Welche Neuerungen brauchen Menschen wirklich? Hamburger Forscher wollen die Öffentlichkeit frühzeitig miteinbeziehen. Öffentliche Konferenz an der Hamburger Helmut-Schmidt-Universität

Hamburg. Bahnbrechende Entwicklungen begannen oft planlos, ohne jede Marktforschung. Den Physiker Heinrich Hertz etwa trieb bei seinen Experimenten zwar eine Ahnung, doch er orientierte sich nicht an Interessen anderer, als er vor 126 Jahren auf elektromagnetische Wellen stieß. Ohne Hertz gäbe es weder Radio, Fernsehen noch Mobilfunk. Entdecker- und Erfindergeist ist auch heute sehr gefragt, nur kommt in unserer hochtechnisierten Welt kaum noch ein Entwickler um das „Wofür?“ herum. In dem Maße, in dem Technik unsere Welt immer stärker beeinflusst und verändert, nehmen auch Diskussionen darüber zu, welche Technologien sinnvoll sind.

An der Helmut-Schmidt-Universität der Bundeswehr in Hamburg (HSU) beginnt heute eine Konferenz, die eben dieser Fragen nachgehen soll. Das Motto der Tagung lautet: „Technische Unterstützungssysteme, die die Menschen wirklich wollen“. Ausgangspunkt sind zwei Anliegen. Erstens: „Es wird immer noch viel Technik entwickelt, die niemand braucht“, sagt Robert Weidner vom Laboratorium für Fertigungstechnik der HSU. Der Ingenieur hat die Tagung zusammen mit seinem Kollegen Tobias Redlich geplant und organisiert. Als Beispiel für Technik-Flops nennt Weidner das Transrapid-Projekt. Die zum Teil mit Steuergeldern geförderte Magnetschwebebahn sollte in einer Stunde von Hamburg nach Berlin fahren und auch in vielen anderen Ländern erfolgreich sein – tatsächlich in Betrieb ist heute nur eine 30 Kilometer lange Strecke in Schanghai.

Technik soll Menschen unterstützen, sie aber nicht zunehmend ersetzen

Ein weiteres Beispiel für nicht wirklich benötigte Technik sind Weidner zufolge sprithungrige Autos mit 300 PS. Das seien Prestigeobjekte, „die Menschen eigentlich nicht brauchen“. Ebenso wenig erforderlich sei der Kühlschrank, der selbstständig Lebensmittel bestelle. „Das halte ich für völlig sinnlos“, sagt Weidner. „Es führt nur dazu, dass der Nutzer weniger nachdenken und behalten muss.“

Damit kommt der Ingenieur zum zweiten Anliegen der Konferenz: „Wir sollten darauf achten, dass Technik den Menschen unterstützt, ihn aber nicht zunehmend ersetzt“, sagt Weidner. Letzteres sei an bestimmten Stellen zwar durchaus sinnvoll, nämlich dort, wo massenweise das gleiche Produkt hergestellt werde. In der Autoindustrie etwa schweißen Roboter vollautomatisch Karosserien zusammen – viel schneller und womöglich auch besser, als der Mensch es kann.

Es gebe aber auch etliche Bereiche, in denen neue Technik die Fertigung verbessern könnte, ohne den Menschen überflüssig zu machen, sagt Weidner. Zum Beispiel bei Aufgaben in der Mikromontage und Feinwerktechnik, bei denen es auf eine hohe Präzision ankomme. „Hier könnte man sagen: Wir lassen das langfristig nur noch von Robotern erledigen. Oder man entwickelt zum Beispiel eine Datenbrille, die dem Arbeiter Montageschritte anzeigt und ihn darauf hinweist, wenn etwas fehlerhaft montiert wird. Das hilft dem Arbeiter, ersetzt ihn aber nicht.“

