Hamburg. An der Modernisierung der Texte arbeitet ein Team von 70 Experten. Dabei soll möglichst viel von Luthers Sprache erhalten bleiben.

Nicht nur in der Wirtschaft ist die Gleichstellung von Frauen ein aktuelles Thema – auch in der evangelischen Kirche. Zwar steht noch keine 30-Prozent-Frauenquote unter kirchlichen Amtsträgern zur Debatte, aber die Durchsicht und Überarbeitung der Lutherbibel inklusive gendergerechter Sprache setzt entsprechende Kreise nicht weniger in Aufruhr. Das ist nicht verwunderlich, denn die Lutherbibel ist eine theologische und kulturhistorische Kostbarkeit, die eine zen­trale Stellung in unserem Kulturkreis einnimmt. In Deutschland wird sie in nahezu allen evangelischen Gemeinden genutzt und ist somit das Wort Gottes der Wahl für die rund 23,4 Millionen Deutsche, die im Zensus 2011 angaben, der evangelischen Kirche anzugehören.

„Bei aller Begeisterung für die schöne Sprache der Luther-Übersetzung ist es notwendig, jetzt zu überprüfen, ob durch den gewandelten Sprachgebrauch manche Sätze unverständlich geworden sind“, sagt Frau Prof. Christine Gerber. Die evangelische Theologin der Universität Hamburg ist eine von 70 ehrenamtlichen Experten aus den Bereichen Liturgik, Exegese (Auslegung der Bibeltexte) und Germanistik, die an der Durchsicht der Lutherbibel arbeiten. Wie ihre Kollegen wurde auch sie von der Evangelischen Kirche Deutschland (EKD), dem Dachverband der protestantischen Gemeinden, berufen. Die unbezahlte Arbeit gilt als eine Ehre.

Vor fünf Jahren hat die Arbeit an dem aufwendigen Projekt begonnen, bei dem die knapp 500 Jahre alte Bibel-Übersetzung von Luther Vers für Vers durchgegangen wird. Dazu wurden sechs Arbeitsgruppen gebildet, die das Alte Testament, das Neue Testament sowie die Apokryphen (Zusatzschriften des Alten Testaments) überarbeiten. Veränderungsvorschläge werden in den Arbeitsgruppen diskutiert und anschließend einem achtköpfigen Lenkungsausschuss unter Vorsitz des ehemaligen Thüringer Landesbischofs Prof. Christoph Kähler vorgelegt, der über die Annahme oder die Ablehnung der Vorschläge entscheidet.

„In besonders heiklen grundsätzlichen Fragen wird zudem noch eine Entscheidung des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland herbeigeführt“, erklärt Kähler. In allen biblischen Schriften soll eine Linie erkennbar und möglichst viel von Luthers Sprache und Theologie erhalten bleiben. Keine leichte Aufgabe für das Team um Kähler, das den Überblick behalten muss über das Gesamtwerk, welches aus verschiedenen Büchern mit insgesamt 1337 Kapiteln besteht.

Wie stark die Lutherbibel verändert wird, lässt sich noch nicht genau sagen – der Erscheinungstermin ist erst am 31. Oktober 2016, rechtzeitig zum 500. Jubiläum von Luthers Thesenanschlag in Wittenberg. „Der deutschen Sprache Luthers soll keine Gewalt angetan werden“, sagt Prof. Kähler – immerhin hat der Reformator mit seinem geschliffenen Ausdruck und einem reichen Wortschatz die Deutsche Sprache und Literatur tiefgreifend geprägt. Die neue Bibel soll jedoch gendergerechter werden, sagt Prof. Christine Gerber. So wird der Wortlaut „Brüder“ beispielsweise zu „Brüder und Schwestern“ umgeändert. Zudem wird das Wort „Weib“ weitgehend durch „Frau“ er

setzt werden. „Wir schauen sehr genau, wo im Text patriarchalische Muster unsachgemäß verstärkt werden“, sagt Kähler. Der Jahrtausende Jahre alte Text sei damit im 21. Jahrhundert angekommen und soll auch für heutige Generationen lesbar bleiben.

Sehr bekannte Textstellen werden nur behutsam oder gar nicht verändert

Traditionalisten können jedoch unbesorgt sein: Sehr bekannte Stellen der Bibel, wie die Weihnachtsgeschichte oder das Vaterunser, werden nur sehr behutsam oder gar nicht verändert. „Besonders beliebte Passagen wie etwa Psalm 23 (Der Herr ist mein Hirte) dürfen wir einfach nicht ändern, da sie oft auswendig gelernt wurden und einen zentralen Stellenwert in den Gemeinden einnehmen“, so Prof. Kähler.

