Rolf-Dieter Heuer, der Generaldirektor der europäischen Großforschungseinrichtung Cern bei Genf, hatte vor einem Jahr mit dem Abendblatt gewettet (wie berichtet), dass der neue Speicherring LHC (Large Hadron Collider) noch im Jahr 2009 die Hälfte "seiner Kraft" entwickelt. Doch der größte Teilchenbeschleuniger der Erde, der am 10. September 2008 unter weltweiter Aufmerksamkeit angefahren worden war, erlitt kurz darauf einen Crash. Bis heute fliegen die Teilchen nicht mit der Energie, die Heuer damals vorausgesagt hat. Als Wetteinsatz hatte er eine Privatführung für einen Abendblatt-Mitarbeiter versprochen. Jetzt war Angela Grosse für das Abendblatt zu Gast in Genf.

Hamburger Abendblatt: Wie kam es dazu, dass Sie die Wette verloren haben?

Prof. Rolf-Dieter Heuer: Wie das passieren konnte, ist mir auch nicht ganz klar. Jedenfalls wette ich so schnell nicht wieder. Aber es gab einige Verzögerungen, und wir konnten neue Techniken entwickeln, um Bauteile des Beschleunigers noch besser zu überprüfen.

Abendblatt: Welche zum Beispiel?

Heuer: Wir haben die Genauigkeit der Messungen, mit der die mehr als 10 000 Verbindungen zwischen den supraleitenden Magneten überprüft werden, um den Faktor 3000 verbessern können. Jetzt wird uns keine dieser mit einem speziellen Verfahren gelöteten Verbindungen noch einmal so einen Schlamassel bescheren wie am 19. September 2008, als keine zehn Tage nach dem Start des LHC der Beschleuniger wegen Ausfall des Kühlsystems ausgeschaltet werden musste.

Abendblatt: Gegenwärtig werden noch Wartungsarbeiten am Beschleuniger und an den Experimenten durchgeführt. Wann werden Sie den Beschleuniger hochfahren?

Heuer: Wir werden Mitte Februar beginnen, den Strahl einzufädeln. Die Protonen, die im LHC kollidieren sollen, werden dabei sehr schnell auf die Hälfte der höchstmöglichen Energie beschleunigt werden. Aus Sicherheitsgründen werden wir noch nicht so viele Teilchen einschießen, wie wir könnten. Der Strahl wird also eine geringere Intensität haben. Wenn wir uns sicher sind, dass alles super läuft, dann werden wir noch in diesem Jahr die Leistung steigern.

Abendblatt: Und wann werden Sie das heiß begehrte Higgs-Teilchen finden, dem wir - so zumindest die Theorie - die Masse im Universum verdanken?

Heuer: Das ist eigentlich eine Frage für die Kristallkugel. Wie schnell wir dieses Teilchen finden können, hängt davon ab, wie schwer es ist. Es könnte bis zu drei Jahre dauern.

Abendblatt: Manchmal erweckt es den Anschein, dass der ganze Cern nur noch LHC ist..

Heuer: Das ist natürlich falsch. Unsere Beschleuniger liefern vielfältige Strahlen, mit denen wir die Struktur des Protons, Materiezustände oder auch exotische Atomkerne untersuchen können. Zudem engagieren wir uns verstärkt im Bereich Aus- und Weiterbildung.

Abendblatt: Sie sind jetzt seit einem Jahr Generaldirektor, wie gefällt Ihnen diese Aufgabe?

Heuer: Das kommt darauf an, wann Sie mich fragen. Im Ernst: Meistens gut. Man kann etwas bewegen, das gefällt mir.

Abendblatt: Der Cern ist 813 Hektar groß, mehr als mehr 75 Fußballfelder. Welcher Ort gefällt Ihnen am besten?

Heuer: Die Kantine. Dort erlebt man, wie alle Menschen, egal woher sie kommen, miteinander ins Gespräch kommen. Das ist phantastisch.