Der medizinische Einsatz von Tieren ist in Mode. Ärzte und Patienten begeistern sich, dass Blutegel, Würmer und andere Tiere Krankheiten heilen könnten. Doch die Wirksamkeit bleibt umstritten.

Berlin. Fliegenmaden und Blutegel sind Heilmethoden aus uralten Zeiten. Tiere sollten vollbringen, was der Mensch nicht vermochte. Das war lange vor der modernen Medizin. Doch diese moderne Medizin hat Vertrauen verloren, und inzwischen begeistern sich Ärzte und Patienten wieder für die Idee, Parasiten und andere Tiere könnten Krankheiten heilen. Doch so sehr die verschiedenen Ansätze beworben werden, so ernüchternd sind häufig die Prüfergebnisse aus dem Labor.

Die Larven der Schmeißfliegengattung Lucilia sericata beispielsweise werden eingesetzt, um schlecht heilende Wunden zu säubern. Es wird sogar behauptet, dass sie multiresistente Keime bekämpfen könnten. Doch Patienten klagten nach der Behandlung mit den Larven über deutlich mehr Schmerzen.

Daraufhin prüfte eine Gruppe Wissenschaftler, wie sich die Maden auf ein nachgebautes Hautmodell auswirkten. Die Hoffnung, die Tiere könnten multiresistente Keime reduzieren oder die Wundheilung beschleunigen, wurden bei genauer Untersuchung nicht erfüllt.

Maden können keine Haut heilen

Ebenso populär ist der medizinische Einsatz von Blutegeln. Die Tiere geben Speichel in die Bissstelle ab, der entzündungs- und schmerzlindernde Stoffe enthält. Das Saugen soll die Durchblutung verbessern und die Überlebenswahrscheinlichkeit wieder angenähter Finger verbessern.

Tatsächlich wiesen Laser-Doppler-Flussuntersuchungen eine bessere Durchblutung um die Bissstelle des Blutegels nach. Das Anlegen der Tiere am Knie soll auch Arthroseschmerzen lindern. Doch können Forscher bislang keine eindeutige Aussage treffen, ob es sich dabei nicht um einen Placeboeffekt handelt.

Nebenwirkungen und Komplikationen sind bei der Blutegeltherapie keine Seltenheit. Das Hauptproblem sind Infektionen mit Bakterien. Gelangen sie in Wunden, kann das zum Absterben des Gewebes führen, und eine Amputation wird nötig. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) empfiehlt, die Übertragungsgefahr durch vorsorgliche Antibiotikaeinnahme zu minimieren.

Bauernkinder leiden unter weniger Allergien

Das Medikament hilft allerdings nicht gegen die Übertragung von Viren oder anderen Erregern, die vom Tier auf den Menschen übergehen können. Wichtig ist, dass die Tiere im Labor unter keimfreien Bedingungen gezüchtet und nur einmal eingesetzt werden.

Besonders populär ist die These, dass Kinder für eine gesunde Entwicklung den Kontakt zu Tieren bräuchten. Dahinter steckt die Hygienetheorie, nach der ein zu großes Maß an Hygiene und der damit verbundene Mangel an Keimen zu Fehlfunktionen des Immunsystems führen. Das untrainierte Abwehrsystem, so die Vermutung, begünstige Allergien, da es hypersensibel auf Eindringlinge reagiert. Tatsächlich zeigten Studien, dass Kinder, die auf Bauernhöfen aufwachsen, weniger unter Allergien leiden.

Auch Mäuse, deren Trinkwasser mit Staub aus Hundehaushalten versetzt wurde, entwickelten weniger Allergiesymptome in den Atemwegen als eine Kontrollgruppe mit sauberem Wasser. Die beteiligten Forscher vermuten, dass es die verschiedenen Keime sind, die ein Hund beim Gassigehen einsammelt und in der Wohnung verliert und die über den Mund in den Darm gelangen und dort das Immunsystem „trainieren“.

Wissenschaftler raten Allergikerfamilien ab

Doch viele noch nicht geklärte Zusammenhänge spielen bei der Herausbildung und Prävention von Allergien eine Rolle. Und ob sich aus den vorliegenden Erkenntnissen wirklich Empfehlungen ableiten lassen, ist umstritten. Denn niemand kann bislang wirklich sagen, wie sich ein Haustier auf die Entwicklung einer Allergie auswirkt. Wissenschaftler raten Allergikerfamilien davon ab, sich ein Felltier nur deswegen anzuschaffen, um den Nachwuchs abzuhärten. Vermutlich spricht nichts gegen einen Hund im Haushalt. Von Katzen, deren Speichel als hoch allergen gilt, wird derzeit aber eher abgeraten.

