Bei schweren Erkrankungen kann mechanische Entfernung des Blutgerinnsels mithilfe eines Katheters Behandlungsergebnisse verbessern.

Hamburg. Plötzliche halbseitige Lähmungen oder Taubheitsgefühle, Sprach- und Sehstörungen, ein herabhängender Mundwinkel – das sind die typischen Anzeichen eines Schlaganfalls, meistens verursacht durch ein Blutgerinnsel in einer Hirnarterie. Laut der Deutschen Schlaganfallhilfe erleiden pro Jahr knapp 270.000 Menschen in Deutschland einen Schlaganfall. Jeder Fünfte stirbt innerhalb der folgenden vier Wochen daran. Nach Krebs und Herzerkrankungen ist der Schlaganfall die dritthäufigste Todesursache in Deutschland. Jetzt sorgen vier Studien für Aufsehen, in der eine neue Therapie bei Patienten mit schweren Schlaganfällen untersucht wurde.

Eine niederländische Studie, die im „New England Journal of Medicine“ veröffentlicht wurde, hat erstmals belegt, dass der Gesundheitszustand der Patienten verbessert werden kann, wenn zusätzlich zur herkömmlichen Therapie eine Behandlung mit einem Katheter durchgeführt wird. In dieser Mr Clean-Studie mit 500 Patienten hatten alle die Standardtherapie erhalten, bei der ihnen ein Medikament in die Vene gespritzt wurde, das das Blutgerinnsel in der Hirnarterie auflösen sollte (systemische Thrombolyse). Bei 233 dieser Patienten wurde zusätzlich eine Therapie der betroffenen Arterie innerhalb der ersten sechs Stunden nach dem Schlaganfall durchgeführt. In den meisten Fällen wurde dabei das Gerinnsel mithilfe eines Katheters aus dem Blutgefäß entfernt (Thrombektomie). Die Studie ergab, dass mit der Kathetertherapie 33 Prozent der Patienten soweit wieder hergestellt werden konnten, dass sie höchstens noch an leichten Einschränkungen litten, aber ihr Leben ohne fremde Hilfe bewältigen konnten. Von denen, die nur die herkömmliche Therapie erhalten hatten, konnte ein solches Behandlungsergebnis nur bei 19Prozent erzielt werden.

„Weitere drei Studien, die in die gleiche Richtung zielten, sind angehalten worden, weil es ethisch nicht zu vertreten war, den Patienten diese Behandlung vorzuenthalten“, sagt Prof. Jens Fiehler, Direktor der Klinik für Neuroradiologische Diagnostik und Intervention am Universitätsklinikum Eppendorf (UKE). „Die Zwischenergebnisse dieser Studien wurden in der vergangenen Woche auf der Internationalen Schlaganfall-Konferenz in Nashville vorgestellt und sind durchweg positiv. Die Ergebnisse wurden mit Standing Ovations als Sensation gefeiert. Damit ist jetzt auch klar, dass die Methode als Standardbehandlung bei schweren Schlaganfällen in die Internationalen Therapieleitlinien übernommen wird“, sagt Prof. Joachim Röther, Chefarzt der Neurologie der Asklepios-Klinik Altona und Pressesprecher der Deutschen Schlaganfall-Gesellschaft.

Die neue Methode funktioniert folgendermaßen: „Wir schieben einen etwa drei Millimeter dicken Katheter von der Leistenschlagader aus in die Halsschlagader vor. Durch diesen Schlauch führen wir dann einen wesentlich dünneren Katheter bis zu dem Gefäßverschluss und durch das Blutgerinnsel hindurch. Dann wird ein Stent aus einem feinen Metallgerüst entfaltet, der das Blutgerinnsel durchdringt und sich an die Gefäßwand anlegt. Der Thrombus verfängt sich in dem Metallgerüst und das Ganze wird durch den großen Katheter aus dem Blutgefäß herausgezogen. Dabei wird ein Unterdruck erzeugt, damit sich keine Teilchen von dem Blutgerinnsel ablösen und erneut zu einen Gefäßverschluss führen können. Der Eingriff dauert, je nach Schwierigkeitsgrad, 20 Minuten bis eine Stunde“, sagt Fiehler. Die Neuroradiologen im UKE haben im vergangenen Jahr 86 solcher Eingriffe durchgeführt. „Nach der Veröffentlichung der Mr Clean-Studie gehen wir davon aus, dass es in diesem Jahr deutlich mehr sein werden“, sagt Fiehler.

