Mit den Impfstoffen lassen sich 80 bis 90 Prozent aller schweren Infektionen mit diesen Bakterien bei Kindern unter zwei Jahren verhindern

Aachen. Das Schlagwort „Impfen schützt – Impfen nützt“ wurde selten so schnell und beeindruckend bestätigt wie nach der Einführung der allgemeinen Impfung gegen Pneumokokken. Diese Impfung ist erst seit August 2006 fester Bestandteil der Impfempfehlungen der ständigen Impfkommission beim Robert-Koch-Institut (RKI). Aber der Erfolg ist nach acht Jahren nun bereits messbar: Der Anteil der Kinder, die sich mit einem der Bakterienstämme anstecken, gegen die es nun einen Impfstoff gibt, ist von 65 Prozent auf unter fünf Prozent gesunken, berichten Aachener Forscher in der „Deutschen Medizinischen Wochenschrift“.

Pneumokokken sind Bakterien, die auch den Namen Streptococcus Pneumoniae tragen. Pneumonie bedeutet: Lungenentzündung. Anders als ihr Name es vermuten lässt, bedrohen die Erreger nicht nur Lungen und Atemwege. Sie sind bei Kindern die dritthäufigste Ursache für Hirnhautentzündung (Meningitis), und können weitere schwere Infektionen der Lunge, des Mittelohrs und der Nasennebenhöhlen hervorrufen. Eine besonders gefürchtete Komplikation ist die Blutvergiftung, bei der es zur Überschwemmung des gesamten Blutkreislaufs mit Bakterien kommt.

Weltweit sterben zwei Millionen im Jahr an den Folgen einer Infektion

Mittlerweile unterscheidet man rund 90 verschiedene Pneumokokkentypen. Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sind Pneumokokken die weltweit bedeutendsten bakteriellen Krankheitserreger beim Menschen. Jedes Jahr sterben zwei Millionen Menschen infolge einer Pneumokokkeninfektion. In Deutschland erkranken laut Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung auch heute noch jährlich etwa 970 Kinder unter fünf Jahren an einer Pneumokokkeninfektion. Zwei Drittel dieser Erkrankungen treten bereits in den ersten beiden Lebensjahren auf.

Das Erstaunliche ist, dass viele Menschen häufig Pneumokokkeninfektionen durchmachen, ohne allzu viel davon zu merken oder deshalb krank zu werden. Bis zu zehn Prozent aller Erwachsenen sind unauffällige, „gesunde“ Träger von Pneumokokken und bis zu 60 Prozent aller Kinder haben ebenfalls Pneumokokken in ihrem Körper. Die Bakterien können beim Sprechen, Husten, Niesen oder Küssen von Mensch zu Mensch übertragen werden

Finden die Keime den Weg aus dem Nasen-Rachen-Raum ins Blut oder in die Rückenmarksflüssigkeit, sprechen Mediziner von einer „invasiven“ Pneumokokkenerkrankung. Bis zu 1500 Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren erleiden im Jahr eine solche Infektion, die meist schwer verläuft. Nach Schätzungen des Robert-Koch-Instituts führen die aggressiven Keime bei 200 bis 250 Kindern zu einer Hirnhautentzündung, die in etwa sieben Prozent der Fälle tödlich verläuft. Wegen einer Lungenentzündung durch Pneumokokken müssen bis zu 15.000 Kinder ins Krankenhaus. Die Zahl der mit Lungenentzündung zu Hause behandelten Kinder liegt zwischen 30.000 und 45.000. Jedes Jahr erleidet außerdem über eine halbe Million Kinder eine Mittelohrentzündung, die durch Pneumokokken ausgelöst wurde.

Nach einer invasiven Pneumokokkenerkrankung hat jedes siebte Kind unter bleibenden Folgeschäden zu leiden. Am häufigsten sind Hörstörungen bis zur Taubheit, gefolgt von Lähmungen, Anfallsleiden und Entwicklungsverzögerungen.

Impfstoffe schützen die Kinder nur vor den aggressivsten Bakterienstämmen

Zur Impfung der Kinder stehen in Deutschland zwei sogenannte Konjugatimpfstoffe zur Verfügung. Sie schützen ein Baby allerdings nicht vor allen 90 Bakterienstämmen, sondern nur vor den aggressivsten Arten. Der Impfstoff Synflorix erfasst zehn der für Kinder gefährlichen Pneumokokkenstämme, das Mittel Prevenar13 soll vor 13 Typen des Bakteriums schützen. Mithilfe dieser Impfungen lassen sich etwa 90 Prozent der Hirnhautentzündungen durch Pneumokokken und insgesamt 80 bis 90 Prozent aller schweren Pneumokokkeninfektionen bei Kindern unter zwei Jahren verhindern.

Die schweren, invasiven Pneumokokkenerkrankungen sind in Deutschland nicht meldepflichtig. Das Nationale Referenzzentrum für Streptokokken an der Uniklinik Aachen sammelt jedoch zusammen mit dem RKI die Daten von medizinischen Laboratorien. Seit 1997 werden auch die Infektionen von Kindern erfasst. Für ihre aktuelle Analyse haben Matthias Imöhl und Mark van der Linden vom Institut für Medizinische Mikrobiologie der Uniklinik Aachen nun alle Daten von Beginn der Erfassung 1997 bis Juni 2013 ausgewertet.

