Hamburg. Symposium in Hamburg: Neben der Weltpolitik sind lokale Initiativen entscheidend, um die Erderwärmung zu bremsen.

„Klima – Wandel im Gipfeljahr 2015“. Unter diesem Titel feierten rund 300 Wissenschaftler und Umweltfachleute den 75. Geburtstag des renommierten Klimaforschers Prof. Hartmut Graßl mit einem Symposium in der Universität Hamburg. Im Dezember 2015 wird in Paris die nächste Uno-Klimakonferenz abgehalten, die ein neues globales Abkommen hervorbringen soll. Ebenso wichtig sei ein lokaler „Klimaschutz von unten“, betonten die Redner auf der Tagung.

Die Ausgangslage ist klar: Um die Erdbewohner vor einer Erwärmung mit unkalkulierbaren Folgen zu schützen, sollte der globale Temperaturanstieg bis zum Ende des Jahrhunderts zwei Grad nicht überschreiten. Dazu müsste der Ausstoß von Treibhaus­gasen, allen voran von Kohlendioxid (CO2), in den kommenden Jahrzehnten deutlich sinken. Doch bislang wächst er weiter. „Im vergangenen Jahrzehnt hat sich der Anstieg sogar beschleunigt“, sagte Prof. Ottmar Edenhofer, Chefökonom und Vizedirektor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK).

Noch immer sei die Verbrennung von Kohle „unglaublich rentabel“, so Edenhofer. Doch die Fähigkeit der Atmosphäre, das bei der Verbrennung frei werdende CO2 aufzunehmen, sei begrenzt. Das wiege schwerer als die Endlichkeit des fossilen Energieträgers. Edenhofer rechnet vor: Um das Zwei-Grad-Ziel zu erreichen, dürften insgesamt nur noch rund 1000 Gigatonnen CO2 in die Atmosphäre gelangen – allein in den noch im Boden liegenden Energieträgern stecke jedoch ein Emissionspotenzial, das mehr als zehnfach höher sei.

Globale Landwirtschaft ähnlich klimaschädigend wie Verbrennung von Öl

Seit Jahren plädiert Edenhofer deshalb für eine CO2-Abgabe, um die Nutzung der fossilen Energien zu verteuern. Er stößt dabei auf Widerstände der energieintensiven Industrien und der Politik. Dabei könnten Staaten „Interesse daran haben, CO2 zu bepreisen, selbst wenn sie nicht an den Klimawandel glauben“, sagte Edenhofer: Sie könnten eine CO2-Steuer als zusätzliches Element der Finanzpolitik nutzen. „Wir sollten herausfinden, unter welchen Umständen nicht nur die Umwelt-, sondern auch die Finanzpolitiker sich für das Thema interessieren.“

Ähnlich klimaschädigend wie die Verbrennung von Kohle und Öl wirke die globale Landwirtschaft, betonte Dr. Ulrich Hoffmann vom Forschungsinstitut für Biologischen Landbau in Frick (Schweiz). „Die Landwirtschaft trägt zu etwa 30 Prozent zum Treibhauseffekt bei. Darin eingerechnet sind veränderte Landnutzungen wie die Rodung von Wäldern oder das Trockenlegen von Sümpfen zur Gewinnung von Kulturland. 90 Prozent der Klimawirkungen durch die Landwirtschaft entsteht durch Kohlenstoff, der aus den Böden freigesetzt wird. Neun Prozent sind der Viehhaltung zuzurechnen, der Rest dem Einsatz von Dünger.“

„Die zentrale Frage ist, wie man mit dem Kohlenstoffspeicher Boden umgeht“, sagte Prof. Hartmut Graßl. „Die Einlagerung von Kohlenstoff muss honoriert werden, etwa in der ökologischen Landwirtschaft. Wenn ein Biobauer, wie heute, für sein klimaschonendes Wirtschaften keine Förderung bekommt, dann hängt er komplett davon ab, dass ein Teil der Oberschicht bereit ist, den höheren Preis seiner Produkte zu bezahlen.“

Die globale Landwirtschaft sei in den vergangenen Jahrzehnten „am Reißbrett einiger weniger Großunternehmen entstanden“, so Hoffmann. Ähnlich wie im Energiebereich gebe es eine starke industrielle Agrarlobby.

Hartmut Graßl betonte, dass Wissenschaftler nicht nur forschen sollten, sondern ihre Ergebnisse auch in der Gesellschaft vertreten müssten: „Sie müssen so lange dicke Bretter bohren und die Öffentlichkeit sensibilisieren, bis die Politiker gar nicht mehr anders können, als gegen den Druck der Lobbyisten zu handeln.“ Er selbst ist seit Jahrzehnten auch als Politikberater und – so sagen die Kollegen über ihn – als brillanter Erklärer der komplexen Klimazusammenhänge unterwegs. Der PIK-Direktor Prof. Hans Joachim Schellnhuber nannte ihn deshalb lobend einen „Ge-Wissenschaftler“.

Neben staatlicher Ordnungspolitik brauche es lokale Initiativen, um den Klimaschutz voranzutreiben, sagte Prof. Dirk Messner, Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU): Soziale Netzwerke, Städte und Kommunen, Religionsgemeinschaften, Unternehmensallianzen und Staatenclubs trieben Klimaschutz und Nachhaltigkeit voran. „Wir setzen heute verstärkt auf diese lokalen Akteure. Weil sie erfolgreich sind, wird Klimaschutz gelingen.“

Im September präsentierte der WBGU dazu ein Gutachten. Es empfahl eine Doppelstrategie für die internationale Klimapolitik: Zum einen soll das geplante Pariser Abkommen den weltweiten Ausstieg aus den fossilen CO2-Emissionen festschreiben und somit als Wegweiser dienen. Zum anderen sollten zivilgesellschaftliche Initiativen gefördert werden, die eigenständig Beiträge zu einer klimaverträglichen Lebens- und Wirtschaftsweise leisten.

Mit dieser Doppelstrategie kann auch der Jubilar Graßl leben. Ihn stört die Kritik, die Uno-Klimagipfel produzierten nur heiße Luft und ruinierten durch die Anreisen von mehr als 10.000 Teilnehmern zusätzlich das Klima: „Ein einziges Champions-League-Spiel produziert mehr CO2 als ein Klimagipfel. Und: Ohne diese Konferenzen hätten wir in 80 Prozent aller Länder überhaupt kein Verständnis für die Problematik des Klimawandels.“