Berlin/Hamburg. Jede Minute stirbt in Afrika ein Kind an Malaria. Jetzt steht der erste Impfstoff gegen die Infektionskrankheit vor der Zulassung.

Die Krankheit kommt unauffällig. Ein Stich einer infizierten Anopheles-Mücke reicht aus. Tagelang merken die Betroffenen nichts vom Unheil, das ihnen droht; Erst nach ein bis zwei Wochen treten Symptome auf. Fieber, Kopfschmerzen, Schüttelfrost, Übelkeit. Und selbst dann ist die Ursache der Beschwerden meist schwer zu erkennen: Malaria.

So beschreibt die Weltgesundheitsorganisation (WHO) einen möglichen Verlauf der Krankheit, die oft tödlich endet. Schätzungsweise 198 Millionen Menschen sind laut WHO allein 2013 an Malaria erkrankt. Fast 600.000 Menschen starben im selben Jahr daran. Besonders betroffen ist Afrika: Jede Minute stirbt dort laut WHO ein Kind an Malaria. Aber auch in Deutschland wurden laut Robert-Koch-Institut im vergangenen Jahr mehr als 1000 Malariafälle gemeldet – meist von Tropenreisen importierte Infektionen.

Fünf Arten der Parasitengattung Plasmodium können Malaria beim Menschen auslösen. Auch wenn die Zahl der Erkrankten seit Jahren langsam zurückgeht: Einen zugelassenen Impfstoff dagegen gibt es nicht, trotz jahrzehntelanger Forschung. Hoffnung macht jetzt ein Mittel namens Mosquirix: Als erster Malaria-Impfstoff bekam das Mittel eine Empfehlung der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA).

Hinter Mosquirix verbirgt sich der vom Pharmakonzern GlaxoSmithKline (GSK) und einem Forscherkonsortium entwickelte Impfstoff RTS,S. Er basiert auf einem Oberflächenprotein des Parasiten. Dieses Circumsporozoite Protein (CSP) ist entscheidend dafür, dass sich der Parasit im Menschen einnisten kann. Wird ein Mensch mit Mosquirix geimpft, lernt sein Immunsystem CSP kennen. Infiziert sich der Geimpfte dann mit dem Malaria-Erreger, kann es den Eindringling sofort bekämpfen. Zumindest in der Theorie.

Das britische Unternehmen GSK, das seit 1987 an einem Malaria-Impfstoff forscht, hofft, mit Mosquirix einen Durchbruch erreicht zu haben. Eine Phase-III-Studie, die die Wirksamkeit des Mittels nachweisen und zur Zulassung führen soll, begann bereits 2009.

Getestet wurde an elf Zentren in sieben afrikanischen Ländern (Burkina Faso, Gabun, Ghana, Kenia, Malawi, Mosambik und Tansania). Knapp 9000 Kleinkinder im Alter von fünf bis 17 Monaten und etwa 6500 Säuglinge im Alter von sechs bis zwölf Wochen wurden dazu in drei Gruppen eingeteilt. Die Kinder erhielten vier Impfungen – drei in monatlichen Abständen zu Beginn sowie eine Auffrischung nach 18 Monaten. Je nach Gruppe geschah dies entweder durchgängig mit Mosquirix, erst mit Mosquirix und bei der Auffrischung mit einem Kontrollstoff oder nur mit dem Kontrollstoff. Als Vergleichsmittel wurde meist eine Tollwut-Impfung gegeben, sagt Prof. Peter Kremsner vom Universitätsklinikum Tübingen, der die Studie in Gabun leitet. Finanziell unterstützt wurde die Studie mit mehr als 200 Millionen Dollar (182 Millionen Euro) von der Stiftung des Software-Milliardärs Bill Gates und seiner Frau Melinda.

Das Ergebnis: Jene Mitglieder der Gruppe, die vier Dosen Mosquirix erhielten, erkrankten im Beobachtungszeitraum von drei bis vier Jahren seltener an Malaria. Je nach Alter der Kinder lag der Impfschutz bei 26 bis 36 Prozent, berichtet Kremsner. Das sei zwar nicht befriedigend, aber das Beste, was es nach 100 Jahren Forschung bislang gebe. „Bisher hatten wir nur null oder sogar eine schädliche Wirkung mit anderen Impfstoffkandidaten.“

Allerdings lässt die Wirksamkeit von Mosquirix schon nach einem Jahr deutlich nach. Und ob eine jährliche Auffrischung den Impfschutz dauerhaft aufrechterhalten kann, ist bislang nicht ausreichend geprüft. Auffällige Nebenwirkungen gab es während der Studie im Vergleich zur Kontrollgruppe immerhin kaum. Für Diskussionen sorgten allerdings rund 20 Meningitisfälle bei den Geimpften. „Wir glauben, dass es Zufall ist, weil die Fälle nur in ein, zwei Zentren auftraten, ohne erkennbares Muster, mit verschiedenen Erregern“, sagt Kremsner.

