Jäger entgegnen, die Regierung treibe so die arme Bevölkerung in den Ruin. Der Kontakt mit ungekochtem Wildfleisch eines infizierten Tieres genügt allerdings, um sich anzustecken.

Lagos. Die beiden Männer sind einen großen Umweg gefahren. Der Mitsubishi mit Allradantrieb wackelt langsam auf dem holprigen, mit Schlaglöchern durchzogenen Weg abseits der Hauptstraße auf das kleine Straßenrestaurant am Rande der nigerianischen Küstenstadt Lagos zu. Blechdach, Mauern aus Lehm, Plastikstühle und -tische. Wie eine Matrone sitzt Alice Nwigwe, die Lokalbesitzerin, in ihrem lila Kleid vor einer großen Holzvitrine, auf die ihre beiden Kunden zielsicher zusteuern.

„Was gibt’s heute?“, fragt der eine Mann. Das Bluetooth-Freisprechgerät in seinem Ohr lässt ihn in dieser Umgebung wie ein Alien aussehen. Er trägt ein Seidenhemd. Seine Schuhe sind blitzblank geputzt und leiden unter dem staubigen Boden des Restaurants. Sie öffnet den Deckel der Holzvitrine und zeigt auf die vier stattlichen Töpfe. In jedem liegt ein Fleischgemisch in orangebrauner Soße. „Stachelschwein, Antilope oder Buschratte“, murmelt sie.

Freundlichkeit ist hier nicht ausschlaggebend, einzig der Topfinhalt bringt Alice Nwigwes Kunden her. Ihr Restaurant ist eines der wenigen, das nach dem Ebola-Ausbruch in dem westafrikanischen Land garantiert noch jeden Tag „Bushmeat“, also Wildfleisch anbietet. Westafrikanisches Bushmeat, das kann vieles sein, angefangen bei Schimpansen und Meerkatzen bis hin zu Ratten und Flughunden. Eben alles, was wild und essbar ist und somit zu Geld gemacht werden kann. „Dieses Fleisch ist gesund“, sagt sie. „Das ganze Gerede über Ebola ist einfach Quatsch. Ich verkaufe seit mehr als zehn Jahren Bushmeat. Keiner meiner Kunden ist je krank geworden.“ Und wie zum Beweis nimmt der Mitsubishi-Mann eine Fleischkeule in die Hand und beißt genüsslich hinein. Es ist eine demonstrative, aber auch verteidigende Geste.

Denn seit der aus Liberia eingereiste Geschäftsmann Patrick Sawyer am 24. Juli 2014 in Nigerias größter Stadt Lagos an Ebola starb und mindestens elf weitere Menschen ansteckte, rät die Regierung Nigerias vehement von dem Verzehr von Wildfleisch ab. Wie bei vorherigen Ausbrüchen dieser tödlichen Krankheit scheint auch diesmal wieder der Verzehr von Wildfleisch in Guinea zur Übertragung von Tier auf den Menschen geführt zu haben. Fledermäuse und Affen gelten als gefährlichste Überträger. Der Kontakt mit ungekochtem Wildfleisch eines infizierten Tieres genügt, um sich anzustecken.

Deshalb rät Nigerias Regierung prinzipiell dringend von Bushmeat ab. Ein Großteil der Nigerianer hält sich inzwischen auch daran. Aber längst nicht alle. „Ich heiße Adufe Olayinka und bin 55 Jahre alt. Ich importiere Baumaschinen und bin auch Bauer, und ich esse Zeit meines Lebens Wild. Es hat mich stark gemacht. Da sind jede Menge Proteine drin. Es ist das Essen meiner Vorfahren.“ Man glaubt es dem muskulösen, breitschultrigen Mann sofort. Olayinka ist das klassische Beispiel eines nigerianischen Selfmade-Mannes. In einem kleinen Dorf als Sohn einer armen Familie groß geworden, hat er es in die hektische 21-Millionen-Stadt Lagos geschafft. Er verdient gut, fährt einen schicken Wagen, aber seine Wurzeln sind in den Traditionen seiner Vorfahren verankert, auch wenn die mit seinem jetzigen Lebensstil sehr wenig zu tun haben. Der Verzehr von Wildfleisch gehört dazu, und Adufe Olayinka fährt deshalb auch gern ein paar Kilometer mehr, um bei Alice Nwigwe zu Mittag zu essen.

Das Jagen von Wild ist vornehmlich eine rein pragmatische Tradition der verarmten Landbevölkerung Westafrikas. Es ist ganz einfach: Wo keine Supermärkte und kein Geld für Haustiere wie Kühe oder Ziegen verfügbar ist, lebt man von dem, was das Land selbst bietet. Das ist kaum verwerflich, sondern reine Überlebenskunst. Die Jägervereinigung Nigerias läuft derzeit Sturm und wirft ihrer Landesregierung vor, sie treibe die arme Landbevölkerung in den Ruin, wenn sie Lügen über die Gefahr einer Ebola-Infektion durch Bushmeat verbreite.

