Für Fachleute ist das Überleben des Babys eine Sensation. Frieda kam nach nur 21 Wochen Schwangerschaft zur Welt und wog 460 Gramm.

Fulda. Das Frühchen Frieda verblüfft die Fachleute. Dass das Kind seinen frühen Start ins Leben nach nur 21 Wochen und fünf Tagen Schwangerschaft überlebte (das Abendblatt berichtete), stuft die Fachgesellschaft für Neugeborenen-Medizin als "Sensation" ein. "Das ist außergewöhnlich, da es an der Grenze der Lebensfähigkeit ist", sagte der Vorsitzende der Gesellschaft Neonatologie und pädiatrische Intensivmedizin, Prof. Egbert Herting, Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin an der Universität Schleswig-Holstein, Campus Lübeck.

Am Klinikum Fulda war das Baby am Mittwoch nach der extrem kurzen Schwangerschaft und fünfeinhalb Monaten Klinikaufenthalt gesund nach Hause entlassen worden. Normal sind 40 Wochen Schwangerschaft. Frieda war am 7. November mit 460 Gramm zur Welt gekommen. Es könnten aber noch gesundheitliche Probleme für das Kind auftreten, warnte Egbert.

Mit Frieda erblickte noch ihr Zwillingsbruder das Licht der Welt. Der kleine Kilian (469 Gramm) starb jedoch nach knapp sechs Wochen trotz intensiver Versorgung an Herz- und Darmproblemen, wie der Chefarzt der Kinderklinik, Prof. Reinald Repp, sagte. Die Eltern sagten der "Fuldaer Zeitung" am Donnerstag: "Wir sind überglücklich - aber es gibt auch Phasen tiefer Trauer."

Bei der Schwangerschaft der Mutter in Fulda hatte es bereits in der 15. Woche Komplikationen gegeben. Sie musste wegen vorzeitiger Wehen behandelt werden. Es gelang, die Geburt weiter hinauszuzögern.

Es sei ein "medizinisches Wunder", dass zumindest die kleine Frieda den Weg ins Leben gefunden habe, sagte Chefarzt Repp. "Ihr Leben stand wochenlang auf des Messers Schneide." Repp und der Lübecker Fachmann Herting sagten, bislang hätten weltweit nur wenige dieser besonders jungen Frühchen überlebt. "Kinder vor Vollendung der 22. Woche sind eigentlich nicht überlebensfähig", sagte Repp. Nach seiner Fachliteratur-Recherche sei Frieda Europas jüngste Frühgeburt.

Frieda habe überlebt, obwohl "ihre Unreife medizinisch nicht mit dem Leben vereinbar gewesen ist", sagte Repp. Erst nach etwa sechs Wochen habe sie selbstständig geatmet. Bakterielle Infekte galten schon als lebensgefährlich. In der sensiblen Zeit habe es das Risiko einer Hirnblutung und Behinderung gegeben. Der Fuldaer Kinderklinik-Chef sieht für sie alle Chancen, "sich normal zu entwickeln". Sie habe das "Allermeiste geschafft". Statistisch gesehen, drohen aber später noch Schwierigkeiten wie Ess- und Aufmerksamkeitsstörungen.

Bei extremen Frühgeburten drohen zahlreiche Komplikationen. "Das Problem ist, dass aufgrund der extremem Unreife alle Organe Probleme machen können", sagte Prof. Volker Ragosch, Chefarzt der Abteilung für Gynäkologie und Geburtshilfe an der Asklepios-Klinik Altona. Die Fachgesellschaften in Deutschland hätten das Ende der 24. Woche als Grenze festgelegt, ab der eine maximale Therapie durchgeführt wird. "Das ist die Grenze, ab der man davon ausgeht, dass die Schäden relativ gering sind und das Kind gesund ist", sagt der Geburtshelfer.

Vor der 24. Schwangerschaftswoche sei man in Deutschland sehr viel zurückhaltender mit Maßnahmen der Therapie. Zwischen der 23. und 24. Woche müsse mit den Eltern über das hohe Risiko gesprochen werden, dass die Kinder bleibende Schäden zurückbehalten. "Ich würde Eltern in der 22. Schwangerschaftswoche nicht zur maximalen Therapie raten", sagt Ragosch. "Bei Kindern, die zwischen der 23. und 24. Schwangerschaftswoche geboren werden, gucken wir erst mal, wie es dem Kind geht. Die Therapie ist dann vom Gesamtzustand des Kindes, seinem Geburtsgewicht und der Dauer der Schwangerschaft abhängig."

Infolge der Frühgeburt kann es bei den Kindern auch zu bleibenden Schäden kommen. Am schlimmsten sind neurologische Schäden, die zum Beispiel infolge von Hirnblutungen auftreten können. Außerdem könne es zu Langzeitproblemen der Lunge, des Darms und der Augen kommen. Schäden des Immunsystems zeigten sich häufig durch eine erhöhte Infektanfälligkeit. "Meist sind die Kinder etwas schwächer als ihre Altersgenossen", sagt Prof. Volker Ragosch.

In Dortmund überlebte ein Frühchen, das bei der Geburt nur 240 Gramm wog

Eine besonders frühe Geburt hatte es zuletzt in den USA gegeben. Die kleine Amillia Sonja Taylor war im Jahr 2006 nach 21 Wochen und 6 Tagen zur Welt gekommen. Das Klinikum Fulda berichtete von einem Jungen, der 1987 im kanadischen Ottawa das Licht der Welt erblickte, ebenfalls nach 21 Wochen und fünf Tagen - genauso wie die kleine Frieda. In Japan soll ein Frühchen überlebt haben, das bereits in der 21. Schwangerschaftswoche zur Welt kam. In Dortmund überlebte jüngst ein Frühchen mit einem Geburtsgewicht von lediglich 280 Gramm. Das Kind war in der 24. Schwangerschaftswoche zur Welt gekommen.