Die Haltung der Fachwelt zu der neuen Methode, die 2009 erstmals praktiziert wurde, bezeichnet Fiehler als sehr gespalten. „Es war zwar klar, dass das Verfahren funktioniert. Aber auf der einen Seite standen diejenigen, die der Meinung waren, es müssten erst in einer Studie die wissenschaftlichen Beweise geschaffen werden, bevor diese Methode breite Anwendung finde. Die andere Seite war von den guten Ergebnissen des Behandlungsverfahrens bereits so überzeugt, dass sie auch ohne weitere Beweise für eine breite Anwendung plädierten.“

2013 wurden drei Studien zu Therapieverfahren in den betroffenen Arterien veröffentlicht, die zu negativen Ergebnissen kamen. Dabei wurde die Standardtherapie, verglichen mit einer Therapie, bei der das Blutgerinnsel direkt in der Arterie mit dem auflösenden Medikament behandelt wurde. „Das ist nicht zu vergleichen mit der Behandlung, die jetzt in den neuen Studien untersucht wurde. Mit dem alten Katheterverfahren konnten nur 60 Prozent der verschlossenen Blutgefäße wieder eröffnet werden. Diese Rate liegt bei dem mechanischen Verfahren mit dem Stent im Durchschnitt bei über 80 Prozent“, sagt Röther.

Um diese neue Therapie durchzuführen, muss vorher eine zusätzliche Untersuchung vorgenommen werden. „Normalerweise wird bei Patienten, die mit einer Schlaganfallsymptomatik kommen, eine Computertomografie (CT) durchgeführt, um eine Gehirnblutung als Ursache auszuschließen. Für die Thrombektomie machen wir jetzt noch eine CT-Angiografie mit einem Kontrastmittel, mit der wir die Blutgefäße vom Abgang aus der Hauptschlagader bis ins Gehirn darstellen können. Das hat den großen Vorteil, dass man schon in der akuten Situation schnell sieht, ob ein großes Gefäß verschlossen ist und ob diese neue Methode der mechanischen Thrombektomie angewendet werden kann“, sagt Röther.

Angewendet werden kann die Therapie nur bei schweren Schlaganfällen, also Patienten mit Halbseitenlähmungen, schweren Sprach- oder Sprechproblemen und Störungen des Bewusstseins. „Man geht davon aus, dass fünf bis sechs Prozent der Schlaganfallpatienten – etwa 10.000 Patienten pro Jahr in Deutschland – dafür infrage kommen. Aber es sind die, die am schlimmsten betroffen sind und gar nicht so selten auch jüngere Patienten“, sagt Röther.

In der Studie kam es aber auch bei einem geringen Teil der Patienten zu Komplikationen. So traten bei 5,6 Prozent der mit dem Katheter behandelten Patienten Schlaganfälle in anderen Hirnregionen auf. Bei denen, die nur eine Thrombolyse erhalten hatten, waren es 0,4 Prozent. „Man darf nie denken, dass eine solche Methode ohne Komplikationen wäre. Aber die Komplikationsrate hängt natürlich wie bei jedem komplexen Verfahren davon ab, wie erfahren die Ärzte sind, die sie durchführen. Ein Anfänger hat eine höhere Komplikationsrate als Spezialisten, die das jeden Tag machen. Außerdem besteht immer das Risiko, dass sich kleine Thromben von Verkalkungen in der Gefäßwand ablösen und ins Gehirn wandern, wenn man bei älteren Patienten einen Katheter durch die Hauptschlagader vorschiebt. Das ist aber eine seltene Komplikation und umso geringer, je erfahrener das Team ist, das so etwas durchführt.

Deswegen sollte dieser Eingriff nur von erfahrenen Spezialisten, den Neuroradiologen, an Zentren vorgenommen werden“, sagt Röther. In Hamburg werde das neue Verfahren invier Kliniken durchgeführt. Neben dem UKE sind das die Asklepios-Kliniken Nord, Altona und Barmbek.