Sie stellten fest, dass bis 2006 noch 65 Prozent aller Kinder, die in ihren ersten beiden Lebensjahren an Pneumokokken erkrankt waren, sich mit einem der Stämme des Bakteriums angesteckt hatten, gegen die inzwischen Impfstoffe vorliegen. Seit Beginn des Impfprogramms sei die Zahl der Infektionen durch diese Stämme kontinuierlich gesunken. „Im Jahr 2012/2013 lag er erstmals unter fünf Prozent, was den Erfolg des Impfprogramms belegt“, schreiben die Wissenschaftler.

Die Infektionen gefährden nicht nur die Kinder: Auch für die Familie besteht Ansteckungsgefahr. Wenn sich also weniger Kinder anstecken, werden auch weniger Erwachsene krank. Wenn viele Kinder geimpft werden, schützt das nicht nur sie selbst– sondern auch nicht geimpfte Kinder und Erwachsene. Werden viele Kinder durch Impfung zu „Nicht-Überträgern“, kann sich ein Erreger in der Bevölkerung nicht weiter ausbreiten. Dieses Phänomen wird als Herdenimmunität bezeichnet. Diesen Effekt konnten auch Imöhl und van der Linden bei ihrer Analyse bestätigen. Mit den Stämmen, gegen die Kinder inzwischen häufig geimpft werden, stecken sich viel weniger Erwachsene an. Vor 2006 fanden sich noch im Blut von bis zu 45 Prozent der infizierten Erwachsenen diese Erreger, inzwischen nur noch bei bis zu acht Prozent.

In den USA, wo Kinder bereits seit 14 Jahren geimpft werden, hat die Seuchenüberwachungsbehörde CDC die Auswirkungen der Pneumokokkenimpfung systematisch untersucht. Über ein Meldesystem stellten sie die Häufigkeit von durch Pneumokokken ausgelösten Hirnhautentzündungen vor und nach Einführung des Impfstoffs fest. Die Ergebnisse sind beeindruckend: Das jährliche Auftreten der Pneumokokken-Meningitis ging insgesamt von 1,13 auf 0,79 pro 100.000 Personen zurück. In der Gruppe der Kinder unter zwei Jahren sank das Auftreten der Meningitis um 64 Prozent, bei Patienten über 65 Jahren um 54 Prozent. Betrachtet man die Erregertypen, die durch den Impfstoff erfasst werden, fiel der Rückgang besonders deutlich aus – nämlich von 0,66 auf 0,18 Erkrankungen pro 100.000 Einwohner pro Jahr. Das entspricht einer Reduktion um 73,3 Prozent

Seit Einführung des Pneumokokkenimpfstoffs ist auch die Zahl der Mittelohrentzündungen gesunken. Studien in den USA und Finnland ergaben einen Rückgang der Behandlungsfälle zwischen 20 und 50 Prozent. Geimpften Kindern musste um 44 Prozent seltener ein Paukenröhrchen ins Ohr eingesetzt werden als nicht geimpften. Verschreibungen von Antibiotika gingen um 42 Prozent zurück. Pneumokokken sind Bakterien, können also mit Antibiotika bekämpft werden. Doch immer mehr Bakterien werden gegen Antibiotika unempfindlich. Impfungen gegen Pneumokokken helfen deshalb auch, einer Antibiotikaresistenz vorzubeugen.

Die Impfstoffe werden im Allgemeinen gut vertragen. Selten leiden die Kinder unter Nebenwirkungen wie Unleidlichkeit, Appetitmangel, Schläfrigkeit und leichtem Fieber. Dieter Adam von der Kinderklinik der LMU München untersuchte die Nebenwirkungen bei fast 6000 Kindern, die gleichzeitig mit dem Pneumokokkenimpfstoff und einem der üblichen Fünffach- oder Sechsfachimpfstoffe geimpft worden waren. Bei 85 Prozent der Kinder trat gar kein Fieber auf.

Unklar ist, ob die Impfung zur Verbreitung neuer Keime führt

Die Impfung kommt die Krankenkassen allerdings teuer zu stehen: Der Preis für die notwendigen vier Dosen beträgt zwischen 350 und 430 Euro.

Kritiker der Impfung warnen davor, dass der Impfschutz gegen einige Erregerstämme zum vermehrten Auftreten von Pneumokokken anderen Typs oder auch anderer Keime führen könnte. In einigen Ländern wurde das seit Einführung der Impfung tatsächlich beobachtet. Auch die Aachener Mikrobiologen sind sich dieses Problems bewusst. Sie betonen aber, dass die Zahl der Infektionen insgesamt stärker zurückgehen, die Impfung also zu einem positiven Netto-Effekt führe. Nicht klar sei allerdings tatsächlich, ob andere Pneumokokkenstämme in die „ökologische Nische“ eindringen könnten, die durch die Impfung geschaffen worden sei. Daten aus den USA zeigten bisher nur einen moderaten Anstieg von Infektionen durch andere Pneumokokkenarten.