Hamburg. Vor fünf Jahren wurde sie gegründet, um dem Fluss mehr Raum zu geben – erste Uferabschnitte sind von Steinen befreit

Umweltsenator Jens Kerstan (Grüne) stapft durch den knöcheltiefen Sand der Elbinsel Neßsand. Hier ist die Welt noch in Ordnung: Priele durchziehen Uferbereiche, füllen sich bei jedem Hochwasser, umspülen Auwaldbäume und werden bei Ebbe als feuchte Adern des Inselkörpers zurückgelassen. Seltene Pflanzen wie die Wibels Schmiele, ein unscheinbares Gras, das weltweit nur an der Elbe wächst, fühlen sich hier wohl.

Das Naturschutzgebiet Neßsand ist – wie das Gebiet Heuckenlock an der Süderelbe – ein Paradebeispiel für einen naturnahen Tide-Lebensraum, in dem der Wechsel der Gezeiten die ­Lebensbedingungen der Tiere und Pflanzen bestimmt. Im Hamburger Stadtgebiet sind solche Biotope rar geworden, 99 Prozent der 207 Kilometer langen Uferlinie sind nicht mehr naturnah, sondern mit Steinschüttungen, Pflastersteinen oder Spundwänden verbaut. Die mehrfachen Fahrrinnenvertiefungen taten ein Übriges.

Als die nächste Elbvertiefung geplant wurde, wollte der schwarz-grüne Senat der Stadt im Gegenzug etwas für die Natur tun und gründete am 29. Mai 2010 die Stiftung Lebensraum Elbe. In den ersten fünf Jahren ihres Bestehens galt es, zunächst Schwerpunkte für die Stiftungsarbeit zu setzen. Der wichtigste lautet: Steine wegräumen.

Dies geschah am Holzhafen in der Billwerder Bucht. Dort hat die Stiftung im Januar 2014 auf einer Länge von 250 Metern die Steinschüttung ab­tragen lassen. Die vorgelagerten Wattflächen waren damals bereits unter Schutz gestellt und bilden zusammen mit den ehemaligen Filterbecken der Wasserwerke auf der Elbinsel Kalte-hofe ein Refugium für Wasservögel.

Auch in Schleswig-Holstein wurden Steine beiseite geräumt: Auf Juelssand, einer ehemaligen Elbinsel vor der Haseldorfer Marsch, entfernten Bagger rund 500 Tonnen Schlackesteine, schlossen damit mehrere Uferbereiche wieder an den Fluss an und schufen neue Tide-Lebensräume – der Aktionsbereich der Stiftung endet nicht an der Landesgrenze, sondern reicht von Cuxhaven bis Geesthacht.

„Westlich von Hamburg sind 40 Prozent der Elbufer verbaut, östlich sind es 90 Prozent“, sagt Dr. Elisabeth Klocke, Geschäftsführerin der Stiftung. Sie bringt die Tätigkeit der Elbe-Stiftung auf einen kurzen Nenner: Baggerarbeiten und Bildungsarbeit.

Ziel der Stiftung sei die ökologische Aufwertung der Tideelbe, so Klocke, und dafür arbeiteten Vertreter der Umweltverbände, der Stadt und der Wirtschaft auf Augenhöhe zusammen. Möglich mache dies die Zusammensetzung des Stiftungsrates, in dem alle Interessengruppen vertreten seien. Zum fünften Stiftungsgeburtstag wechselte der Vorsitz des Stiftungsrates: Neue Vorsitzende ist Abendblatt-Redakteurin Claudia Sewig.

„Der Stiftungsrat ist die Keimzelle einer neuen Zusammenarbeit der verschiedenen Interessenträger“, lobt Senator Kerstan auf der Jubiläumsfahrt zur Insel Neßsand. Die gemeinsame Arbeit von Wirtschafts- und Umweltvertretern sei ein Novum und setze bundesweit Maßstäbe. Dasselbe gelte für die Finanzierung der Stiftungsarbeit. Sie wird hauptsächlich aus Hafengebühren gespeist; vier Prozent der Gebühren fließen an die Stiftung, jedes Jahr rund zwei Millionen Euro – auf diesem Wege investiert die Wirtschaft in die Natur.

