Berlin. Ingenieure arbeiten am vernetzten Drahtesel, der Daten sammelt und auswertet oder automatisch einen Notruf absetzt.

Es ist der Knightrider unter den Fahrrädern: breite Reifen, sportlich geschwungener Lenker, dazu ein schwarzer Rahmen, der mit dem Fahrer kommuniziert. Das Zweirad ist der Prototyp eines sogenannten Connected Bike, das der Mountainbike-Spezialist Canyon und die Deutsche Telekom entwickelt haben. „Was bei den Autos längst zum guten Ton gehört, hält nun auch beim Fahrrad Einzug, die Vernetzung mit der Umgebung und dem Besitzer“, erklärt Thomas Eckert, Leiter für Industrielösungen bei der Telekom.

Bei der Entwicklung hat man sich auf drei Bereiche konzentriert: Service, Diebstahlschutz und Notruf. Im Rahmen steckt eine streichholzschachtelgroße Kommunikationseinheit mit Sensoren, einer SIM-Karte und einem GPS-Sender. Der Besitzer erfährt per Smartphone-App, wie viele Kilometer er gefahren ist oder in welchem Zustand Verschleißteile wie Bremsbeläge oder die Kette sind. Der GPS-Sender hilft dabei, gestohlene Räder aufzuspüren. Auch gibt es eine Notruffunktion, vergleichbar mit dem eCall im Auto. Stürzt der Mountainbiker, registrieren das die Sensoren. Das System kann einen Notruf absetzen, samt GPS-Daten für die Retter. Kurzum: wohl eher ein Prototyp für Sportler, die bereit sind, für ein smartes Mountainbike tief in die Tasche zu greifen.

Anbieter von Leihfahrrädern behalten Überblick über ihre Flotte

Noch jedenfalls. Mittelfristig sieht die Telekom durchaus Potenzial für den Otto-Normal-Radler in der Stadt. „Unsere Vernetzungssysteme könnten beispielsweise bei Leihfahrrädern zum Einsatz kommen“, sagt Eckert. Eine App zeigt verfügbare Fahrräder in der Nähe an. Per GPS behalten die Anbieter Überblick über ihre Flotte. Sensoren melden kaputte Räder. Für Verkehrsforscher Thomas Sauter-Servaes von der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften liegt in dieser Vernetzung das Potenzial für die „Neuerfindung“ des Fahrrades: „Die Vernetzung könnte Radfahren in Zukunft nicht nur bequemer und sicherer machen, sondern auch stärker in die Stadtmobilität einbinden.“ Die moderne Mobilität beginnt auf dem Smartphone – der „Personal-Travel-Assistant“ zeigt den schnellsten Weg, macht es möglich, ein Ticket zu kaufen oder ein Carsharing-Angebot zu nutzen.

„Lange wurde das Fahrrad nicht als vollwertiges Verkehrsmittel in der Stadt oder gar als Autoersatz wahrgenommen. In Zukunft müssen wir es stärker in den alltäglichen Verkehr einbinden“, erklärt Achim Kampker, Professor für E-Mobilität an der RWTH Aachen. Ein Ansatz dazu: An möglichst vielen U-Bahnstationen gibt es Leihräder. Wo wie viele stehen, zeigt eine App. Auch das Fahrradschloss lässt sich per Smartphone öffnen. Beim Kauf eines Tagestickets gibt es den entsprechenden Code selbstverständlich dazu.

Denkbar wäre auch eine Schnittstelle für das Smartphone als Navigationsgerät. Mit dem Leihfahrrad geht es dann zum Shoppen in die Stadt. Für den vollbepackten Rückweg ist vielleicht das Carsharing-Angebot oder die U-Bahn die bessere Alternative. „Mobilität wird so noch nutzungsorientierter und weniger abhängig von Fahrplänen oder einem eigenen Auto“, sagt er. Die Technologien seien schon am Markt verfügbar, es mangele nur an ihrer konsequenten Vernetzung.

