Hamburg . Der Verbund macht vier Niederlassungen in Hamburg und Umgebung zu. Die Ursache sei ein sinkender Bedarf an Blutkonserven.

Zunächst standen die Zeichen auf Expansion: Nachdem die Asklepios-Klinikgruppe 2007 der Stadt Hamburg den Blutspendedienst Hamburg abgekauft hatte, schien das Geschäft mit Blutkonserven zu florieren: Ab 2009 wurde der vom Zentralinstitut für Transfusionsmedizin (ZIT GmbH) geführte Verbund in Hamburg um zwei neue Standorte erweitert; die fünf alten Niederlassungen sollten besser sichtbar werden und zogen in Einkaufszentren und Fußgängerzonen um. 2013 machten Niederlassungen in Stade und Lüneburg auf. Wie hoch die Erwartungen gewesen sein müssen, zeigt die Auswahl der Räumlichkeiten: Die Zweigstelle in Lüneburg etwa belegte 480 Quadratmeter Fläche in bester Innenstadtlage. „Leben retten beim Einkaufsbummel“ überschrieb Asklepios die Pressemitteilung zur Eröffnung.

Seitdem lief es allerdings schlechter als erwartet: 2014 ließ ZIT-Geschäftsführer Oliver Schertges die Niederlassung in Stade schließen. Im Mai dieses Jahres machte er dann die Niederlassungen in Lüneburg, Bergedorf und Rissen zu. Acht Ärzte haben das Unternehmen verlassen; einigen wurde betriebsbedingt gekündigt. Zudem mussten zwölf Entnahmeschwestern aufhören. Ihre Verträge seien ausgelaufen und nicht verlängert worden, sagt Schertges.

Aus dem Kreis der Mitarbeiter heißt es, dass auch anderen Standorten das Aus drohen könnte. Laut Schertges ist diese Sorge unbegründet: „Es ist nicht geplant, weitere Niederlassungen zu schließen.“

Wie aber ist die Entwicklung zu erklären? Das Aus für die Niederlassung in Stade begründete Schertges damals damit, dass nur wenige Freiwillige zur Blutspende gekommen seien. Die jüngsten Schließungen der Zweigstellen in Lüneburg, Rissen und Bergedorf hingegen seien aus einem anderen Grund nötig gewesen: In den vergangenen zwei Jahren habe sich die Nachfrage von Kliniken nach Spenderblut deutlich verringert, sagt Schertges. „Diese Entwicklung wird nicht durch Blutspendedienste gesteuert, sondern durch Mediziner.“

Die WHO fordert einen effizienteren Einsatz von Blutprodukten

Hintergrund ist ihm zufolge, dass es in der Transfusionsmedizin zu einem Umdenken gekommen sei, angestoßen unter anderem von der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Diese fordert einen effizienteren Einsatz von Blutprodukten, um den Blutverbrauch zu reduzieren. Das schlägt sich auch in Deutschland in sogenannten Patient Blood Management Programmen nieder. Dazu gehört etwa, dass Ärzte genauer als früher abwägen sollen, ob eine Transfusion unbedingt nötig ist.

Zudem kommen in einigen Kliniken inzwischen sogenannte Cell Saver zum Einsatz, die während einer Operation das Wundblut auffangen, aufbereiten und in den Körper des Patienten zurückleiten. Eine Rolle spielt zudem, dass einige Operationen, etwa bei Blinddarmentzündungen, heute zunehmend minimal-invasiv durchgeführt werden, also mit vergleichsweise kleiner Verletzung, wodurch weniger Blut verloren geht. Die Auswirkungen spürt in Hamburg auch der Blutspendedienst Nord-Ost des Deutschen Roten Kreuzes (DRK). Um drei bis fünf Prozent seien die Anforderungen aus den Kliniken zuletzt zurückgegangen, sagt Sprecherin Kerstin Schweiger. „Dies korrespondiert mit der sich bundesweit abzeichnenden Rückläufigkeit, die regional minimal variiert.“

Oliver Schertges sagt, der Blutspendedienst Hamburg habe früher meist zu wenig Blut von Spendern entnommen, um allein damit alle Kunden beliefern zu können. „Wir mussten oft bis zu 30 Prozent von anderen Anbietern zukaufen.“ Durch den sinkenden Bedarf seitens der Kliniken sei es dann 2014 erstmals so gewesen, dass der Blutspendedienst Hamburg alleine genug Blutkonserven produziert habe. Nun aber gelte: „Wenn wir so weitermachen würden, bestünde die Gefahr, zu viel zu produzieren.“ Mit den Schließungen der Niederlassungen passe sich das Unternehmen der Entwicklung an.

Deshalb dürfe allerdings nicht der Eindruck entstehen, dass weniger Blut gespendet werden müsse, sagt Lutz Schmidt, der ärztliche Leiter des Blutspendedienstes. „Die Blutgruppe 0 negativ etwa wird nach wie vor händeringend gesucht.“ Auch beim DRK sieht man das so: Die Anforderungen aus den Kliniken schwankten, sagt Sprecherin Schweiger. Allein deshalb könne man nicht sagen, dass weniger Spenderblut gebraucht werde. Außerdem sei das Spendeaufkommen in den vergangenen zwei Jahren bundesweit regional schwankend um 3,5 bis sieben Prozent gesunken, weil es infolge des demografischen Wandels weniger junge Leute gebe, die mit Beginn der Volljährigkeit Blut spenden dürfen. „Wir müssen unbedingt Engpässe vermeiden“, sagt Schweiger. „Präparate aus Spenderblut haben weiterhin einen unverzichtbaren, lebensnotwendigen Stellenwert in der Behandlung bestimmter Krankheitsbilder und in Notfallsituationen.“

Aus dem Kreis der Mitarbeiter des Blutspendedienstes Hamburg heißt es, Schertges Aussage, die Nachfrage nach Blut sei rückläufig, stehe in Widerspruch zu Prognosen von Fachleuten, etwa beim DRK. Demnach werde die Nachfrage mittel- und langfristig steigen. DRK-Sprecherin Kerstin Schweiger sagt jedoch, es lasse sich noch nicht einschätzen, ob es bei der rückläufigen Nachfrage bleibe oder bald wieder mehr Blut angefordert werde.

Aus dem Kreis der Mitarbeiter heißt es auch, durch ein besseres Marketing hätte sich die Wirtschaftlichkeit der Standorte verbessern lassen. Stattdessen würden Mitarbeiter entlassen und loyale Spender verprellt, die nun weite Weg in Kauf nehmen müssten, um weiterhin zu spenden. Oliver Schertges weist die Vorwürfe zurück. Es habe etliche Marketingmaßnahmen gegeben. Zudem seien fast 20.000 Briefe an Spender verschickt worden, um diese über die bevorstehenden Schließungen zu informieren. Allerdings seien leider nicht alle Spender erreicht worden. Die Spender, die nun an einem anderen Standort spendeten, erhielten einmalig eine doppelte Aufwandsentschädigung.

Geprüft werde derzeit, ob der DRK und der Blutspendedienst Haema, ein privater Anbieter, als Kooperationspartner an Bord kommen, um durch eine Zusammenarbeit künftig Kosten zu sparen.