Vieles spricht dafür, dass demnächst zusätzliches Geld fließt – Kerstan: „Wir wollen das Tätigkeitsfeld der Stiftung erweitern, sie soll auch bei der Umsetzung des EU-Schutzgebietsprogramms Natura 2000 und zur Wasserrahmenrichtlinie arbeiten. Dafür sollen zukünftig fünf statt vier Prozent der Hafengebühren der Stiftung zukommen, so dass sich ihr Jahresbudget um eine halbe Million erhöht.“

Allerdings schränkte Kerstan ein, die Erhöhung komme erst, wenn die Elbvertiefung gerichtlich abgesegnet werde. Das gelte auch für die langfristige Finanzierung: Derzeit ist vorgesehen, dass die Zahlungen der Hafenbehörde Hamburg Port Authority enden, wenn die Zuwendungen und das Stiftungskapital auf 40 Millionen angewachsen sind – das wird aus heutiger Sicht etwa im Jahr 2020 der Fall sein. „Diese Kappungsgrenze wollen wir ebenfalls aufheben und damit die Stiftung dauerhaft sichern“, sagt Kerstan.

Arbeit gibt es genug, das zeigt unter anderem eine Potenzialanalyse, nach der an neun Stellen insgesamt fünf Kilometer der Hamburger Ufer naturnah zurückgebaut werden könnten, ohne dass andere Interessen wie Flutschutz oder Schifffahrt berührt werden. Und auch die Befestigungen auf der Insel Lühesand bei Stade seien auf 2,5 Kilometer rückbaubar, sagt Elisabeth Klocke. „Wir wollen zunächst auf 230 Metern damit beginnen.“

Eine unscheinbare Wasserpflanze liegt der Geschäftsführerin besonders am Herzen: der Schierlings-Wasserfenchel. Auch er kommt weltweit nur an der Elbe vor und macht sich dort ex­trem rar. Klocke: „Es gibt nur noch einige Tausend Exemplare – und noch wenigere, die blühen und sich vermehren.“ Die Pflanze sei deshalb akut vom Aussterben bedroht. Es reiche nicht, neuen Lebensraum für sie zu schaffen, „wir müssen sie fachgerecht sammeln, vermehren und auf renaturierten Uferabschnitten wieder ansiedeln“.

Auch jenseits der Wasserlinie will die Stiftung der Flussnatur ihren Weg bahnen. So soll eine Wiese im Naturschutzgebiet Wittenbergen wieder zur Feuchtwiese werden: „Wir möchten dort im Herbst Boden abtragen und das Niveau der Nachbarwiese angleichen. Sie ist eine artenreiche Feuchtwiese, auf der Schachblume, Kuckucks-Lichtnelke, Engelwurz und viele andere Pflanzen gedeihen“, sagt Klocke.

Zu den Projekten der Zukunft gehört auch die Insel Neßsand. Bislang wurde sie fast ausschließlich der natürlichen Dynamik überlassen. Ein ehemaliges Dünengebiet hat sich zu einer hügeligen Steppenlandschaft entwickelt, die zunehmend mit Sanddorn und jungen Bäumen bewachsen ist. Helfer der Gesellschaft für Ökologische Planung (GÖP), die die Insel betreut, hatten hier einmal im Jahr Jungbäume entfernt und den Sanddorn zurückgedrängt, um die Fläche offen zu halten. Inzwischen stutzen nur noch die Insel-Rehe die aufstrebende Vegetation. Die Stiftung überlegt, dort Amphibien eine Heimat zu schaffen: „Wir wollen prüfen, wie weit wir die vorhandenen Mulden vertiefen müssten, damit dort Grundwasser steht“, sagt Klocke.

Für Jens Kerstan ist die Fläche eine alte Bekannte. Er kam jahrelang als GÖP-Mitglied hierher und leistete Naturschutzarbeit. Am Freitag reiste er im blauen Anzug an, als Senator.