Bonn/Hamburg. Bundesamt für Naturschutz stellt ersten umfassenden Report vor. Eine der Forderungen: ein gut vernetztes System von Schutzgebieten.

Gut vernetzte Schutzgebiete mit wertvollen Lebensräumen, Wälder ohne forstwirtschaftliche Eingriffe und extensiv genutztes Weideland sind Schlüsselfaktoren, um Deutschlands Artenvielfalt an Tieren, Pflanzen und Pilzen zu erhalten. Das geht aus dem ersten Artenschutz-Report hervor, den das Bundesamt für Naturschutz (BfN) am Mittwoch vorlegte. Der Report zeigt auch: Ein Drittel aller Arten sind in ihrem Bestand gefährdet.

Für die Bestandsaufnahme werteten die BfN-Mitarbeiter die verschiedenen Roten Listen der gefährdeten Arten aus: Wirbeltiere, wirbellose Tiere (vor allem Insekten), Pflanzen, Pilze, Meeresorganismen). Das Ergebnis bezeichnete BfN-Präsidentin Prof. Beate Jessel als „alarmierend“. Bislang werde das nationale Ziel, den Verlust der biologischen Vielfalt aufzuhalten, nicht erreicht, mahnte Jessel: „Wir müssen dringend unsere Anstrengungen verstärken, um den Artenrückgang zu stoppen.“

Gut die Hälfte des Staatsgebiets sind Agrarflächen. Deshalb hat die Landwirtschaft den größten Einfluss auf den Zustand der Natur. Wiesen und Äcker werden immer intensiver bewirtschaftet, zu Lasten der ursprünglichen Flora und Fauna, kritisiert der Report. Das BfN fordert in einem Acht-Punkte-Programm unter anderem ein „gut vernetztes System von Schutzgebieten, um in der intensiv genutzten Kulturlandschaft ausreichend Rückzugsmöglichkeiten für Arten mit besonders spezialisierten Lebensraum-Ansprüchen zu bieten“.

Ein weiterer Maßnahmen-Punkt ist die europäische Agrarförderung (Gemeinsame Agrarpolitik, GAP). Sie sollte, so das BfN, stärker ökologisch ausgerichtet werden. So könnte zum Beispiel die extensive Weidehaltung von Rindern, Schafen und Ziegen finanziell belohnt werden, ebenso naturnahe Pufferstreifen um Äcker oder speziell angelegte Brachflächen auf ertragsschwachen Böden. Gerade das Förderprogramm der Agrarumwelt- und Klimaschutzmaßnahmen der GAP sei von „zentraler Bedeutung“ heißt es in dem Report. Nach einer Untersuchung haben im Mittel der Jahre 2009 bis 2013 nur etwa 13 Prozent der bezuschussten Agrarumweltmaßnahmen „einen echten Mehrwert für die biologische Vielfalt aufzuweisen“.

Zu den Opfern der Intensivlandwirtschaft zählt das Rebhuhn, dessen Bestände seit 1990 um 90 Prozent zurückgingen. Die Zahl der Kiebitze, die auf Wiesen brüten, nahm um zwei Drittel, die des Feldsperlings um ein Drittel ab. Auch in Hamburg sind Wiesenvögel stark bedroht. Kiebitz, Uferschnepfe und Braunkehlchen seien vom Stadtgebiet fast verschwunden, und auch bei der Feldlerche gebe es deutlich spürbare, langanhaltende Rückgänge, sagte kürzlich Alexander Mitschke, Ornithologe vom Arbeitskreis Staatliche Vogelschutzwarte Hamburg, dem Abendblatt.

Ein Drittel der Fläche Deutschlands ist mit Wald bedeckt. Von Natur aus wären drei Viertel dieser Waldfläche mit Buchen bewachsen. Buchenwälder sind Refugien der Artenvielfalt – nach einer älteren Untersuchung kommen in ihnen 4320 Pflanzen- und Pilzarten sowie 6715 Tierarten vor. Heutzutage besteht die Hälfte des deutschen Waldes noch immer aus relativ artenarmen Fichten- und Kiefernforsten.

Neben der Baumartenzusammensetzung entscheidet die Intensität der Holzernte über die Vielfalt im Wald. In Gebieten, die „frei von forstlichen Maßnahmen ihre eigene natürliche Dynamik entfalten können“, leben im Vergleich zu genutzten Wäldern deutlich mehr Arten. Die größten Profiteure der wilden Wälder sind eher unscheinbar: Flechten, Moose, Pilze und Totholz bewohnende Käfer und andere Insekten lieben die natürliche (Un-)Ordnung. Allein der Nationalpark Bayerischer Wald beherbergt 41 Prozent aller in Deutschland vorkommenden Schwebfliegen, 58 Prozent der Säugetiere und 42 Prozent der Moose, so der Report.

Vor allem in Waldbeständen mit älteren Bäumen wird Holz geerntet. Sie sind aber gleichzeitig wichtige Lebensräume für Fledermäuse. „Die meisten Wochenstuben-Nachweise stark gefährdeter Arten wie Bechsteinfledermaus oder Mopsfledermaus liegen in Altbaumbeständen“, schreiben die Artenschützer.

Die 2007 verabschiedete Nationale Strategie zur biologischen Vielfalt sieht vor, dass fünf Prozent der deutschen Waldfläche von Nutzung frei gehalten werden soll. Dieses Ziel soll im Jahr 2020 erreicht sein. Bislang liegt der Anteil gerade einmal bei 1,9 Prozent. Das nordostdeutsche Tiefland (Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg) und der Alpenraum haben mit 3,5 Prozent bzw. 3,9 Prozent den größten, das Alpenvorland mit 0,3 Prozent den geringsten Anteil an nutzungsfreien Waldflächen. Mehr Wildnis und Schutz der noch vorhandenen biologischen Vielfalt fordert das BfN zudem für Moore, Gewässer, Flussauen sowie Meeresgebiete.

„Der Bericht legt den Finger in die Wunde“, sagte Christoph Heinrich von der Umweltorganisation WWF. „Die Bundesregierung ist meilenweit davon entfernt, ihre Ziele beim Artenschutz zu erreichen.“ Der Naturschutzbund Deutschland (NABU) findet den Report alarmierend. Die Lage der Natur müsse ein „Weckruf an die Politik sein“.

Ein von der EU-Kommission und der Europäischen Umweltagentur (EEA) parallel am Mittwoch vorgelegter Umweltbericht kommt zu ähnlichen Ergebnissen wie der BfN-Report. Demnach ist in Europa fast jede dritte Vogelart vom Aussterben bedroht. 77 Prozent der geschützten Lebensräume in Europa seien in einem schlechtem oder sehr schlechtem Zustand. Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) verlangte von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker ein Sofortprogramm für Europa, das bis 2020 konkrete Artenschutzerfolge schaffen müsse.