Die Forscher des UKE und der Verhaltenstherapie Falkenried bieten ein Online-Trainingsprogramm und Gruppensitzungen an. Experten wollen jene ansprechen, die sich bisher nicht in Behandlung begeben haben.

Hamburg. Kasino, Internet, Spielhallen, Lotto oder die Wette auf der Rennbahn – viele Angebote verführen dazu, bei minimalem Geldeinsatz vom großen Gewinn zu träumen oder in der virtuellen Spielewelt des Internets die eigenen Probleme zu vergessen. Bei manchen Menschen führt das allerdings dazu, dass das Spielen immer mehr ihr Leben bestimmt. Mediziner sprechen dann von einem problematischen oder krankhaften Spielverhalten, im schlimmsten Fall von Spielsucht. Für Menschen mit Problemen beim Automatenglücksspielen hat das Spielerprojekt in der Verhaltenstherapie Falkenried in Zusammenarbeit mit dem Universitätsklinikum Eppendorf (UKE) jetzt ein neues Online-Trainingsprogramm gestartet. Und das Spielerprojekt am Falkenried bietet neben den bisherigen Einzel- und Paarberatungen eine Gruppentherapie für Menschen mit Glücksspielproblemen an, das laufend weiterentwickelt wird. Das Konzept dieser Therapie stellen die Experten demnächst auf einer internationalen Konferenz in Helsinki vor.

Doch ab wann spricht man eigentlich von problematischen oder sogar krankhaftem Glücksspielverhalten? „Problematische Spieler sind diejenigen, die häufiger spielen, sich dabei aber noch im Rahmen ihrer finanziellen Möglichkeiten bewegen und noch ungestört ihrer Arbeit nachgehen können. Das Spielen ist allerdings schon so ausgeprägt, dass nahe Angehörige daran Anstoß nehmen und der Meinung sind, der Spieler würde andere Dinge vernachlässigen. In diesem Stadium empfindet der Betroffene sein Verhalten nicht unbedingt als problematisch“, sagt Prof. Iver Hand, Leiter des Spielerprojekts. Pathologisch oder krankhaft wird es dann, wenn der Spieler sich mit seinem Verhalten selber schadet. „Das heißt, er verbringt wesentlich mehr Zeit mit dem Spielen, vernachlässigt grob frühere Interessen und ‚benutzt‘ das Spielen, um Konflikten auszuweichen. Das Spielverhalten ist bereits an einem Punkt angelangt, an dem der Betroffene sein Verhalten nicht mehr kontrollieren kann und professionelle Hilfe braucht“, sagt Hand.

Der Begriff der Spielsucht, der oft für alle Formen von problematischem Spielverhalten verwendet wird, trifft allerdings auf die wenigsten zu. „Das sind die Spieler, die ihre Sozialkontakte ruinieren, permanent lügen und Geld leihen, das sie nicht zurückzahlen können. Sie gehen ökonomische Risiken ein, die mit Sicherheit zum Ruin führen. Bei Menschen, die sich in diesem Stadium befinden, muss man auch mit einem Suizid rechnen“, sagt Hand.

International wird der Anteil der pathologischen Glücksspieler an der erwachsenen Bevölkerung mit 0,5 bis 1,5 Prozent angegeben. Wenn man die problematischen Spieler miteinbezieht, steigt der Anteil auf drei bis 3,5 Prozent. Es gibt aber keine klassischen Ursachen oder Risikofaktoren dafür, dass jemand zum krankhaften Spieler wird. „Alles, was Menschen unglücklich machen kann oder wütend und hilflos, kann zu solchem Ausweichverhalten führen“, sagt Hand, der in den 1980er-Jahren das Spielerprojekt am UKE ins Leben rief. Für ihn ist ein solches Verhalten auch ein Spiegel gesellschaftlicher Verhältnisse. „Damals, in einer Zeit der Wirtschaftskrise, waren mehr als die Hälfte derjenigen, die bei uns Hilfe suchten, Männer, die keine Arbeit hatten. Sie schämten sich für ihre Arbeitslosigkeit und verbrachten deswegen ihre freie Zeit in der Spielhalle.“

Heute seien die Bedingungen bei den Jugendlichen und jungen Erwachsenen andere. Der Leistungsdruck beginne schon in der Grundschule, der Tagesablauf sei fremdbestimmt und Zeit für spielerisch-abenteuerlustige Selbstentwicklung unter Gleichaltrigen fehle. „Da muss man sich nicht wundern, wenn ein Teil der jungen Leute irgendwann ausbricht oder in den sozialen Internetwelten oder Glücksspielangeboten Ablenkung oder Selbstbestätigung sucht.“ Es sei einfacher zu sagen „Ich muss die Sucht bekämpfen“, statt zu sagen „Ich muss die Ursachen bekämpfen“. „Deswegen ist immer die individuelle Biografie des Patienten und die individuelle Analyse des Problemverhaltens Kernpunkt der Diagnostik und Grundlage für die Therapie“, so Hand.