Ebenfalls der Hygienehypothese folgend, prüften Mediziner gerade, ob eine Infektion mit Schweinepeitschenwürmern Menschen mit autoimmunen Darmerkrankungen (zum Beispiel Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa) helfen kann. Der schmarotzende Darmbewohner übt eine gewisse Kontrolle auf die Entwicklung und Reifung von Immunzellen im Körper aus. Die Wissenschaftler hofften, dass er das Immunsystem positiv beeinflusst. Ein Hinweis darauf gab die geringe Zahl von Morbus-Crohn- und Ulcerosa-Kranken in Entwicklungsländern, in denen große Teile der Bevölkerung die Mitbewohner im Darm beherbergen.

Therapiehunde etablieren sich

Doch Studienleiter Jürgen Schölmerich, Darmspezialist und Ärztlicher Direktor des Uniklinikums Frankfurt, ist von den Studienergebnissen ernüchtert: „Das Thema ist durch, die Wurmeier wirken nicht besser als ein Scheinmedikament.“ Erstaunlich aber sei der sehr hohe Placeboeffekt: 40 Prozent der Patienten ging es besser, bis hin zu Spontanheilungen. Das galt sowohl für die tatsächlich Infizierten wie auch für die Kontrollgruppe, die nur glauben gemacht wurde, die Darmbewohner in sich zu haben. Zumindest psychologisch scheinen die Tiere also einen starken Effekt zu haben.

Die menschliche Psyche scheint tatsächlich für heilende Effekte von Tieren sehr empfänglich zu sein. Immer mehr etablieren sich neben Spür- und Rettungshunden auch Therapiehunde, die bei Attentaten oder schweren Unglücken zum Einsatz kommen. „Die Hunde haben ein besonderes Gespür, sie scheinen zu merken, wem es gut geht, wer Angst vor ihnen hat und wer sie braucht. Da ziehen sie uns hin“ berichtete eine Hundeführerin, die nach dem Amoklauf in Newtown, USA, mit ihren Tieren vor Ort war.

Auch lange Zeit nach einem Trauma sind die Betroffenen noch stark eingeschränkt. Sie entwickeln Angststörungen und Depressionen, ziehen sich zurück, haben Probleme mit Nähe und dem Funktionieren im Alltag. Hier helfen ausgebildete Begleithunde; diese gehen einerseits aktiv auf andere Menschen zu, bieten aber gleichzeitig emotionale Unterstützung. Außerdem helfen sie ganz praktisch, indem sie Betroffene aus Albträumen wecken oder sie bei Panikattacken in der Öffentlichkeit nach Hause bringen.

Kontakt mit Tieren ist positiv

Dass Tiertherapien und Aktivitäten mit Tieren bei psychischen oder schweren psychiatrischen Erkrankungen hilfreich sind, deutet sich in vielen Forschungsarbeiten an. Betroffene haben nach einer solchen Behandlung weniger depressive Symptome, fühlten sich weniger einsam oder ängstlich und gingen mehr aus sich heraus. Der Kontakt mit den Tieren hatte auch positive Auswirkungen auf Blutdruck und Herzschlag. Und sogar Schmerzen bei Kindern verringerten sich. Doch bei der Sichtung aller existierenden Studien zu tiergestützten Therapien kam eine Forschergruppe aktuell zu dem Ergebnis, dass es an verlässlichen Daten mangelt.

Es gibt viele Möglichkeiten, Tiere für den Menschen gewinnbringend einzusetzen. Doch nicht alle Methoden sind erwiesenermaßen wirksam. Der Placeboeffekt scheint recht hoch zu sein, die Anwender profitieren also weniger von den Tieren als vom Glauben, dass diese helfen könnten. Vermutlich werden dadurch Selbstheilungskräfte aktiviert. Wer also Tieren lieber mit Abstand begegnet oder Maden oder Blutegel nicht unbedingt auf seiner Haut krabbeln lassen möchte, kann getrost darauf verzichten. Es ist nicht erwiesen, dass man ohne sie schlechter dran ist.