Mit einem neuen Präventionsprojekt wollen Ärzte schon bei Ungeborenen das Risiko senken, im späteren Leben übergewichtig zu werden und an Typ-2-Diabetes zu erkranken.

Hamburg. Zehnjährige haben bereits einen zu hohen Blutdruck, 13-Jährige kämpfen mit Gelenkproblemen, und die Zahl der Kinder mit Typ-2-Diabetes steigt. Das alles sind Folgen von Übergewicht. Und die Zahl der Kinder, die zu dick sind, nimmt zu. „Heute leiden 15 Prozent der Kinder und Jugendlichen in Deutschland unter Übergewicht. Das entspricht einer Zunahme von etwa 50 Prozent in 25 Jahren“, sagt Dr. Stefan Renz, niedergelassener Kinderarzt in Hamburg und Vorsitzender des Hamburger Landesverbands der Kinder- und Jugendärzte.

Überflüssige Pfunde wieder loszuwerden ist mühsam, und die Gewichtsreduktion ist nach den Erfahrungen des Kinderarztes leider oft nicht von Dauer: „Alle unsere Versuche, Kinder und Jugendliche mit Fettleibigkeit zu behandeln, sind oft zum Scheitern verurteilt. Es ist schwierig, überhaupt langfristig Erfolge zu erzielen. Manche behaupten, bis zu einem Drittel könnte man erfolgreich therapieren. Das erscheint mir übertrieben.“

Damit es erst gar nicht so weit kommt, hat Renz zusammen mit anderen Hamburger Ärzten das Stopp-Projekt ins Leben gerufen, das Mitte August starten soll. Diese Prävention setzt bereits bei den werdenden Müttern an. „Denn mittlerweile ist wissenschaftlich erwiesen, dass Kinder von Frauen, die vor und in der Schwangerschaft übergewichtig sind oder einen Schwangerschaftsdiabetes erleiden, ein erhöhtes Risiko haben, später selbst übergewichtig zu werden“, sagt Dr. Rudolf Lepler, Kinderendokrinologe und -diabetologe am katholischen Kinderkrankenhaus Wilhelmstift und einer der Initiatoren des Stopp-Projekts.

Diese frühe Prägung im Mutterleib wird erklärt durch die Epigenetik, also den Einfluss äußerer Faktoren auf das Erbgut. „Unsere ererbte genetische Ausstattung ist in bestimmten kritischen Entwicklungsphasen formbar, zum Beispiel für Gesundheit und Krankheit im späteren Leben. Für die Prägung der Stoffwechselregulation liegt dieses Zeitfenster in der Schwangerschaft und in der frühen Säuglingszeit, in der bestimmte Funktionsweisen erworben und programmiert werden. Wenn in dieser kritischen Zeit bei der Mutter und damit auch beim ungeborenen Kind ein unphysiologisches hormonelles Milieu herrscht, kommt es zu einer epigenetischen Fehlprogrammierung“, erklärt Lepler. Unphysiologisch heißt, dass Hormone, insbesondere das Insulin, bei Übergewicht, Adipositas (Fettleibigkeit) und Schwangerschaftsdiabetes erhöht sind.

„Die Fehlprogrammierung führt zu einer lebenslangen falschen Weichenstellung der Regelsysteme für Nahrungsaufnahme, Sättigungsgefühl, Gewichtsentwicklung und Stoffwechsel. Den gleichen Effekt hat auch eine Überernährung in der frühen Säuglingszeit. Durch diese Verstellung der Regelsysteme haben die Kinder ein erhöhtes Risiko für Übergewicht, Adipositas, erhöhten Blutdruck, erhöhte Blutfette und Diabetes Typ 2 und geben diese Risiken wiederum an ihre eigenen Kinder weiter“, sagt Lepler.

