Die Zwiebel hilft bei Erkältungen und Insektenstichen. Nach der Tomate ist sie das weltweit zweitwichtigste Gemüse, wohl auch wegen ihrer Vielseitigkeit.

Tränende Augen bei der Zubereitung, rumorender Darm nach dem Genuss: Die bekanntesten Wirkungen von Küchenzwiebeln auf den menschlichen Körper deuten nicht gerade auf heilende, die Gesundheit fördernde Eigenschaften des Nahrungsmittels hin. Doch schon die alten Ägypter, Griechen und Römer wussten vor rund 3000 Jahren von der Heilkraft der Zwiebel. Im kommenden Jahr trägt das vielschichtige Gemüse den Titel „Heilpflanze des Jahres“.

„Die Zwiebel beziehungsweise ihre verschiedenen Extrakte wirken beispielsweise verdauungs- und auswurffördernd, entzündungshemmend und blutdrucksenkend“, schreibt der Münchner Verein zur Förderung der naturgemäßen Heilweise nach Paracelsus. Er verleiht alljährlich den Titel Heilpflanze des Jahres und will mit seiner Wahl für 2015 darauf hinweisen, dass die Zwiebel mehr ist als bloßes Lebensmittel oder würzende Zutat.

Das Lauchgewächs ist eine uralte Kulturpflanze, die schon vor 5000 Jahren angebaut wurde. Ihre Wurzeln hat sie wohl in Mittelasien und machte von dort aus Karriere um die ganze Welt. Die Römer brachten sie nach Mitteleuropa. Nach historischen Schriften gab es im Römischen Reich schon vor Christi Geburt Zwiebel- und Knoblauchgärten. Ihr botanischer Name Allium cepa leitet sich vom lateinischen Cepula (Zwiebelchen, auch Köpfchen) ab und spielt auf ihre runde Form an.

Heute gibt es die Esszwiebel als weiße, gelbe und mildere rote Varianten. Schalotten und Lauchzwiebeln sind eigene Arten, gemeinsam gehören sie zur Gattung Lauch (Allium). „Die Zwiebel ist weltweit das zweitwichtigste Gemüse. Nur Tomaten werden noch mehr verzehrt“, sagt Dr. Petra Schwarz, Leiterin des Loki-Schmidt-Hauses, des Nutzpflanzen-Museums in Klein Flottbek. In Deutschland werden Zwiebeln auf etwa 9000 Hektar angebaut. Jeder Bundesbürger verspeist durchschnittlich sieben Kilogramm im Jahr. Hierzulande ist das Gemüse im frühen Mittelalter historisch belegt: In der Landgüter-Verordnung Karls des Großen („Capitulare“) aus dem neunten Jahrhundert sind Zwiebeln erwähnt.

„Wie andere Pflanzen nutzt die Zwiebel Zucker als Speicherstoff für überschüssige Energie. Sie hat deshalb einen süßlichen Geschmack. Doch dieser wird überdeckt von dem scharf-würzig schmeckenden Alliin“, erläutert Schwarz. „Wenn Sie beim Zwiebelschneiden das Gewebe verletzen, entstehen verschiedene Schwefelverbindungen, die den typischen, tränenreizenden Geruch verursachen.“ Dabei gilt die Regel: je schärfer das Messer, desto weniger treibt die Arbeit Tränen in die Augen. Es bleiben dann mehr Zellen unversehrt, denn die Zwiebel wird beim Schnitt weniger stark gedrückt.

Zwiebeln sind aus der Küche kaum wegzudenken, sei es als Beiwerk zu Bratkartoffeln und Fleischgerichten, als Hauptdarsteller in der Suppe oder im Zwiebelkuchen, zu Käse oder karamellisiert als Beilage, in Quark und Brot oder eingelegt als Silberzwiebeln. Die Webseite Chefkoch.de enthält mehr als 72.000 Zwiebelrezepte. Darunter findet sich Zwiebelsirup gegen Husten und Bronchitis: Eine in Würfel geschnittene Zwiebel mit Honig (und eventuell, je nach Zähigkeit, etwas warmem Wasser) vermischen und ein paar Stunden oder über Nacht in einem geschlossenen Glas stehen lassen.

