Hamburger Forscher erkunden, wie sich die Gezeitenenergie im Ozean verteilt und klimarelevante Meeresströmungen beeinflusst

Wer an einem warmen Sommerabend auf das glatte Meer blickt, kann sich oft nur schwer vorstellen, dass unsere Ozeane eigentlich nie zur Ruhe kommen. Drei Dinge halten sie in Bewegung: Der Wind, der das Wasser an der Oberfläche vor sich hertreibt. Unterschiedliche Temperaturen und Salzgehalte im Meer, durch die kalte, schwere Wassermassen in die Tiefe sinken und warmes Wasser nachströmt. Und schließlich die Gezeiten, die entstehen, weil die Erdrotation und die Massenanziehung von Mond und Sonne die Weltmeere in Bewegung halten.

Alle drei Bewegungsmuster beeinflussen unser Klima, denn Meeresströmungen sind wichtige „Transportbänder“ für Energie und Wärme. So bringt beispielsweise der Golfstrom Wärme aus dem Golf von Mexiko bis ins europäische Nordmeer und sorgt bei uns für milde Temperaturen. Anders als der Wind, der nur die oberen Schichten durchmischt, und das Absinken kalter Wassermassen, das nur in bestimmten Regionen stattfindet, erfasst die Gezeitenbewegung den gesamten Ozean. Sie reicht bis auf den Grund, also bis in Meerestiefen von mehreren Tausend Metern.

Der Meeresboden ist es, der diese Bewegung für Klimamodelle schwer berechenbar macht. So sind die Ozeane nicht nur unterschiedlich tief, sondern auch von zahlreichen Gräben, Rücken, und Abhängen durchzogen. Jedes Mal, wenn die Gezeitenwelle hier auf ein Hindernis stößt oder sich auch nur am Boden reibt, wird sie gebremst, geteilt, umgelenkt und manchmal auch beschleunigt – etwa wenn das Wasser durch eine enge Schlucht am Boden strömen muss.

Reichweite und Energie dieser „tiefen Wellen“ und ihre Wechselwirkung mit dem Meeresboden sind für die Klimaforschung wichtige Größen. Sie beeinflussen Strömungen und Wärmetransport im Ozean wesentlich mit – und damit das Klima. Gleichzeitig wirken sie mit dem Anstieg des Meeresspiegels zusammen. Schon das erste in Hamburg in den 1950er-Jahren entwickelte Rechenmodell war ein Gezeitenmodell für die Nordsee. Dennoch dauerte es bis in die 2000er-Jahre, bis internationale Forschergruppen Rechenmodelle entwickeln konnten, die diese Prozesse weltweit abbilden.

Am Centrum für Erdsystemforschung und Nachhaltigkeit haben wir solche weltweiten Gezeitenmodelle jetzt erstmals systematisch verglichen und bewertet. Ergebnis sind globale Karten, die zeigen, wo und wie sich verschiedene Gezeitenmuster überlagern, wo der Input an Energie besonders hoch oder niedrig ist. Im zweiten Schritt haben wir mit unserem Modell HAMTIDE die sogenannte Energiedissipation berechnet. Die Ergebnisse zeigen, wie sich die Gezeitenenergie im Ozean verteilt, welche Wege sie nimmt und ob klimarelevante Meeresströmungen eher verstärkt oder gemindert werden.

Seit den 1970er-Jahren hat sich viel getan: Wir verfügen heute, bis auf wenige Ausnahmen, über umfassende Daten, was die Topografie des Meeresbodens anbelangt, und außerdem über detaillierte Gezeitenbeobachtungen an der Oberfläche. Gleichzeitig sind unsere Modelle heute ausreichend leistungsfähig, um beides zusammenzuführen und die komplexe Energieverteilung und -bewegung im Ozean immer besser abzubilden. Gelingt es uns, diese Erkenntnisse in die globalen Klimaberechnungen einzubeziehen, ist dies ein großer Schritt vorwärts.