Berlin. Wer gewinnt die meisten Stimmen für eine neue Niststelle? Über die Kommunikation der Insekten werden immer wieder neue Details bekannt.

Wer das imposante Schauspiel einmal sieht, vergisst es nie: Hunderte, Tausende Bienenströmen aus einem Stock, sammeln sich in der Nähe zur Traube und rauschen schließlich als zigarrenförmige Wolke davon. „Sie fliegen zielgerichtet in ihr neues Heim, obwohl nur etwa ein Prozent der Tiere den Weg kennt“, sagt Randolf Menzel von der Freien Universität Berlin. Honigbienen vermehren sich, indem ein Teil des Volkes ausschwärmt und ein neues Nest bezieht. „Im Mai und Juni ist Schwarmzeit.“

Die alte Königin überlässt ihr Nest einer frisch geschlüpften Nachfolgerin und sucht mit einem Teil des etwa 50.000 Köpfe zählenden Volkes eine neue Bleibe. Späherinnen ziehen aus und suchen eine nicht zu feuchte, gut geschützte Höhle passender Größe. Zurück beim Volk führen sie Werbetänze für die gefundene Unterkunft auf.

„Es haben aber meist auch andere Späherinnen potenzielle Nistplätze gefunden“, sagt Menzel. „Es gibt also eine Art Tanzwettbewerb.“ Bei einem besonders attraktiven Nistplatz entsteht ein Schneeballeffekt: Vom Tanz Geworbene werben ihrerseits. „Es gibt auch ein Stopp-Signal, von Bienen, die eine bessere Niststelle kennen“, erklärt der Neurobiologe. „Dafür müssen sie nicht beide Plätze kennen, sie entnehmen den Tanzinformationen, welche Unterkunft besser ist.“ Nach Stunden hat sich die Information zu einer Niststelle durchgesetzt und der Schwarm hebt ab. Kaum jede hundertste Biene in der Traube wisse zu dieser Zeit um das Ziel, erläutert Menzel. „Die Späherbienen zischen in Richtung der Niststelle durch den Schwarm, wieder und wieder.“ So geleitet, rausche das Volk zunächst langsam, dann immer schneller auf seine neue Unterkunft zu.

Die Westliche Honigbiene, eine von neun Apis-Arten weltweit, ist eines der besterforschten Insekten überhaupt. Eine Sammelbiene fliege täglich Hunderte bis Tausende Blüten an, sagt Jürgen Tautz von der Universität Würzburg, Leiter des Hobos-Projekts, bei dem Bienenkolonien über Kameras und Sensoren rund um die Uhr überwacht werden. Analysen in den USA ergaben, dass eine Biene für 17 Gramm Honig im Mittel 3000 Kilometer zurücklegt.

Faszinierend sind auch die immer neuen Erkenntnisse zur Arbeitsteilung: Es gibt Baubienen, Ammenbienen, Wächterbienen, solche, die Frischluft in den Stock fächeln und Wassersammlerinnen, die kühlendes Nass auf die Waben streichen. Heizbienen erreichten durch Zittern der Flugmuskulatur Temperaturen bis zu 44 Grad, erklärt Tautz in seinem Buch „Die Erforschung der Bienenwelt“. Genutzt werde die Wärme nicht nur zum Aufrechterhalten der Stocktemperatur, sondern auch zum Eindicken von Honig, zum Töten ins Nest eingedrungener Wespen und zum Wabenbau.

Herausgefunden haben Forscher inzwischen zudem, dass auch Bienen ihren Schlaf brauchen – und ihr Lieblingsplätzchen im Stock dafür haben. „Manche liegen sogar auf der Seite oder stecken den Kopf in eine leere Wabe, wohl um Ruhe zu haben“, erklärt Menzel. „Werden Bienen zeitweise am Schlafen gehindert, schlafen sie am nächsten Tag mehr. Auch nach schwierigen Aufgaben ist das so.“ Gezeigt wurde auch, dass Schlafmangel bei den Insekten ähnlich wie beim Menschen zulasten des Gedächtnisses geht.

