals in der Woche Sojaprodukte auf den Speiseplan, waren es 2014 schon 700.000. Besonders die wachsende Auswahl an Sojaprodukten trägt dazu bei, dass die Bohne in der Gunst der Verbraucher aufsteigt – selbst traditionelle Fleischkonzerne wie die „Rügenwalder Mühle“ bieten mittlerweile vegetarische Produkte auf Soja-Basis an, und laut der „Lebensmittel Zeitung“ investiert der Inhaber des größten Fleischkonzerns Deutschlands, Clemens Tönnies, groß in Soja-Produkte.

Insekten und Fische – die Unbemerkten

Weitaus weniger kulinarische Begeisterungsstürme als veganes Schokoeis auf Lupinenbasis oder Sojaschnitzel dürften panierte Heuschrecken und gebackene Fliegenlarven auslösen – doch auch Insekten könnten zu einer Eiweißversorgung der Zukunft dazugehören. Laut Prof. Wilhelm Windisch von der Technischen Universität München wäre für eine groß angelegte Versorgung der Bevölkerung mit Insekten allerdings noch viel Forschungsarbeit zu leisten. „Der Mensch ist seit 10.000 Jahren mit den Krankheiten von Nutztieren wie Kühen und Schweinen vertraut und kann mit ihnen umgehen. Diese Erfahrung fehlt uns aber bei den Insekten.“ Grundsätzlich hält er Insekten für eine zukunftsträchtige Nahrungsquelle, vor allem aufgrund ihrer guten Futterverwertung. „Termiten beispielsweise können sich von Holz ernähren.“

In Zukunft wäre es also möglich, ungenießbare Pflanzen in saftige Termitensteaks umzuwandeln, anstatt Hühner mit Lebensmitteln zu füttern, die der Mensch auch selbst essen könnte. „Ob europäische Konsumenten da mitziehen, ist global gesehen unbedeutend. Die restlichen 95 Prozent der Weltbevölkerung müssen irgendwie ernährt werden.“

Auch bei der Fischzucht in Aquakulturen dürften Insekten vielleicht schon bald einen Mehrwert leisten. Normalerweise werden dort fleischfressende Arten wie Lachse, Doraden und Forellen mit Fischmehl gemästet – was zur Folge hat, dass für ein Kilogramm verzehrfertigen Lachs 1,2 bis 1,4 Kilogramm kleinere Fische verfüttert wurden. Aufgrund überfischter Meere und steigender Preise für Fischmehl sehen sich die Züchter nach Alternativen um.

Hier kommt die Soldatenfliege, Hermetia illucens ins Spiel. Ihre Larven können sich unter anderem von Bioabfällen ernähren und nehmen innerhalb von 20 Tagen um das 1000-fache ihres Gewichtes zu. Aus den Larven könnte man ein extrem proteinhaltiges Insektenmehl herstellen und an die Fische verfüttern. Erste Untersuchungen des Schweizer Forschungsinstituts für biologischen Landbau und der Supermarktkette Coop zeigen, dass Fische, die mit Insektenmehl gefüttert werden, genauso schnell wachsen wie ihre traditionell gehaltenen Artgenossen.

Doch es gibt auch kritische Stimmen: Prof. Dr. Ulfert Focken vom Thünen-Institut für Fischereiökologie in Ahrensburg warnt vor übertriebenen Erwartungen: „Die Fütterung von Fischen mit Insektenmehl wird sich in absehbarer Zeit nicht in großem Umfang durchsetzen“. Als Hauptproblem sieht er die technischen Herausforderungen, Insektenmehl in nennenswerten Mengen und zu akzeptablen Preisen herzustellen – rund 50 Millionen Tonnen Futter werden weltweit jährlich in der Aquakultur gebraucht, Tendenz steigend.

Stattdessen rät Focken Konsumenten, auf Fischarten wie den heimischen Karpfen, den Pangasius oder die Tilapia als gesunde Eiweißquelle zu setzen, welche in der Kultur mit wenig Fischmehl auskommen. „Ein Tilapia kann beim Grillen genauso gut schmecken wie eine Dorade.“