Wir reden mit vier Schnäbeln und hören mit vier Ohren, meint der Hamburger Psychologe Friedemann Schulz von Thun. Das führt leicht zu Missverständnissen

Hamburg. Er ist in Deutschland der Altmeister zum Thema gelingende Kommunikation: Friedemann Schulz von Thun, 70, hat mit seinem mehr als 1,3 Millionen Mal verkauften Klassiker „Miteinander reden“ auf verständliche Weise dargelegt, warum Gespräche so oft misslingen und wie wir es besser machen können. Am Freitag legt der Hamburger Psychologe gemeinsam mit dem Tübinger Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen ein Buch vor, das die Anwendbarkeit seiner Forschung auf verschiedenste Lebensbereiche zeigt – von der Erziehung bis zum Umgang mit dem Tod.

Schulz von Thun hat ein prägnantes Beispiel für sein Modell der „vier Seiten einer Botschaft“ gefunden: Der Mann auf dem Beifahrersitz sagt zu seiner am Steuer sitzenden Frau: „Die Ampel ist grün.“ Der Satz enthält eine Sachbotschaft, das ist die erste Dimension. Er kann aber auch weit mehr be- oder andeuten. Er kann als Appell gelten („Fahr endlich los“), als eine Selbstkundgabe („Ich habe es eilig“) und als Beziehungsbotschaft („Ich fahre viel besser Auto als du“). Und diese „vier Schnäbel“ beim Sender haben ihr Pendant in „vier Ohren“ beim Empfänger. Wenn hier nicht der richtige Schnabel das richtige Ohr trifft, geht Kommunikation schief – ein Einfallstor für Streit und Missverständnisse.

Auf gut 200 Seiten eines intelligenten und dennoch verständlichen Dialogs mit Pörksen berichtet Schulz von Thun darüber, wie er auf seine Ideen kam und warum ihm die ganz große Universitätskarriere versagt blieb – von 1975 bis 2009 lehrte er an der Universität Hamburg.

Seine Orientierung an der Praxis sei in der Universitätspsychologie damals verpönt gewesen. Deshalb habe er „irgendwann die Lebensentscheidung getroffen, nicht mehr auf Fachkongressen aufzutauchen und in Fachzeitschriften präsent zu sein, sondern Taschenbücher zu schreiben und unter die Leute zu gehen“.

Schulz von Thun hat ein weiteres leicht verständliches Bild entwickelt. Die unterschiedlichen Stimmen, die sich in einem Menschen bei Herausforderungen und Problemen melden, nennt er „inneres Team“. Und er schlägt vor, dieses Team wie jedes andere zu behandeln: Jeder darf zu Wort kommen. Auch unliebsame Stimmen (etwa der „Habgierige“, oder der „Zauderer“ in mir) bekommen erst einmal Wertschätzung und dürfen nicht zum Schweigen gebracht werden.

Das ist seiner Ansicht nach elementar, denn auch im Inneren gelte: „Wer sich übergangen fühlt, wird sich rächen“, zum Beispiel durch Burn-out oder Depression. Diese „innere Gruppendynamik“ führt nach Ansicht des Psychologen dazu, sich selbst zu verstehen. Und das wiederum ist Voraussetzung, um auch mit anderen besser zu kommunizieren.

Ein weiteres Arbeitsgebiet Schulz von Thuns ist die Verständlichkeit von Texten. Hier lag er meistens im Konflikt mit der Wissenschaftssprache, zu deren Eigenschaften es gehört, sich möglichst schnell in höhere Sphären der – für Außenstehende – Unverständlichkeit aufzuschwingen. Der Psychologe akzeptiert zwar, dass auch ein Gespräch auf höchster Ebene ein „Kunstwerk“ sein könne. Zur Vermittlung von Wissen, gerade auch an Studenten, sei das aber nicht geeignet.

Deshalb hat der Forscher für die Vermittlung von Informationen vier „Verständlichmacher“ herausgearbeitet: Einfachheit (eher kurze Sätze, anschauliche Wörter), Gliederung/Ordnung (ein erkennbarer „roter Faden“ in der Darstellung), Kürze/Prägnanz (Balance zwischen Weitschweifigkeit und gedrängtem Inhalt) sowie zusätzliche Stimulanz (witzige Formulierungen, Beispiele, Geschichten). Schulz von Thun seufzt: „Ach, wie oft habe ich mich bei den modernen Schriftgelehrten nach einem einzigen Beispiel gesehnt, um ihre Thesen und Gedanken nachvollziehen zu können.“

Bernhard Pörksen ist in dem Buch weit mehr als nur Fragesteller und Stichwortgeber. Der Medienprofessor an der Universität Tübingen, der in seinem wissenschaftlichen Arbeiten weite Streifzüge durch die Philosophie und die Psychologie unternommen hat, konfrontiert seinen Gesprächspartner mit klugen Positionen, die dessen Kommunikations- und Lebenskunstmodell auch infrage stellen. Daraus entwickelt sich ein Dialog, zu dem beide Gesprächspartner Erhellendes beitragen.

Letztlich hat Friedemann Schulz von Thun – und das ist deutlich zu erkennen – mit seinem wissenschaftlich-praktischen Werk auch seine Biografie bearbeitet. In der Pubertät war er ein Spätentwickler, am Gymnasium blieb er einmal sitzen. Sein Blick gilt nicht dem Elitären, sondern dem durchschnittlichen Menschen – und wie dieser Nutzen aus der Forschung ziehen kann.

Zum Weiterlesen: „Kommunikation als Lebenskunst“, Friedemann Schulz von Thun/Bernhard Pörksen, Carl-Auer-Verlag, 217 Seiten, 24,95 Euro, ISBN 978-3-8497-0049-2