Immer wieder werden neue Erkenntnisse gefunden – etwa zum Schwänzeltanz, für dessen Beschreibung der Verhaltensforscher Karl von Frisch 1973 den Nobelpreis erhielt. Indem sie, unterbrochen von geradlinigen Läufen mit zuckendem Hinterleib, Halbkreise tanzen, informieren Bienen Stockgenossinnen über die Lage von Futterquellen. Über Jahrzehnte wurde angenommen, dass eine Biene die Entfernung über die Dauer ihres Tanzes kundgibt: Je weiter weg die Trachtquelle, umso länger wird getanzt. „Wir haben eine halbe Million Bienentänze vermessen im vergangenen Jahr“, sagt Menzel. „Die Entfernungskommunikation beruht auf einem digitalen Code.“ Entscheidend sei die Zahl der Schwänzelbewegungen. Eine Schwingung des Hinterleibs nach links oder rechts entspreche 32 Metern, eine komplette Schwänzelbewegung etwa 65 Metern. Entfernungen würden von den Bienen mit einer Genauigkeit von einem Schwänzeln angegeben, sagt Menzel.

Er und seine Kollegen fanden zudem heraus, dass sich Bienen an der Bodenstruktur und markanten Stellen der Landschaft orientieren, in ihrem Gedächtnis also eine Art Landkarte anlegen. Diese Gedächtniskarte sei nach ihrem Sonnenkompass ausgerichtet. Die Karte werde – ebenso wie ein genaues Bild des Einfluglochs – angelegt, wenn eine junge Arbeiterin fünf bis zehn Tage nach dem Schlupf erste Ausflüge unternimmt, erläutert Bernd Grünewald vom Institut für Bienenkunde der Universität Frankfurt am Main. Überschreiben lasse sie sich nicht: „Wenn der Stock auch nur um drei Meter verschoben wird, findet die Biene ihn nicht mehr – und lernt das auch nicht.“

Schon seit Ende Februar herrscht bei hiesigen Bienenvölkern reges Treiben – aber gut ein Fünftel der rund 750.000 Bienenvölker in Deutschland haben den Winter nach einer Umfrage unter Imkern nicht überlebt – normalerweise sind es zehn Prozent, hieß es vom Deutschen Imkerbund. Das hört sich zwar dramatisch an und wird wohl vielfach auch die Honigausbeute mindern, aber: „Die Honigbiene hat immer noch den Imker, der sie aufpäppelt und Jungvölker nachzieht“, sagt Grünewald. Für die 560 Wildbienen-Arten in Deutschland sehe es weit schlechter aus. „Ihre Situation entwickelt sich katastrophal, viele stehen schon auf der Roten Liste.“

Aktuell könnte es vor allem der warme Herbst gewesen sein, der den Bienen und Hummeln zu schaffen machte – nimmt zumindest Grünewald an. Die Tiere seien lange aktiv gewesen, Nahrung habe es aber kaum noch gegeben. Zudem seien wegen des zeitigen Frühjahrs im letzten Jahr extrem viele Varroamilben herangewachsen – im Spätherbst aber nur noch wenig Bienenbrut. Entsprechend hoch seien die Ausfälle gewesen. „Bei vielen Milben im Stock schlüpfen die Bienen schon verkrüppelt und sind kaum für Arbeiten einsetzbar.“ Grünewald hält die Varroamilbe für einen entscheidenden Faktor bei dem seit Jahren anhaltenden Völkersterben weltweit. Die Milben saugen die Hämolymphe – eine Art Insektenblut – ihrer Wirte und vermehren sich in deren Brut. Zudem können sie Krankheitserreger übertragen.

Schäden durch Pestizide machen sich im Bienenstock erst langfristig bemerkbar

Die Liste der wahrscheinlich ebenfalls zum Völkersterben beitragenden Faktoren ist lang: Monokulturen und damit einhergehende verkürzte Blühperioden gehören dazu, Pestizide und Schadstoffe. Aber die Biene sei ein enorm belastbares Tier, sagt Tautz. Deshalb sei lange nicht erkannt worden, wie schlimm es um sie stehe. Von Pestiziden würden nachweislich Lernvermögen, Gedächtnisbildung, Navigation und Tanzverhalten besonders empfindlich gestört, ergänzt Menzel. Der oft als weniger schädlich angesehene Wirkstoff Thiacloprid zum Beispiel schädige diese Kommunikation bei chronischer Aufnahme schon in geringsten Mengen. Bei einer einzelnen Biene sei der Effekt des Pestizids klar nachweisbar, beim Stock aber seien zunächst keine Folgen zu bemerken, erklärt Menzel. „Das Volk hat eine erstaunliche Robustheit und kann das lange wegregulieren.“ Dass ein bisschen weniger Nektar eingetragen werde, ein paar Flugbienen mehr nicht zurückkämen, etwas weniger Brut schlüpfe, mache sich erst langfristig bemerkbar.