Chicago. Zwei Erbgut-Variationen machten aus einem relativ unschädlichen Keim einen tödlichen

Jährlich erkranken rund 2000 Menschen an der gefürchteten Pest. Und wer nicht rechtzeitig mit dem richtigen Cocktail aus Antibiotika behandelt wird, stirbt auch heute noch an dieser gefährlichen Infektionskrankheit. Der Verursacher ist das Bakterium Yersinia pestis, das 1894 von Alexandre Émile Jean Yersin entdeckt und ursprünglich nach Louis Pasteur Pasteurella pestis benannt wurde. Im Jahre 1967 wurde der Erreger dann Yersin zu Ehren umbenannt. Das Wort „Pest“ leitet sich vom lateinischen Wort pestis für Seuche ab.

Dass tatsächlich die Pest und nicht etwa eine andere Krankheit in den Jahren 1347 bis 1353 in Europa geschätzte 25 Millionen Todesopfer gefordert hat, ist wissenschaftlich erst seit wenigen Jahren belegt. Eine internationale Forschergruppe präsentierte 2011 die Erbgut-Entschlüsselung des damaligen Erregers. Die DNA hatten sie aus den Knochen von Opfern des Schwarzen Todes gewonnen, die auf einem Londoner Friedhof begraben waren.

Die Methoden der modernen Gentechnik ermöglichen auch Aussagen über die Evolution des Erregers, der von Insekten und Nagern übertragen werden kann. Wyndham Lathem und seine Kollegen von der Northwestern University Feinberg School of Medicine in Chicago haben jetzt herausgefunden, dass es nur zwei kleine Änderungen im Erbgut waren, die aus einem relativ harmlosen Darmbakterium den gefährlichen Pesterreger gemacht haben. Das haben sie mithilfe genetischer Analysen und Versuchen an Mäusen herausgefunden. Ihre Studie wurde in der Fachzeitschrift „Nature Communications“ veröffentlicht.

Wie sich Bakterien anpassen

Das Bakterium Yersinia pestis hat sich demnach aus dem Darmbakterium Yersinia pseudotuberculosis entwickelt, das Krankheiten im Verdauungstrakt auslösen kann, ohne einem Säugetier oder dem Menschen wirklich gefährlich zu werden. „Jedoch ist nicht bekannt, wann Yersinia pestis die Fähigkeit erwarb, eine fulminante Lungenentzündung zu verursachen“, schreiben die Wissenschaftler.

Sie gingen von der Beobachtung aus, dass moderne Pesterreger in der Lage sind, das Enzym Pla herzustellen. Einige ältere Stämme, die noch in Wühlmäusen zu finden sind, können dies nicht. Dazu gehört Pestoides F, der bei Mäusen keine Lungenentzündung auslöst. Das Team um Lathem versetzte Pestoides F durch eine genetische Veränderung in die Lage, Pla zu produzieren. Prompt löste der Erreger Lungenentzündungen aus.

Umgekehrt nahmen die Mikrobiologen dem modernen Erreger CO92 die genetische Fähigkeit, Pla zu synthetisieren. CO92-Bakterien konnten sich zwar vermehren, aber in der Regel keine Lungenerkrankung erzeugen. Daraus schließen die Wissenschaftler, dass das Oberflächenprotein Pla die entscheidende Rolle spielt bei der Frage, wie stark sich der Pesterreger in der Lunge vermehrt. Die Möglichkeit, Pla herzustellen, erhielt der Pesterreger durch ein Plasmid, einen ringförmigen Erbgutträger außerhalb der Chromosomen. Lathem und Kollegen vermuten, dass Yersinia pestis das Plasmid durch Genaustausch mit anderen Darmbakterien erworben hat.

Das Gen zur Herstellung von Pla unterscheidet sich bei älteren und jüngeren Stämmen an der Position 259: Die sogenannte I-Variante wurde durch die T-Variante ersetzt. Beide lösen die Lungenentzündung aus, doch nur bei der jüngeren T-Variante greift die Erkrankung auch rasch auf andere Organe wie die Milz über. Die Forscher sehen dies als Beleg dafür an, dass die Mutation von der I- zur T-Variante den Pesterreger befähigte, sich im ganzen Körper zu verbreiten.

Dass Yersinia pestis zunächst fähig war, eine Lungenentzündung auszulösen und erst später durch den Befall von Lymphknoten die Beulenpest, ist eine neue Sicht der Dinge. Bisher war die Wissenschaft von der umgekehrten Reihenfolge ausgegangen. Für die Forscher zeigen die Ergebnisse, dass der Weg zu einem gefährlichen Krankheitserreger manchmal sehr kurz ist: „Diese Forschung hilft uns, besser zu verstehen, wie Bakterien sich an neue Wirtsumgebungen anpassen und Krankheiten auslösen, indem sie nur kleine Stücke von DNA erwerben“, sagt Lathem.