Das aktuelle Team ist nicht das erste, das sich an dem ursprünglichen Text Luthers zu schaffen macht. Schon früher musste das Wort Gottes gelegentlich überarbeitet werden, um sich an den gewandelten Sprachgebrauch anzupassen. Jahrhundertelang wurde die Lutherbibel von Druckern und Bibel­gesellschaften nach eigenem Gutdünken sukzessive dem aktuellen Sprachverständnis angepasst. Deshalb wurde bereits Ende des 19. Jahrhunderts in mehreren Anläufen versucht, die Bibel sprachlich zu vereinheitlichen und Redewendungen zu modernisieren. Diese Fassung enthielt jedoch noch einige Fehlübersetzungen Luthers, wie etwa die fälschliche Benennung von damals unbekannten orientalischen Gewächsen und Pflanzen als Buchsbaum, Kaninchen oder gar Einhorn, was der mangelhaften Sachkunde des dennoch außerordentlich gebildeten mittelalterlichen Reformators auf bestimmten Gebieten zuzuschreiben war. Außerdem war die Überarbeitung von dem Wunsch getrieben, die Bibel durch zeitgenössisches Deutsch für die breite Bevölkerung leicht verständlich zu machen. Deshalb wurde 1975 eine umfassende Revision der Lutherbibel veröffentlicht. Da man den Text jedoch radikal an die moderne Sprache angepasst hat, beinhaltete die Fassung tief greifende und zum Teil nicht sehr klangvolle Änderungen, wie zum Beispiel die Redewendung „das Licht unter den Eimer stellen“ – da die Bezeichnung „Scheffel“ als Getreidemaß nur noch wenig bekannt war. Da die Fassung auch vor dem Wortlaut populärerer Passagen sowie Namensänderungen keinen Halt machte, scheiterte das sogenannte „Eimertestament“. Die Fassung wurde derart kritisiert, dass bereits 1977 radikale Textveränderungen wieder zurückgenommen wurden.

Eine wieder etwas traditionellere Textgestaltung wurde in der Überarbeitung von 1984 sichtbar, bei der auch schwer verständliche Sätze geglättet wurden. Diese

Fassung wird, bis auf die Anpassung an die neue Rechtschreibung 1999, noch heute verwendet.

Die Experten stützen sich auch auf alte griechische und hebräische Texte

Warum jetzt die erneute Anpassung? „Zum einen hat es schon lange aus feministischen Kreisen die Forderung nach einer gendergerechteren Sprache gegeben“, erklärt Prof. Gerber. Außerdem sei die Fassung von 1984 schlechter als gemeinhin angenommen – an einigen Stellen müssen zum Beispiel noch übrig gebliebene sprachliche Modernisierungen aus der Revision von 1975 reduziert werden. Deshalb stützen sich die Experten, die mit der verantwortungsvollen Aufgabe betraut sind, verstärkt auf die letzte 1545 von Luther verbesserte Bibel-Übersetzung sowie auf die originalen griechischen und hebräischen Texte, die zum Teil älter sind als das Jahr 0 (gemäß unserer Zeitrechnung nach Christus). „Die Apokryphen etwa, die in bisherigen Überarbeitungen eher stiefmütterlich behandelt wurden, müssen in Teilen komplett neu übersetzt werden“, sagt Prof. Kähler. Dabei beschreiten die Experten stets einen schmalen Pfad zwischen guter, zeitgenössischer Lesbarkeit und der korrekten Interpretation der originalen Schriften. Eine Durchsicht wäre also irgendwann unumgänglich gewesen. Da kam das Luther-Jubiläum als schöne Gelegenheit, die komplexe Aufgabe anzupacken. Und auch wenn von Zugzwang nicht die Rede sein soll, so wurden doch auch Impulse von außen gesetzt.

Auch die katholische Kirche unterzieht momentan ihre Einheitsbibel einer sprachlichen Modernisierung, nachdem sich die evangelische Kirche aus dem ehemals ökumenischen Projekt zurückgezogen hat. Bereits 2006 ist die umstrittene, sprachlich sehr moderne Bibel der Gerechten Sprache erschienen. Außerdem kann sich seit 2011 vor allem eine internetaffine Leserschaft an der crossmedialen Basis Bibel erfreuen, die vor allem für die Anwendung am Computer oder auf Smartphones per App gedacht ist und so vermehrt junge Leute anspricht. Hier wurde das Buch der Bücher in kurze Sätze und klar gegliederte Abschnitte unterteilt, damit das Lesen am Computer leichter fällt. Außerdem können Zusatzinformationen sowie Bilder und Landkarten eingeblendet werden.

„Idealerweise wird die überarbeitete Fassung der Lutherbibel alle älteren Fassungen im Gottesdienstgebrauch ersetzen“, hofft Prof. Gerber. Auch wenn wahrscheinlich die meisten evangelischen Haushalte ihre Familienbibel nicht direkt austauschen und manche Gemeinden noch eine Zeit lang mit der älteren Fassung arbeiten. „Die neue Fassung ist jedoch genauer und stärker mit Luthers Sprache verbunden“, sagt Kähler und fügt hinzu: „Wenn die Bibel ein Bild wäre, dann wäre es 2016, nach der ‚Restauration‘, heller und klarer.“