Wir sind nicht allein: Unseren Lebensraum teilen wir unter anderem mit unseren nächsten Verwandten, den Menschenaffen. Im Film gibt es aktuell darum Streit – und in der Natur?

Hamburg. Seit 15 Jahren versucht Tobias Deschner, 46, unsere nächsten Verwandten besser zu verstehen. Als Verhaltensendokrinologe und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie in Leipzig beobachtet er die Menschenaffen nicht nur im Freiland, sondern sammelt auch Urinproben der Tiere, um deren Hormone zu messen. Dadurch versucht er unter anderem herauszufinden, inwieweit kooperative Verhaltensweisen in Zusammenhang stehen mit der Ausschüttung von Oxytocin, dem sogenannten Kuschelhormon. Das funktioniert bei Menschenaffen und Menschen gleichermaßen. Ein Gespräch über die Darstellung der Tiere im Film, über Dinge, die uns mit den Menschenaffen verbinden – und was uns trennt.

Hamburger Abendblatt: Herr Deschner, haben Sie die „Planet der Affen“-Filme gesehen?
Tobias Deschner: Ja, die neuen Teile. Die alten habe ich mir zwar auch vor Urzeiten einmal angeschaut, kann mich da aber ehrlich gesagt nicht mehr wirklich dran erinnern. Den neuen Film finde ich recht gut gemacht.

Können Sie die Filme zum reinen Vergnügen betrachten, oder schaut da immer der Wissenschaftler in Ihnen mit?
Deschner: Man kann das auf keinen Fall so trennen, dass man an die Arbeit gar nicht denkt. Einem fällt zu allen Szenen immer sofort etwas ein. Was mich ganz stark angesprochen hat, ist das Grundproblem, der Umweltschutzaspekt. Im Film konkurrieren Menschen und Menschenaffen um einen Lebensraum. Die einen sagen „Wir bringen alle anderen um“, die anderen sagen „Ihr habt auch ein Recht auf Leben.“

Wer sagt das jetzt über wen – die Affen über die Menschen, oder umgekehrt?
Deschner: Die beiden Ansichten gibt es jeweils in beiden Lagern. Ich gehe jetzt einmal von der menschlichen Sicht aus, weil das auch der Realität entspricht. Die Menschen, die die Menschenaffen respektieren, die herausfinden wollen, wie sie wirklich sind – das ist das, was wir die ganze Zeit versuchen. Wir müssen den Leuten klarmachen, wie intelligent diese Tiere sind, wie sozial ähnlich sie uns sind. Das sollte dann auch einen gewissen Grad an Sympathie in den Menschen für die Menschenaffen wecken, sodass diese dann auch besser geschützt werden.

Hauptsächlich geht es in dem Film um Schimpansen.
Deschner: Tatsächlich sind alle vier großen Menschenaffenarten beteiligt! Man kann zumindest drei der verschiedenen Arten im Film sehr gut unterscheiden. Der Großteil sind Schimpansen, ein Orang-Utan ist ein Lehrer. Gorillas spielen eine untergeordnete Rolle. Was ich erst durch ein begleitendes Buch zum Film herausgefunden habe ist, dass einer der böseren Charaktere, Koba, ein Bonobo sein soll. Das hätte ich nicht erkannt.

Wie authentisch sind die Bewegungen der Affen im Film?
Deschner: Die Filmemacher haben dazu viel experimentiert. Sie hatten ja mit dem Problem zu kämpfen, dass bei Menschenaffen die Arme länger sind als die Beine. Wenn die Darsteller auf allen Vieren laufen, sieht das einfach nicht so aus wie bei den Affen. Deshalb wurden dann Armverlängerungen angefertigt, und das Ergebnis war sehr realistisch.

