Die Katastrophe vor unserer Haustür: Seit Jahrzehnten verschmutzt der Betrieb auf den Förderplattformen der Nordsee das Meer.

Hamburg. Die Ölpest im Golf von Mexiko hält die Welt in Atem - eine stille Katastrophe fast vor unserer Haustür bleibt dagegen weitgehend unbemerkt: Seit 40 Jahren verschmutzen Ölförderplattformen die Nordsee. Mit dem Produktionswasser, das gemeinsam mit Gas und Öl gefördert wird, gelangen derzeit jedes Jahr um die 10 000 Tonnen Öl ins Meer, zeigt ein Bericht der Ospar-Kommission (Oslo-Paris-Kommission zum Schutz des Nordost-Atlantiks). "Konservativ geschätzt kommen durch die Schifffahrt noch einmal 10 000 Tonnen hinzu, etwa dieselbe Menge transportieren die Flüsse ins Meer", sagt Dr. Christian Bussau von Greenpeace. Auch wenn das insgesamt "nur" die vier- bis sechsfache Menge dessen ist, was bis vergangene Woche täglich im Golf von Mexiko austrat, sei "die Nordsee hoch belastet".

Über Jahrzehnte ist dort eine Industrie mit fast 1300 Anlagen zur Öl- und Gasförderung, zur Aufbereitung, zur Lagerung und zum Transport gewachsen. 740 von ihnen emittieren mehr oder weniger schädliche Substanzen ins Meer oder in die Luft, etwa 450 sind Förderplattformen. Bussau: "Wir haben in diesem Mai und im Jahr 2008 die Ölfelder überflogen. In den zwei Jahren hat sich nichts getan, die Plattformen stehen nach wie vor in großen Ölteppichen. Je weiter wir nach Norden kamen, desto dreckiger wurde die Förderung. Zudem gilt: Die britischen Plattformen emittieren erheblich mehr Öl als die norwegischen."

500 Meter um die Anlagen ist das Leben am Meeresboden geschädigt

Dies mag erklären, warum norwegische Untersuchungen "nur" in einem Umkreis von 250 Metern um die Plattformen Einflüsse auf die Fauna am Meeresboden gefunden haben, während britische Kollegen sogar noch zwei bis sechs Kilometer von den Anlagen entfernt fündig wurden. Zwar waren untersuchte Speisefische kaum belastet, doch in testweise ausgesetzten Käfigmuscheln reicherten sich die im Rohöl vorkommenden Schadstoffe PAK (polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe) an. "Muscheln filtrieren ihre Nahrung aus dem Wasser und sind deshalb besonders stark von Verschmutzungen betroffen", so Meeresbiologe Bussau. "Ich selbst habe vor einiger Zeit den Meeresboden unterhalb von Förderplattformen untersucht. In einem Umkreis von etwa 500 Metern ist die Bodenfauna stark beeinträchtigt."

Die größte Quelle der Ölverschmutzung ist das Produktionswasser. Öl tritt immer zusammen mit Gas und Wasser auf, deshalb wird ein Gemisch dieser drei Komponenten zutage gefördert. Das Gas wird in riesigen Fackeln ungenutzt verbrannt, das Wasser vom Öl getrennt und ins Meer geleitet. Dabei darf jeder Liter 30 Milligramm Öl enthalten. Im Jahr 2007, aus dem die jüngsten Daten vorliegen, waren es fast 400 Milliarden Liter Produktionswasser.

Die Ölgewinnung in der Nordsee hatte ihren Höhepunkt um die Jahrtauendwende und geht seitdem zurück. Mit zunehmendem Alter der einzelnen Förderung steigt der Wasseranteil. Dieser Nachteil wurde dadurch wettgemacht, dass ein wachsender Teil des Prozesswassers wieder in die Lagerstätte injiziert wurde. Ein anderes Problem ist schwerer lösbar: "Es gibt Bedenken, dass die alternde Infrastruktur das Risiko von Unfällen erhöht", schreibt die Ospar-Kommission im Bericht 2009.

Neben Öl gelangen jährlich 250 000 Tonnen Chemikalien ins Meer

Größere Unfälle gab es bereits: Im April 1977 liefen von der norwegischen Insel "Bravo" acht Tage lang insgesamt 26 000 Tonnen Öl ins Meer. Besonders katastrophal war 1988 der Brand der britischen Plattform "Piper Alpha", bei dem 167 Ölarbeiter ums Leben kamen. Im neuen Jahrtausend gab es nur einen größeren Unfall im Jahr 2007 - von einer norwegischen Plattform liefen knapp 4000 Tonnen Öl aus.

Neben dem Öl gelangen jährlich auch etwa 250 000 Tonnen Chemikalien durch die Plattformen ins Meer. Bussau. "Wenn heute ein toter Wal an die deutsche Küste geschwemmt wird, ist er so schadstoffhaltig, dass Sie ihn als Sondermüll entsorgen müssen. Ein Gutteil der Schadstoffe stammt aus der Ölindustrie."

Ölvermutzungen der Nordsee-Plattformen

Quelle: www.greenpeace.de

Greenpeace-Flug über die Ölförderanlagen in der Nordsee

Quelle: www.greenpeace.de