Fortschritte bei der Immuntherapie sind ein zentrales Thema der Jahrestagung für Hämatologie und Onkologie in Hamburg. Rund 5000 Teilnehmer werden fünf Tage über die neuesten Ergebnisse diskutieren.

Hamburg. Wie können Ärzte das Immunsystem von Krebspatienten in die Lage versetzen, sich gegen den Tumor wirksam zur Wehr zu setzen? Die Immuntherapie in der Krebsbehandlung ist eines der zentralen Themen der Jahrestagung für Hämatologie und Onkologie, die heute im CCH beginnt. Dort werden rund 5000 Teilnehmer aus dem gesamten deutschsprachigen Raum fünf Tage lang die neuesten Ergebnisse ihres Fachgebiets diskutieren.

Besonders in der Immuntherapie haben sich in den vergangenen Jahren neue Wege aufgetan. „Der Grund dafür ist, dass man wichtige Kontrollpunkte im Immunsystem besser verstanden und gezielt Medikamente entwickelt hat, um diese auszuschalten“, sagt Prof. Carsten Bokemeyer, Direktor der Klinik für Onkologie und Hämatologie am Universitätsklinikum Eppendorf (UKE) und Präsident des Kongresses.

Ziel der Medikamente sind dabei Regulationsmechanismen des Immunsystems, die der Tumor selbst nutzt, um sich gegen die körpereigene Abwehrreaktion des Patienten zu schützen. „Denn Tumoren werden vom Immunsystem geduldet, wenn sie die Abwehrzellen bremsen, die den Krebs sonst zerstören würden. Dabei benutzen die Tumorzellen Signale des Immunsystems, die auch der Körper benutzt, um Angriffe der Abwehrzellen auf körpereigenes Gewebe, sogenannte Autoimmunreaktionen, zu unterdrücken“, erklärt Bokemeyer.

Nun haben Forscher einige dieser Signale identifiziert und Wege gefunden, sie durch Medikamente zu blockieren. „Dadurch sind die Immunzellen wieder aktiv gegen die Tumorzellen geworden. Und wir können einen Teil der Krebspatienten jetzt besser behandeln“, sagt Bokemeyer. Es scheine sich dabei um ein generelles Therapieprinzip zu handeln, das deshalb bei vielen Krebserkrankungen funktioniere.

Zunächst zeigte sich Bokemeyer zufolge beim schwarzen Hautkrebs (Melanom), für den solche Medikamente heute bereits zur Verfügung stehen. „Man sieht jetzt in der Klinik, dass mithilfe der Onko-Immuntherapie Patienten mit einem Melanom in Krankheitsstadien, in denen früher alle Patienten gestorben sind, deutlich länger überleben können.“

Bei anderen Tumorarten werde diese Therapie im Moment intensiv getestet. „Am UKE prüfen wir solche Ansätze beispielsweise bei Nierenkrebs, Blasenkrebs und Lungenkrebs“, sagt der Mediziner. „Bei einigen Tumorarten zeigt sich, dass es in einer Situation, in der man früher keine andere Behandlungsmöglichkeit mehr hatte, unter einer solchen Therapie in 30 bis 50 Prozent der Fälle zu einer Rückbildung des Tumors kommt.“

Wie gut die Langzeitergebnisse seien, werde auf dem Kongress diskutiert

Wie gut die Langzeitergebnisse seien, wie man die Erkenntnisse in neue Therapiestrategien umsetze, mit neuen möglichen Nebenwirkungen umgehe und frühzeitig identifiziere, welcher Patient am ehesten von einer solchen Therapie profitiere, werde auf dem Kongress diskutiert, sagt Bokemeyer. Denn durch das Ausschalten dieser Kontrollpunkte des Immunsystems besteht als Nebenwirkung die Gefahr von Autoimmunerkrankungen, zum Beispiel des Darms oder der Schilddrüse. Deswegen ist das Ziel, diese Punkte des Immunsystems möglichst zielgenau und wohldosiert auszuschalten und gleichzeitig zu verhindern, dass die Reaktion überschießt.

Trotz solcher Probleme, die noch nicht gelöst sind, gehen Krebsmediziner davon aus, dass die Immuntherapie eine weitere Säule der Krebsbehandlung werden wird – neben Operationen, Chemotherapie und Strahlentherapie. „Es ist aber noch schwer abzuschätzen, wie diese Therapie die Gesamtheilungsraten bei Krebs verbessert“, sagt Carsten Bokemeyer. „Wenn man generell die Krebsheilungsrate der letzten 30 Jahre sieht, hat sie sich von 40–50 Prozent auf etwa 60–70 Prozent erhöht. Durch diese neuen Verfahren könnte sie möglicherweise nochmals um zehn Prozent steigen.“

Am Beispiel der Immuntherapie wird auch deutlich, wie eng die Beziehungen zwischen dem Tumor und dem Gewebe sind, das ihn umgibt. „Wir müssen nicht nur den Tumor behandeln, sondern auch die Tumorumgebung. Denn in den vergangenen Jahren haben wir gelernt, dass es zwischen dem Tumor und den ihn umgebenden Zellen, zum Beispiel für die Blutversorgung, enge Interaktionen gibt“, erläutert der Mediziner. „Der Tumor ist klug genug, Botenstoffe von all diesen Zellen für sein Wachstum zu nutzen. Wie sich das besser blockieren lässt, wird auch Thema des Kongresses sein“, sagt Bokemeyer.