Zu sinnvollen technischen Unterstützungssystemen zählt der Ingenieur auch künstliche Exoskelette. Das sind hydraulische Stützstrukturen mit Elektromotoren, die sich zum Beispiel ein Techniker anziehen könnte, um bei der Montage von Flugzeugrümpfen mehr Kraft zu bekommen. Hilfreich könnten Exoskelette auch in der Medizin und der Pflege sein. Einige Krankenhäuser erproben solche Geräte bereits, um Patienten bei Bewegungen zu unterstützen. Aber was hält die Öffentlichkeit von solchen Ansätzen? Um das zu erfahren, haben HSU-Forscher Weidner und sein Kollege Redlich nicht nur Professoren und Nachwuchswissenschaftler eingeladen, sondern auch Akteure aus der Industrie, der Politik und Verbänden sowie interessierte Laien. „Wir sind zum Beispiel auf Pflegeheime und Seniorenverbände zugegangen, um einen größeren Kreis anzusprechen“, sagt Weidner. Nun erwarten die beiden Ingenieure etwa 180 Teilnehmer. Etliche von ihnen meldeten sich über die Akademie der Wissenschaften in Hamburg an, die die Tagung fördert.

Ministerin Wanka ist für den verstärkten Dialog zwischen Forschern und Bürgern

Das Thema treibt auch die Deutsche Akademie der Technikwissenschaften (Acatech) um. Die diesjährige Festveranstaltung des Vereins am 4.November in Berlin trug den Titel „Wie die Gesellschaft Technik gestaltet“. Zu den Rednern gehörte Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung und Forschung. „Unser Land ist nicht nur führend bei Innovationen und Hightech, unsere Gesellschaft bringt auch ein großes Interesse für diese Themen mit. Gerade deshalb ist es wichtig, den Dialog zwischen der Forschungswelt und den Bürgerinnen und Bürgern zu stärken“, sagte Wanka.

Bei der Acatech gibt es einen eigenen Arbeitskreis, der sich mit Technikkommunikation beschäftigt. „Wir wollen die Öffentlichkeit frühzeitig in die Entwicklung und Bewertung von Technik einbinden“, sagt Marc-Denis Weitze, Leiter der Technikkommunikation bei Acatech. Als Beispiel nennt er ein Projekt, das sich mit künstlicher Photosynthese beschäftigt.

Der Hintergrund ist, dass auch modernste Solarzellen bisher nur fünfzehn bis zwanzig Prozent der aufgenommenen Lichtenergie in elektrischen Strom umwandeln können. Pflanzen hingegen sind sehr viel besser darin, aus Sonnenlicht Energie zu gewinnen, deshalb gibt es verschiedene Ansätze, sie zu kopieren oder sie energetisch nutzbar zu machen. Einer davon ist der Versuch, organische Elektronik zu konstruieren. Es gibt auch den Ansatz, Pflanzen, etwa Algen, gentechnisch so zu „optimieren“, dass sie möglichst viele energetisch nutzbare Stoffe produzieren, zum Beispiel Kohlenwasserstoffe, die als Kraftstoff verwendet werden können.

Die Frage ist allerdings: Sind gentechnisch veränderte Pflanzen akzeptabel, sofern sie nicht als Lebensmittel dienen, sondern zur Energieversorgung beitragen? Solche Fragen will Acatech auch 2015 in kleinen Gruppen mit Bürgern und Forschern diskutieren. „Noch ist künstliche Photosynthese Zukunftsmusik“, sagt Weitze. „Aber gerade deshalb ist es wichtig, schon jetzt über Chancen und Risiken zu sprechen.“

Veranstaltungs-Tipp: Bei der Konferenz an der Helmut-Schmidt-Universität findet am Dienstag, 16. 12., von 13.15 bis 15 Uhr in der Aula der Hochschule eine öffentliche Podiumsdiskussion statt, in der es um technische Unterstützungssysteme gehen wird (Holstenhofweg 85, 22043 Hamburg). Eine Anmeldung ist nicht nötig.