Das Äußere stimmt also schon einmal. Wie steht es mit dem Verhalten der Tiere? Im Film kooperieren die Affen ja sehr stark – sind sie dazu auch in Wirklichkeit in der Lage?
Deschner: Auf jeden Fall. Eine Sache, die ich auch in der Struktur sehr treffend wiedergegeben finde, ist die Anfangsszene des Films. In dieser jagen die Filmaffen Hirsche. Nun tun das Affen in der Natur nicht mit Speeren wie im Film. Aber, was wir an Schimpansen an der Elfenbeinküste beobachten: Die Tiere jagen tatsächlich – und gehen dabei sehr koordiniert und kooperativ vor. Bei ihrer Jagd, vorwiegend auf Colobusaffen, nehmen sie unterschiedliche Rollen in der Gruppe ein. So gibt es etwa Treiber, die die Colobusaffen in bestimmte Bäume treiben. Dann gibt es andere, die die Fluchtwege blockieren. Und die Fänger, meist die erfahrendsten Schimpansen, lassen dann am Ende die Falle zuschnappen und fangen die Beute.

Wird diese dann auch gerecht geteilt?
Deschner: Ja, das Fleisch wird danach geteilt. Am meisten bekommen die ab, die an der Jagd teilgenommen haben. Dann gibt es bei der Verteilung eine gewisse Rangabhängigkeit innerhalb der Gruppe. Und Tiere, die Fleisch abbekommen haben, teilen dieses manchmal wieder mit Freunden – und schmieden so Allianzen. Nach dem Motto: Ich teile jetzt mit dir, dafür unterstützt du mich beim nächsten Konflikt. Kooperieren findet also vielschichtig statt. Auch beim Kampf verschiedener Schimpansengruppen gegeneinander.

In einer Szene täuscht ein Affe zwei Menschen, in denen er ihnen Freundlichkeit vorspielt – und sie dann erschießt. Können Affen lügen?
Deschner: Um täuschen zu können, braucht man eine ziemlich hoch entwickelte Intelligenz. Man muss in der Lage sein, zu wissen, dass das Gegenüber etwas anderes denken und wahrnehmen kann als man selbst. Das ist das, was Psychologen eine „Theory of Mind“ nennen, und sich beim Menschen auch erst entwickeln muss. Erst im Alter von drei Jahren etwa kommen Menschenkinder dorthin. Und können dann auch lügen. Wie weit Menschenaffen eine „Theory of Mind“ haben, wird derzeit noch sehr stark diskutiert. Einige Forscher sind davon überzeugt, andere sind da sehr skeptisch. Wir Freilandforscher sind meist die, die meinen, das täglich zu sehen – im Vergleich zu Kollegen, die in Zoos arbeiten, die da eher skeptisch sind.

Gibt es Beispiele, an denen Sie das festmachen?
Deschner: Kollegen von mir haben Schimpansen in Uganda mit einer Attrappe von einer Schlange, einer Gabunviper, konfrontiert. Wenn die Affen alleine waren, erschraken sie zwar sehr, gaben jedoch keine Alarmruf ab. Nur wenn ein anderes Tier dabei war, das die Schlange nicht gesehen hatte, ließen sie Alarmrufe hören. Dann wiederum, wenn die Affen mit einem anderen unterwegs waren, der die Schlange auch bereits gesehen hatte, sparten sie sich die Alarmrufe. Das zeigt, dass die Affen in der Lage sind zu wissen, was ein anderes Tier weiß oder nicht weiß.

Täuschen die Tiere auch arglistig, zum eigenen Vorteil?
Deschner: Dazu gab es bereits in den 70er-Jahren Beobachtungen an Pavianen. Ein ranghöheres Tier verfolgte dabei aggressiv ein rangniedriges Tier. Das Rangniedrige richtete sich bei der Verfolgung plötzlich auf, als habe es einen Leoparden gesehen – ein großer Feind der Paviane. Die Körperhaltung ist dabei ganz charakteristisch. Das ranghohe Tier ließ daraufhin von der Verfolgung ab und spähte ebenfalls nach dem Leoparden, den es jedoch nicht gab. Aber der verfolgte Affe hatte sich mit diesem Täuschmanöver vor einer Tracht Prügel gerettet. Ganz schön arglistig.

