Martinsried/Hamburg. Neue Studie sieht Zusammenhang mit seltener Schlaf-Wach-Störung. Muss die Impfung gegen Schweinegrippe überdacht werden?

Die Schweinegrippe hat in Deutschland seit dem Jahr 2009 mehrere Hundert Tote gefordert. Während des Höhepunkts der Grippewelle haben Ärzte zu dringenden Impfungen geraten. Nun stellt sich heraus, dass die Schweinegrippe-Impfung mit Pandemrix gesundheitlich bedenklich sein kann. Das wird Wasser auf die Mühlen der grundsätzlichen Impfgegner sein. Doch mit den Grippe-Impfungen, die jedes Jahr viele Menschen vor der Erkrankung schützen, haben die Verfechter genereller Impfverweigerung nichts zu tun. Sie wenden sich eher gegen Kinderimpfungen gegen Masern und andere Krankheiten.

Die Weltgesundheitsorganisation WHO hatte von April 2009 bis August 2010 rund 18.500 Todesfälle infolge der Scheinegrippe bestätigt. Eine neuere Studie aus dem "Lancet" ging später jedoch davon aus, dass schon in den ersten zwölf Monaten der Grippe 150.000 bis 575.000 Menschen an dem Erreger starben.

Kann Pandemrix eine Schlaf-Wach-Störung auslösen?

Jetzt wurden Dutzende zusätzliche Narkolepsie-Fälle vor allem bei Kindern und Jugendlichen nach der Schweinegrippe-Impfung mit Pandemrix europaweit registriert. Über die Ursache dieser Schlafkrankheit wurde lange gerätselt, nun legen Forscher der Stanford Universität einen möglichen Mechanismus dar. Auslöser ist ein Virus-Protein, das einer Andockstelle im Gehirn ähnelt, berichtet das Team im Fachmagazin „Science Translational Medicine“.

Die Ergebnisse unterstrichen, wie wichtig es sei, aus Impfstoffen alle Bestandteile zu entfernen, die vom Immunsystem mit körpereigenen Strukturen verwechselt werden könnten, sagen die Forscher. Die Narkolepsie ist eine seltene Schlaf-Wach-Störung. Typische Symptome sind Tagesschläfrigkeit und Kataplexie, ein plötzlicher Verlust des Muskeltonus bei starken Gefühlen. Sie entsteht, wenn bestimmte Zellen im Gehirn verloren gehen, die den Botenstoff Hypocretin herstellen, der das Wachsein steuert.

Ein rätselhaftes Virus

Millionen Menschen in der Europäischen Union hatten sich in der Grippesaison 2009/2010 gegen Schweinegrippe impfen lassen. Einer der dafür entwickelten Impfstoffe war Pandemrix des Pharmakonzerns GlaxoSmithKline. Bei weniger als einem von 10.000 Geimpften sei danach eine Narkolepsie registriert worden, so die Forscher. Auch in China wurden im Zuge der Schweinegrippe-Welle mehr Narkolepsie-Fälle registriert – aber bei nicht geimpften Menschen, die an dem Virus erkrankt waren. Das lieferte einen ersten Hinweis, dass das Virus, wie auch der Virusteile enthaltende Impfstoff, Ursache der Erkrankung sein könnte.

Die Forscher verglichen die Zusammensetzung von Pandemrix mit der des Impfstoffs Focetria. Dabei stießen sie auf ein Virus-Protein, das in Pandemrix in größeren Mengen enthalten ist und in seiner Struktur stark der Andockstelle (Rezeptor) für Hypocretin ähnelt. Bei der Analyse von Blutproben 20 finnischer Patienten, die nach der Pandemrix-Impfung eine Narkolepsie entwickelt hatten, fanden die Forscher Antikörper, die nicht nur an das Schweinegrippe-Virus H1N1 binden, sondern auch an den Hypocretin-Rezeptor.

Auch Hamburger Ärzte empfahlen Impfung gegen Schweinegrippe

Diese Antikörper würden bei Menschen mit bestimmten Erbgutmerkmalen offensichtlich vom Virus-Protein aktiviert und attackierten dann die Hypocretin-Andockstellen im Gehirn. Das Ergebnis weise darauf hin, dass das Risiko, Narkolepsie zu entwickeln, bei einer Schweinegrippe-Erkrankung möglicherweise höher sei als nach einer Pandemrix-Impfung.

Weitere Studien seien nötig, um diesen Mechanismus zu bestätigen, kommentierte Hartmut Wekerle, emeritierter Neuroimmunologe des Max-Planck-Instituts für Neurobiologie in Martinsried, die Studie. Auf keinen Fall sei es gerechtfertigt, Schutzimpfungen für Kinder wegen des Pandemrix-Falls generell abzulehnen.

Auch in Hamburg empfahlen Ärzte, dass schon Kinder gegen Schweinegrippe geimpft werden. Die heutigen Erkenntnisse über Pandemrix waren damals noch nicht bekannt. Inwiefern sie Folgen für künftige Grippe-Impfungen haben können, ist noch nicht abzusehen. (dpa/HA)