In ihrer neuen Onlinestudie (ww3.unipark.de/uc/gluecksspiel/) untersuchen die Wissenschaftler zwei unterschiedliche Programme: „Zum einen gibt es ein Trainingsprogramm, bei dem man die zugrunde liegende Ursachen behandelt, und zum anderen ein Programm für eine Untergruppe von Spielern, bei denen die Beeinflussung des Spielverhaltens im Mittelpunkt steht“, erklärt Dr. Charlotte Wittekind, Diplom-Psychologin und wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Arbeitsgruppe für Klinische Neuropsychologie am UKE. Dieses Programm heißt Retraining. „Die Idee dabei ist, dass Verhalten durch automatische Prozesse bestimmt wird, die unbewusst ablaufen, und strategische Prozesse, also das, was wir bewusst mit dem Verstand entscheiden“, sagt Wittekind.

Der automatische Impuls bei pathologischen Glücksspielern wäre zum Beispiel eine Annäherung an Spielautomaten, die strategische Überlegung dagegen: Eigentlich will ich nicht mehr spielen, weil es viel Geld kostet. „Wir bewerten fast alles, was wir wahrnehmen. Positive Reize sind mit einer Annäherung verbunden, negative mit einem Abrücken. Auf dieser Kopplung beruht das Retraining“, sagt Wittekind. Ursprünglich wurde dafür ein Joystick eingesetzt, der beim Betrachten von Bildern betätigt werden musste. Das Heranziehen des Joysticks steht für Annäherung, das Wegschieben für Vermeidung. „Es gibt zahlreiche Studien, die zeigen, dass man durch gezieltes Wegdrücken die positive Verbindung mit einem Reiz reduzieren kann“, sagt Wittekind. Bei diesem Programm müssen die Teilnehmer Bilder von Spielsituationen wegdrücken und Bilder mit neutralen Gegenständen heranziehen.

Das zweite Programm ist ein bereits etabliertes Online-Selbsthilfeprogramm, das die Reduktion depressiver Symptome zum Ziel hat. „Das muss man sich vorstellen wie einen kleinen Therapeuten im Computer“, sagt Julia Bierbrodt, Dipl.-Psychologin und ebenfalls wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Arbeitsgruppe Klinische Neuropsychologie am UKE. „Am Anfang steht ein diagnostischer Teil. Dann lernt das Programm den Nutzer immer besser kennen. Es kommen Methoden der kognitiven Verhaltenstherapie zur Anwendung, die sich auch in der ‚Face to Face‘-Therapie als wirksam erwiesen haben. Es werden etwa hinderliche automatische Gedanken bearbeitet, positive Aktivitäten gefördert, Problemlösestrategien aufgezeigt und Anleitungen zu Entspannungsübungen gegeben. Durch regelmäßige Teilnahme und Übungen werden die Erkenntnisse gefestigt“, sagt Bierbrodt.

Mit diesem Onlineprogramm wollen die Experten vor allem jene ansprechen, die sich bisher nicht in Behandlung begeben haben, sei es, weil sie sich nicht krank fühlen oder weil sie Angst vor Stigmatisierung haben. „Da bietet Online-Selbsthilfe anonym, kostenlos und schnell eine Möglichkeit, Betroffenen zu helfen“, sagt Wittekind.

Außerdem soll im Rahmen der Studie die Wirksamkeit dieses Online-Trainingsprogramms untersucht werden. Teilnehmen können Personen, die bereit sind, ein achtwöchiges Trainingsprogramm zu absolvieren, zwischen 18 und 65 Jahre alt sind, bereit sind, an zwei Online-Befragungen teilzunehmen und nicht an einer bipolaren Störung, einer Psychose oder akuten Selbstmordgedanken leiden.

Finanziert wird das Projekt von der Automatenindustrie im Rahmen der Vorgaben des Glücksspielstaatsvertrags für Prävention und Therapie von krankhaftem Glücksspiel. „Auf den Inhalt und die Veröffentlichung von Ergebnissen haben die Geldgeber keinen Einfluss“, sagt Hand.

Das Gleiche gilt für die Gruppentherapie im Spielerprojekt Falkenried. Sie ist kostenlos und offen für alle Formen von Glücksspielproblemen. Nicht teilnehmen können Menschen mit Psychosen und bipolaren Störungen. „Diese Therapie zielt besonders auf die Einschränkung des Spielverhaltens ab. Wir versuchen, die individuellen Muster des Patienten zu erkennen und dem entgegenzuwirken“, sagt Marc Ballerstein, Mitarbeiter im Spielerprojekt und Diplom-Psychologe in der Verhaltenstherapie Falkenried. „Die Patienten werden dazu angeregt, jeden Tag aufzuschreiben, ob sie gespielt haben. Dann sollen sie sich ansehen, an welchen Tagen sie mehr, an welchen sie weniger spielen, in welchen Situationen sie das Gefühl haben, sie können gar nicht anders, als jetzt spielen zu gehen. Wir versuchen, die Auslösersituation zu identifiziere, und dann versuchen, andere Wege zu finden, damit umzugehen.“