„Das hier sind nigerianische Affen“, sagt Chief Olasehinde Afolabi Isola und zeigt auf die drei Kadaver der Grünmeerkatzen, die er für die Veranstaltung mitgebracht hat. „Die sind nicht gefährlich. Affen aus Guinea und Liberia sind vielleicht infiziert, aber nigerianische Affen kann man essen!“ Das Bild dieser toten Tiere, denen der Chief hier im übertragenen Sinne Pässe ausstellt, ist befremdlich. Aber Chief Olasehinde Afolabi Isolas Wort hat Gewicht. Er ist nicht nur Vorsitzender der Jägervereinigung Nigerias, sondern Gesamtafrikas; ein stolzer und überzeugter Mann. „Wir töten die Tiere in den Wäldern am Stadtrand“, sagt er. „Es gibt hier viele Affen, und wir essen sie und werden sie weiterhin essen.“

Chief Olasehinde Afolabi Isola hat Jäger und Verkäuferinnen von Wildfleisch zu einem Krisentreffen in einer kleinen Gemeindehalle zusammengerufen. Davor lodert ein Feuer, auf dem die Grünmeerkatzen, eine kleine Antilope und eine Wasserratte gebraten werden. Der Geruch von verbranntem Fell hängt schwer in der Luft. Die meisten hier haben in den vergangenen vier Wochen heftige Einbußen hinnehmen müssen. Die großen Wildfleischmärkte in Lagos sind wie leergefegt. „Früher habe ich am Tag zehn Affen zubereitet und ihr Fleisch verkauft. Heute ist es gerade mal einer“, sagt Vivian Latif. Die große Frau hält einen langen Stock über die von Spiritus angefachten Flammen, an dessen Ende ein kleiner Affe am Kopf aufgespießt hängt. „Ich kann das Schulgeld meiner Kinder nicht mehr bezahlen. Mein Geschäft ist tot. Das ist doch alles verrückt. Ebola ist doch gar nicht in Nigeria. Es wurde doch nur von diesem Sawyer aus Liberia hergebracht. Warum soll jetzt plötzlich unser Wild infiziert sein?“ Sie schüttelt den Kopf.

Chief Olasehinde Afolabi Isola hat wegen der Misere seine Anwälte angewiesen, ein Schreiben an die Regierung in der Hauptstadt Abuja zu verfassen. Darin droht die Jägervereinigung dem Gesundheitsminister mit rechtlichen Schritten, sollte er weiterhin behaupten, der Verzehr von Bushmeat sei gesundheitsgefährdend. Die Wahrscheinlichkeit einer Infektion durch den Verzehr von Wildfleisch in Nigeria spielt natürlich in diesem Zusammenhang keine Rolle. Fakt ist: Eine Übertragung des Ebola-Virus vom Tier auf den Menschen ist möglich und muss vermieden werden.

Bisher ist es Nigeria scheinbar gelungen, den durch einen Ausländer eingereisten Infektionsherd einzudämmen. Kaum auszudenken wären unabhängige Neuinfektionen. In Lagos, der siebtgrößten Stadt der Welt, leben 20 Millionen Menschen eng gedrängt, teilweise unter schlechten hygienischen Bedingungen. Das Ebola-Virus kann sich hier so schnell verbreiten, dass jedem Mediziner und Politiker nur bei dem Gedanken daran schwindlig wird.

Natürlich wird die Drohung von Chief Olasehinde Afolabi Isola deshalb wenig bewirken. Die Angst vor einer Infektion mit dem tödlichen Virus ist zudem in Nigerias Bevölkerung inzwischen so groß, dass selbst die unsinnigsten Schutzvorschläge auf fruchtbaren Boden fallen. Vor einigen Tagen war ein Großteil der Bevölkerung mitten in der Nacht auf den Beinen und trank Salzwasser. Die SMS eines bekannten Heilers hatte sich in Windeseile in dem handyverrückten Land verbreitet. Darin pries der Heiler den Verzehr von Salzwasser als Schutz gegen eine Ebola-Infektion an. Zwei Menschen starben, weil sie zu viel Salzwasser tranken. „Das ist gefährlich“, sagt Chief Olasehinde Afolabi Isola. „In Nigeria sind drei Menschen an Ebola gestorben, zwei an Salzwasser und wie viele, weil sie Wildfleisch gegessen haben?“ Er schüttelt mit dem Kopf. „Ich kenne nicht einen einzigen.“