Eine andere Frage wirft Prof. Rolf Horstmann vom Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin in Hamburg auf: Hat Mosquirix einen Rebound-Effekt – erkranken die Geimpften nach vier Jahren also vielleicht sogar häufiger oder schlimmer, weil die Impfung die Entwicklung der natürlichen Immunität stören könnte?

Einen Rebound gibt es in der Malariavorsorge etwa bei der Chemoprophylaxe – vergleichsweise teuren Ta­bletten, die auch viele Tropentouristen schlucken. Diese bieten einen sehr hohen Schutz vor der Infektion. Werden die Tabletten abgesetzt, kann es allerdings schnell zu neuen Malaria-Erkrankungen kommen. „Bei RTS,S können wir von so einem Phänomen aber nicht ausgehen, dafür ist die Wirksamkeit auch zu gering“, sagt Kremsner.

Bis spätestens Ende 2015 will die WHO eine Einschätzung geben

Zu niedrig, um zu helfen, wäre die Wirksamkeit von Mosquirix indes nicht, meint Horstmann. Bei einer Million Todesfälle pro Jahr rette schließlich auch eine Impfung, die beispielsweise nur zu zehn Prozent wirke, noch 100.000 Leben. Das Bernhard-Nocht-Institut erforscht aber auch neue Ansätze. Unter anderem nutzt es die Studien des Impfstoffprojekts PfSPZ Challenge: Dabei werden Menschen mit Malariaparasiten infiziert, die durch eine gleichzeitige Therapie abgeschwächt werden. Diese Form einer Impfung ist aufwendig, weil die Parasiten unter dem Mikroskop aus der Mücke isoliert werden.

„Es gibt viele Kandidaten für eine Malariabehandlung, aber noch nichts, was an RTS,S herankommt – bis auf die PfSPZ Challenge“, sagt Kremsner. Letztlich könne diese Impfung sogar wirksamer werden als Mosquirix, hofft er. Phase-II-Studien zu ihrer Sicherheit und Wirksamkeit haben bereits begonnen. Schon in zwei, drei Jahren könnte PfSPZ Challenge bei Touristen, Reisenden innerhalb Afrikas, Soldaten und Hilfskräften angewendet werden, schätzt Kremsner. In der Kernzielgruppe der afrikanischen Kinder dauere die Einführung wegen komplizierterer Abläufe länger – hier sei das Jahr 2020 realistisch. Horstmann glaubt hingegen, das aufwendige Verfahren sei nicht massentauglich.

Kurzfristig ist es ohnehin Mosquirix, das erste Abhilfe schaffen soll – auch wenn das kein Allheilmittel werde, wie selbst Andrew Witty, Chef des Herstellers GSK, sagt. Witty spricht aber von einem „sehr bedeutenden Beitrag“, der helfe, Malaria bei afrikanischen Kindern unter Kontrolle zu bringen. Geht es nach GSK, kommt das Produkt der teuren Arbeit – das Unternehmen selbst investierte bislang umgerechnet 333 Millionen Euro – schon bald auf den Markt. Zwar soll Mosquirix nur einen vergleichsweise geringen Gewinn von fünf Prozent bringen, doch ist GSK ein Pharmagigant, der Geld verdienen will.

Für die Endverbraucher in Afrika werde die Impfung dennoch günstig, vermutet Kremsner. Die Kosten könnten demnach überwiegend von Versicherungen, staatlichen Gesundheitssystemen oder dem Globalen Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria – und damit der Allgemeinheit – übernommen werden.

Die Empfehlung der EMA ist allerdings noch keine endgültige Entscheidung über die Einführung. Bis spätestens Ende 2015 will als nächstes die WHO eine Einschätzung geben, wie Mosquirix in Impfprogrammen eingesetzt werden könnte. Ob der Impfstoff tatsächlich zugelassen wird, entscheiden danach die betroffenen Länder selbst. Angewandt werden soll Mosquirix ausschließlich außerhalb der EU.