Bonn . Vor 200 Jahren, im April 1815, veränderte der Vulkanausbruch des Tambora in Indonesien das Weltklima

Schwächelt der Golfstrom? Droht Europa gerade wegen der ­Erderwärmung eine starke Abkühlung? Der vom Menschen verursachte Klimawandel könnte dramatische Konsequenzen haben. Welche, das zeigt ein Blick zurück. Vor 200 Jahren war es eine geologische Katastrophe, die das Leben der Menschen weltweit veränderte.

Das Jahr 1816 ist ein Jahr ohne Sommer. In vielen Teilen Europas, Asiens und Nordamerikas gibt es Missernten, Dauerregen und Frost im Juni und Juli. Ob in Westfalen oder in Südwestdeutschland: Zwischen Mai und September werden nur 19 regenfreie Tage gezählt. Es folgt ein früher, harter Winter. Die Bevölkerung mischt dem knappen Brot Quecken, Baumrinde und Kartoffeln bei. Das Hungerjahr habe die Leute gelehrt, Kartoffeln als Kuchen zu essen, heißt es in einer Pfarrchronik. Der preußische Staat muss für das Rheinland und Westfalen zwei Millionen Taler für den Kauf von Getreide bereit stellen.

Was damals niemand ahnte: Hinter der Kälte und dem nicht enden wollenden Regen steckte der größte bekannte Vulkanausbruch der überlieferten Geschichte, ein Jahr zuvor. Am Abend des 10. April 1815 explodierte der Vulkan Tambora in Indonesien, nachdem er bereits ab dem 5. April Feuer und Gesteinsbrocken gespuckt hatte.

Die globalen Durchschnittstemperaturen sanken im Folgejahr um drei Grad

70.000 bis 100.000 Menschen sollen unmittelbar an den Folgen der Katastrophe gestorben sein. Doch die Bilanz, die der US-Kulturwissenschaftler Gillen D'Arcy Wood in seinem Buch „Vulkanwinter 1816“ zieht, geht von mehr als einer Million Toten aus. Asche und Schwefelsäure verteilten sich weltweit und ließen die globalen Durchschnittstemperaturen im Folgejahr um drei Grad sinken. Das Klima geriet für drei Jahre aus dem Lot. Selbst Tausende Kilometer entfernt litten Millionen Menschen Hunger und Not.

Eine „Naturkatastrophe mit einem langen, drachenähnlichen Schwanz“, wie es im Buch heißt. In Deutschland wurde 1816 als das Elendsjahr „Achtzehnhundertunderfroren“ berüchtigt, in den USA als „Eighteen hundred and froze to death“. 1817 erreichte der Getreidepreis das Anderthalbfache des Niveaus von 1815. In besonders betroffenen Regionen wie im Elsass, der Deutschschweiz, Baden, Württemberg und Bayern stieg er gar auf das Zweieinhalb- bis Dreifache.

Die Katastrophe hatte weitreichende Konsequenzen für das menschliche Zusammenleben, wie D'Arcy Wood dokumentiert. Nicht nur, dass das „Weltuntergangswetter“ Mary Shelley dazu inspirierte, „Frankenstein“ zu schreiben und Lord Byron sein düsteres Gedicht „Darkness“. In ihm heißt es: Die Menschen, grausend in der kalten Öde, Vergaßen ihre Leidenschaften, schrien nach Licht, selbstsüchtig betend …“.

Die USA wurden in die erste wirtschaftliche Depression gestoßen. Bauern in der chinesischen Yunnan-Provinz verkauften oder töteten ihre Kinder für eine Handvoll Reis. In Indien brachten verheerende Regenfälle Jahrhunderthochwasser, die wiederum eine Cholera-Epidemie auslösten, die sich weltweit verbreitete und Millionen tötete. In Irland vernichtete der Dauerregen den sandigen, trockenen Boden, den die Kartoffel braucht, und schuf damit die Grundlage für die Kartoffelfäule: Zwischen 1816 und 1842 gab es auf der Grünen Insel 14 Kartoffel-Missernten, die dann in die „Große Hungersnot“ zwischen 1845 bis 1852 mündeten. Eine Million Menschen oder etwa zwölf Prozent der irischen Bevölkerung starben. Zwei Millionen wanderten aus.

Die Not setzte allerdings auch neue Kräfte frei. Weil Pferde und Zugvieh rar wurden, entwickelte der Freiherr von Drais 1817 in Karlsruhe den Vorläufer des Fahrrads, die Draisine. Der Chemiker Justus von Liebig wurde durch die Erinnerung an die Hungersnöte zu seinen Untersuchungen über die Bedingungen des Pflanzenwachstums angeregt. Er führte die Mineraldüngung ein, die zu einer Steigerung der Erträge der Landwirtschaft führte.

Zum letzten Mal in Deutschland sei ein Vulkan vor rund 11.000 Jahren im Ulmener Maar in der Vulkaneifel ausgebrochen, sagt der Geograf An­dreas Schüller, der Geschäftsführer des Geoparks Vulkaneifel. Deutschlandweit gebe noch immer eine Art Vulkanismus, erläutert Birger Lühr vom Deutschen Geoforschungszentrum in Potsdam: „In den Maaren der Eifel steigen noch heute Gasblasen auf.“

Der letzte Vulkanausbruch in Bayern ist dagegen vor 200.000 Jahren erfolgt – und nicht, wie bisher angenommen, vor 20 Millionen Jahren. Bei Routine-Untersuchungen in einem Waldgebiet der nördlichen Oberpfalz hatten Geologen eine kreisrunde Struktur mit einem Durchmesser von etwa 300 Metern entdeckt, die mithilfe von Bohrungen jetzt näher untersucht werden soll.