Hamburg . Meist begünstigt ein Zusammenwirken von genetischen, sozialen und psychischen Faktoren das Risiko, süchtig zu werden. Wo beginnt die Sucht?

Oft sind psychische Nöte ein Grund, warum Menschen in den Sog der Sucht geraten. Auch Arbeitslosigkeit kann Menschen zur Flasche greifen lassen. Einige Menschen werden genetisch bedingt eher abhängig von bestimmten Substanzen als andere Menschen. Meist begünstige ein Zusammenwirken von genetischen, sozialen und psychischen Faktoren das Risiko, süchtig zu werden, sagt Prof. Jens Reimer, Leiter des Bereichs Suchtmedizin und abhängiges Verhalten am Uniklinikum Eppendorf.

Wo aber beginnt die Sucht? Um das zu beurteilen, richten sich Ärzte und Therapeuten nach der zehnten Ausgabe der ICD (International Classifica­tion of Diseases) der Weltgesundheitsorganisation. Dieses System gibt vor, welche Kriterien erfüllt sein müssen, damit von einer Erkrankung gesprochen werden kann. Bei der Sucht beschränkt sich das Werk bisher auf stoffliche Abhängigkeiten. Um eine Abhängigkeitserkrankung handelt es sich laut ICD, wenn von sechs Symptomen mindestens drei in den vergangenen zwölf Monaten aufgetreten sind.

Erstens der starke, zwanghafte innere Drang, die Substanz zu sich zu nehmen, also etwa die Gier nach dem nächsten Schluck. Das ist ein psychisches Phänomen und nicht zu verwechseln mit Entzugserscheinungen.

Das zweite Warnsignal: wenn man nicht mehr kontrollieren kann, wann man eine Substanz konsumiert und wann man damit aufhört. Wer sich stets vornimmt, nur ein Glas Rotwein zu trinken, aber dann regelmäßig eine Flasche leert, hat ein Problem.

Drittens: die Entwicklung einer Toleranz. Um dieselbe Wirkung zu erzielen, braucht der Betroffene immer mehr von der Substanz.

Viertens: körperliche Entzugssymptome, etwa ein Zittern der Hände. Es gibt allerdings auch Betroffene, die keine Entzugssymptome haben.

Das fünfte Warnsignal: Das Bedürfnis, Alkohol zu trinken, hat Vorrang vor allem anderen.

Sechstens: Der Betroffene konsumiert die Substanz weiter, obwohl das schädliche Folgen hat. Der Führerschein wird eingezogen, die Familie zerbricht, der Arbeitsplatz geht verloren – doch der Betroffene kann das nicht seiner Sucht zuordnen.

Zur Behandlung gehört ein Entzug; viele Patienten durchlaufen zudem eine Psychotherapie. Dabei soll der Patient erkennen, wie er abhängig geworden ist und dass er dem Suchtmittel widerstehen kann.