Übergewicht ist ein großer Risikofaktor, der den Tumor wachsen lässt

In diesem Zusammenhang hat sich auch gezeigt, dass Übergewicht ein großer Risikofaktor ist, der das Tumorwachstum begünstigt. „Denn in einem umgebenden Gewebe mit sehr vielen Fettzellen können einige Tumoren besser wachsen, weil die Fettzellen bestimmte Botenstoffe produzieren“, erläutert der Krebsspezialist. „In Studien wurde festgestellt, dass der Krankheitsverlauf von Darmkrebs und Brustkrebs bei Übergewichtigen viel schlechter ist und dass sogar die Sterblichkeitsrate bei Übergewichtigen mit dieser Krebsform um ein Drittel höher liegt als bei Normalgewichtigen. Auch bei Nierenkrebs gibt es einen solchen Zusammenhang.“

Ein weiteres Schwerpunktthema des Kongresses ist die Entwicklung bei der Behandlung von Lymphdrüsenkrebs. „Da hat sich in den letzten Jahren sehr viel getan, weil Medikamente gegen bestimmte spezifische Merkmale auf den Tumorzellen entwickelt wurden“, sagt Bokemeyer. Denn heute werde kaum ein Lymphom allein mit einer Chemotherapie behandelt, sondern zusätzlich mit Antikörpern, die den wichtigsten Rezeptor hemmen, den diese Zellen auf ihrer Oberfläche haben, und damit ihr Wachstum. „Das hat im Vergleich zu früheren Zeiten, in denen man allein die Chemotherapie gemacht hat, die Ergebnisse deutlich verbessert“, sagte Bokemeyer.

Der Mediziner nennt ein Beispiel: „Wenn früher ein sogenanntes aggressives Lymphom mit Chemotherapie allein zu 50 Prozent heilbar war, so ist es heute durch die Kombination der Chemotherapie mit solchen neuen Verfahren zu 70–75 Prozent langfristig heilbar“, so Bokemeyer. Gleichzeitig sei klar geworden, dass sich hinter dem Begriff Lymphdrüsenkrebs nicht nur eine Krankheit, sondern viele Krankheitstypen verstecken, sodass zunehmend unterschiedliche Behandlungskonzepte für die einzelnen Formen von Lymphdrüsenkrebs entwickelt wurden. „Diese zielgerichteten Therapien machen die Behandlung erfolgreicher und gleichzeitig auch besser verträglich“, sagt der Krebsspezialist.

Es gibt Fortschritte, die die Nebenwirkungen der Chemotherapie reduzieren

Auch in der Chemotherapie, die für die Patienten sehr belastend ist, gibt es Fortschritte. „Die Begleittherapien, die die Nebenwirkungen der Chemotherapie reduzieren, konnten deutlich verbessert werden, sodass Übelkeit und Erbrechen sowie die Infektanfälligkeit bei solchen Therapien heute im Vergleich zu vor zehn bis 15 Jahren ein wesentlich geringeres Problem sind“, sagt Bokemeyer. Zudem seien neue Chemotherapeutika entwickelt worden, die so verträglich seien, dass sie auch als Langzeittherapie eingesetzt werden können.

Das komme vor allem Menschen zugute, bei denen die Krebserkrankung schon fortgeschritten sei, sagt der Mediziner. Denn dank der neuen Therapien könnten immer mehr Patienten, die bereits Metastasen haben, so behandelt werden, dass sie bei guter Lebensqualität lange mit der Krankheit leben können.

Es gebe Beispiele bei bestimmten Formen von Krebserkrankungen, bei denen die Überlebenszeit von einem halben Jahr auf bis zu zehn Jahre und länger gestiegen sei, sagt Bokemeyer: „Man hat den Eindruck, dass in vielen Bereichen alle paar Jahre ein weiterer Schritt getan wird, der die Überlebenszeit wieder um einige Monate bis sogar Jahre verlängert und so auch unheilbare Krebserkrankungen zu einer chronischen Erkrankungsform werden.“

Veranstaltungstipp:

Im Rahmen des Kongresses findet in Hamburg auch ein Krebspatiententag statt. Am 12. Oktober stehen in der Hamburger Bucerius Law School, Jungiusstraße 6 von 10 bis 16.15 Uhr Krebsexperten und Vertreter von Patienten-organisationen in Vorträgen und Workshops sowie an Informationsständen für Fragen zur Verfügung. Auf dem Programm stehen Vorträge zu den Themen „Ernährung und Krebs“, „Sport und Krebs“ sowie „Komplementärmedizin und Onkologie“. Die Teilnahme ist kostenlos, eine Anmeldung nicht nötig. Infos: www.haematologie-onkologie-2014.com, Menüpunkt „Patiententag“.

Ausgezeichnet

Für seine Forschung ist Prof. Carsten Bokemeyer vor kurzem mit dem ESMO-Award der europäischen Krebsgesellschaft ausgezeichnet worden. Er bekommt den Preis für die wissenschaftlichen Arbeiten bei Tumoren des Hodens und des Magen-Darm-Taktes und insbesondere für die konsequente Übertragung dieser Erkenntnisse in die Entwicklung neuer und vor allem besserer Behandlungskonzepte für Patienten mit diesen Erkrankungen.

Der Preis wird seit 1985 jährlich an Mitglieder der Fachgesellschaft vergeben, die Außerordentliches für die Entwicklung der Onkologie geleistet haben. Prof. Bokemeyer sei ein Vordenker auf dem Gebiet der Onkologie, so die Begründung der Fachgesellschaft.