Können Menschenaffen unsere Mimik, unsere Gestik verstehen?
Deschner: Ja, das können sie. Und wir können es andersherum genauso. Das hängt damit zusammen, dass wir so wahnsinnig eng miteinander verwandt sind. Jeder Laie kann eigentlich verstehen, was in dem Gesicht eines Menschenaffen passiert. Die einzige Grimasse, die sich über die Jahre gewandelt hat, wo es zu Fehlinterpretationen kommen kann, ist das Grinsen.

Welches Menschenaffen zeigen, wenn sie Angst haben?
Deschner: Richtig. Das wird in einigen Filmen, wie etwa in „Unser Charly“, schamlos ausgenutzt, wo sie den Schimpansen ständig grinsen lassen und so tun, als würde er sich freuen. Dabei haben sie ihm in Wirklichkeit Angst gemacht. Man geht davon aus, dass sich im Laufe der Evolution auch beim Menschen das Grinsen von einer ängstlichen Geste her entwickelt hat. Reste sind heute noch davon zu sehen: Man muss nur einmal in Gesprächen unter verschieden ranghohen Menschen darauf achten, wie oft der in der höheren Position grinst, und wie oft der in der niedrigen Position. Der Untergebene grinst auch beim Menschen deutlich häufiger.

Wenn man die Beispiele hört, fällt es schwer zu glauben, dass die Tiere maximal auf dem Intelligenzstand eines vierjährigen Kindes sein sollen, wie ab und zu behauptet wird.
Deschner: Ich habe jetzt 15 Jahre an Menschenaffen im Freiland geforscht und würde sagen, dass sie um einiges intelligenter sind als ein vierjähriges Kind. In einigen Bereichen sind sie sogar erwachsenen Menschen überlegen.

In welchen?
Deschner: In der räumlichen Orientierung etwa. Es ist unglaublich, wie sie sich etwa merken können, wo welche Bäume in ihren Territorien stehen, wann die Früchte daran reif sind – da ist schon extrem viel gegeben.

Was unterscheidet uns dann noch?
Deschner: Ein großer Unterschied, an dem viel hängt, ist die menschliche Sprache. Diese ist extrem ausdifferenziert. Es ist davon auszugehen, dass Menschenaffen derart differenziert nicht untereinander kommunizieren können. Allerdings muss man sagen: Vor 20 Jahren war man noch total davon überzeugt, dass die Kommunikation unter Menschenaffen sehr, sehr eingeschränkt ist. Und seitdem mussten wir erkennen, dass sie doch viel mehr können, als wir dachten.

Das heißt, wir müssen in Zukunft noch mit Überraschungen rechnen?
Deschner: Wir sind eigentlich erst am Anfang zu verstehen, wie intelligent Menschenaffen wirklich sind. Und das ist eine große Ironie des Schicksals: Gerade, wenn wir sie ein bisschen verstehen, rotten wir sie aus.

Das geschieht durch Lebensraumzerstörung, Wilderer und Krankheiten.
Deschner: Krankheiten sind ein ganz aktuelles Thema (siehe dazu Ebola-Berichterstattung, Wissen S. 12). Was uns aber noch mehr Sorge bereitet, sind die sich ausbreitenden Palmölplantagen. Zum Anbau für das weltweit wichtigste Pflanzenöl werden immer mehr tropische Wälder gerodet. Nicht nur, wie bisher, in Indonesien und Malaysia, sondern auch in Südamerika und Afrika. Das bedroht den Lebensraum aller Menschenaffen. Eine im Juli veröffentlichte Studie, an der unser Institut beteiligt war, zeigt, dass sich in Afrika knapp 40 Prozent der Verbreitungsgebiete der Tiere mit potenziellen Plantagengebieten überlappen. Hier müssen schnellstens Regelungen zum Schutz der Menschenaffen getroffen werden.