„Meine Mutter hat immer geschnittene Zwiebelstückchen eingezuckert und in ein Fach im Kachelofen gestellt, wenn wir Kinder krank waren“, erinnert sich Petra Schwarz. „Nach ein paar Stunden konnte man die weich gewordenen Zwiebeln mit einem Esslöffel herunterdrücken und den in den Löffel gelaufenen Sirup einnehmen. Das taten wir dreimal am Tag. Eine Tasse reichte für uns zwei Kinder drei Tage, dann wurde bei Bedarf die nächste Tasse angesetzt. Auch ich habe meinen beiden Kindern bei Erkältungen Zwiebelsirup gegeben, bis sie aus dem Gröbsten heraus waren.“

Der Inhaltsstoff Allicin, der aus Alliin in verletzten Zellen gebildet werde, sei ein natürliches Antibiotikum, so Schwarz. Die Kehrseite der Medaille: Die heilenden Kraft entfaltet sich besonders gut, wenn die Zwiebel roh gegessen wird. Wer Probleme mit dem durchdringenden Geschmack hat und dennoch ein Hausmittel gegen Erkältung sucht, kann sich vielleicht einen Apfel-Zwiebel-Tee aufbrühen.

Die Zwiebel wirke auch gegen Appetitlosigkeit und beuge altersbedingten Gefäßveränderungen vor, betonen die Münchner Paracelsus-Anhänger. Andere Heilpflanzenexperten setzen Zwiebelprodukte gegen hohen Blutdruck oder geschwollene Füße, bei Fieber oder Halsentzündungen ein. Sehr bekannt ist die äußerliche Anwendung von aufgeschnittenen Zwiebeln, um Insektenstiche zu lindern. „Die in der Zwiebel enthaltenen Enzyme verhindern das Jucken und wirken entzündungshemmend. Dazu sollte die Zwiebelhälfte sofort auf die Einstichstelle aufgelegt werden“, sagt Dr. Sibylle Adam, Ernährungswissenschaftlerin an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg (HAW).

Zum Wickel verarbeitet, lindern Zwiebeldünste Schmerzen einer Mittelohrentzündung. Zwiebel-Wasser soll sogar gegen Haarausfall helfen. Mit dem Kochwasser von Zwiebelschalen lassen sich Haare zumindest braun färben, ebenso Ostereier. Sibylle Adam sieht die heilenden Wirkungen auf diese traditionellen Anwendungen begrenzt: „Das, was aus der großmütterlichen Medizin bekannt ist, hat sich bewehrt. Aber Aussagen, dass Zwiebeln Krankheiten, womöglich sogar Krebs heilen, lehne ich ab. Da fehlen die wissenschaftlichen Studien.“

Und als Prävention? Allgemein senke eine Ernährung mit viel Obst und Gemüse – Zwiebeln inklusive – das Risiko, an Krebs zu erkranken, so Adam. Zudem enthalten Zwiebeln viel Vitamin C. Manche Kapitäne ließen im 15., 16. und 17. Jahrhundert ihre Besatzungen rohe Zwiebeln essen, da deren hoher Vitamingehalt Skorbut vorbeugte, an dem viele Seeleute starben. Verbreiteter (und vermutlich auch beliebter) waren jedoch Sauerkrautfässer oder Zitrusfrüchte als Vitaminlieferanten auf See. Die Mineralstoffe Kalium, Mangan, Kobalt, Fluor, Magnesium und Kieselsäure vervollständigen die Heil bringenden Inhaltsstoffe der Zwiebel. Dabei gilt (wie bei anderem Obst und Grünzeug) die Regel: Je frischer, desto gehaltvoller. Zwiebeln sollten deshalb kühl und trocken gelagert werden, rät Adam.

Am zweiten Oktober-Wochenende laden rund 600 Marktstände im thüringischen Weimar traditionell zum Zwiebelmarkt ein, dem nach Aussagen der Stadt größten Volksfest des Bundeslandes – mit Zwiebelmarktkönigin, die eine Krone aus einer geflochtenen Zwiebelrispe trägt. Die Kulturstadt führt ihren berühmtesten Sohn Johann Wolfgang von Goethe ins Feld, um die Bedeutung der Zwiebel hervorzuheben: „Für Goethes Verbundenheit mit dem Markt gibt es viele Beispiele. So ließ er die gekauften Zwiebelrispen an seinem Schreibtisch befestigen, schmückte sein Haus mit ihnen und lobte die gesundheitsfördernde Wirkung der Zwiebel.“