Deutlich fortgeschrittener ist dagegen die technische Neuerfindung des Fahrrades. Gerade Elektroantriebe sind auf dem Sprung aus der Nische. Inzwischen, so Kampker, kümmere man sich intensiv um vernetzte Angebote. So bieten Bosch oder Shimano automatische Gangschaltungen für Elektrofahrräder oder die Schnittstellen für das Smartphone als Navigationsgerät an. Für die sportlichen Varianten gibt es sogar Fitnesstracker im Lenker. Die Vorteile der Elektrounterstützung liegen auf der Hand: Steigungen und Gegenwind sind kein Hindernis mehr. Belastungsspitzen gleicht der Elektromotor aus. Auch ins Büro kommt der Radler von Welt nicht völlig durchgeschwitzt. Erste Unternehmen testen bereits elektrische „Dienstfahrräder“.

„Für Unternehmen lohnt sich der Einsatz zum Beispiel für kurze Pendler-Wege oder auf großen Industriegeländen“, sagt Sauter-Servaes. Die Leasing-Raten und Anschaffungskosten sind geringer als beim Auto und Parkplätze kein Problem. Nebenbei verbessert sich noch die CO2-Bilanz des Unternehmens. Auch für die Gesundheit der Mitarbeiter hat Radeln nur Vorteile, sie entgehen außerdem noch nervigen Staus oder überfüllten Bussen und Bahnen.

Auch bei der Sicherheit könnte die Vernetzung des Radfahrens Verbesserungen bringen. Am niederländischen Forschungsinstitut TNO arbeiten Forscher an einem Smartbike, das eingeschränktes Hör- und Sehvermögen der Senioren kompensiert und ihnen mehr Sicherheit im Alltag bietet. Kameras an Vorder- und Hinterrad erkennen Gefahren im Voraus. Nähert sich ein Auto von hinten, blinkt das Display am Lenker und verhindert so einen plötzlichen Spurwechsel. Vibrationsmotoren in Lenker und Sattel melden ebenfalls nahende Gefahren. Verarbeitet werden die Daten in einer noch etwas unhandlichen Recheneinheit auf dem Gepäckträger. Das Smartbike ist Teil eines großen Sicherheitsprojektes des Forschungsinstituts. Sein Ziel: Bis 2030 soll die Zahl der jährlich 700 Verkehrstoten in den Niederlanden um ein Viertel sinken. Etwa ein Drittel der Toten sind Fußgänger und Radfahrer.

Kopenhagen demonstriert, wie Städte fahrradfreundlicher werden können

Ein großes Problem der Fahrrad-Revolution ist die mangelnde „Radfreundlichkeit“ auf deutschen Straßen. Die Infrastruktur war Jahrzehnte lang nur auf Automobilität ausgelegt, mit breiten Straßen und bequemen Parkmöglichkeiten. Um die Reste streiten sich Fußgänger und Radfahrer. In Deutschland müsse der Stadtraum dringend neu aufgeteilt und sichere und komfortable Radwege geschaffen werden, fordert Stephanie Krone vom Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club. Wie das funktionieren kann, zeigt die dänische Hauptstadt Kopenhagen.

Hier fährt jeder Dritte mit Rad zur Arbeit, bis 2020 soll der Anteil auf 50 Prozent steigen. Bei der Vernetzung von Stadt und Rad setzt Kopenhagen neue Maßstäbe. Im Stadtteil Osterbro wurde eine grüne Welle für Radler geschaffen. LED-Lichter auf den Radwegen signalisieren, wie schnell die nächste Ampel umspringt. Wer im Schnitt Tempo 20 fährt, kommt ohne Halt durch. Im Stadtteil Frederiksberg zeigen Leuchttafeln an, in wie vielen Sekunden eine Ampel umspringt. Nähert sich eine größere Radlergruppe, bleibt die Ampel länger Grün. Unternehmen fördern Radfahren durch Umkleiden mit Duschen im Büro – nicht jeder Fortschritt muss mit Elektronik zusammenhängen.