Ein erhöhtes Risiko für späteres Übergewicht ist auch ein hohes Geburtsgewicht. „Viele Studien haben gezeigt, dass Kinder mit einem Geburtsgewicht von mehr als 4000 Gramm ein doppelt so hohes Risiko haben, im späteren Leben Übergewicht und Adipositas zu bekommen als normalgewichtige Kinder“, so der Kinderarzt.

Aus diesen Erkenntnissen ergeben sich für die Prävention unter anderem diese Botschaften: „Angemessene gesunde Ernährung, Schwangere brauchen nicht für zwei zu essen. Sie benötigen maximal zehn Prozent Kalorien mehr pro Tag. Das sind 200 bis 300 Kilokalorien. Die gewünschte Gewichtszunahme in der Schwangerschaft richtet sich nach dem Ausgangsgewicht der Schwangeren. Üblich für Normalgewichtige sind zehn bis 15 Kilogramm“, so Lepler. Je höher der Body Mass Index (BMI, Körpergewicht in Kilo geteilt durch das Quadrat der Körpergröße in Metern), umso geringer sollte die Gewichtszunahme sein. Körperliche Aktivität vor und während der Schwangerschaft ist günstig für die normale Entwicklung der Kinder. „Man soll zwar keinen Leistungssport machen, aber die Aktivitäten fortsetzen, die man vor der Schwangerschaft gemacht hat. Empfohlen wird regelmäßige Bewegung drei- bis viermal die Woche für eine halbe Stunde. Die Anstrengung sollte nur so hoch sein, dass man sich dabei noch unterhalten kann“, rät Lepler. Sinnvoll sind Sportarten wie Joggen, Nordic Walking, Schwimmen, Radfahren, Gymnastik.

Um eine Überernährung des Säuglings zu vermeiden, ist die beste Maßnahme das Stillen. „Gestillte Kinder sind am Ende des ersten Lebensjahres statistisch gesehen schlanker als die Kinder, die Flaschennahrung erhalten haben“, so Lepler. Deswegen sollten Mütter ihre Babys möglichst die ersten fünf Monate stillen, und bei eventuell nötiger Zusatznahrung darauf achten, dass diese in der Zusammensetzung der Muttermilch angepasst ist. „Denn man geht davon aus, dass ein hoher Eiweißgehalt der Nahrung wieder zu erhöhten Insulin- und Wachstumshormonspiegeln führt und dadurch Fettmasse und Wachstum bei Säuglingen und Kleinkindern erhöht wird“, sagt Lepler.

Informationen zur richtigen Ernährung von Mutter und Kind und Bewegung während der Schwangerschaft sind das Kernstück des Stopp-Projekts. Schwangere, die unter Übergewicht, Fettleibigkeit oder einem Schwangerschaftsdiabetes leiden, können sich beim Frauenarzt in das Projekt einschreiben lassen und erhalten dann zusätzlich zur normalen Schwangerschaftsvorsorge eine spezielle Betreuung. Vorgesehen sind zwei telefonische Betreuungstermine durch Diätassistenten und drei Gruppenschulungen. Nach der Geburt des Kindes wird die Betreuung während der ersten zwei Lebensjahre des Kindes beim Kinderarzt fortgesetzt. Geplant ist eine Ernährungs-, Bewegungs- und Gesundheitsberatung parallel zu den Vorsorgeuntersuchungen U3 bis U7, mit vier Gruppenschulungen und einer telefonischen Beratung. „Bis jetzt beteiligen sich an dem Projekt je acht bis zehn gynäkologische Praxen und Kinderärzte“, sagt Renz.

Es gibt aber einige Ausschlusskriterien: Frauen, die unter 18 oder über 45 sind, an einem Diabetes leiden, der schon vor der Schwangerschaft bestand, können nicht an dem Projekt teilnehmen. Das gilt unter anderem auch bei Mehrlingsschwangerschaften und Schwangerschaften durch künstliche Befruchtung.

Die Finanzierung des Projekts läuft zunächst über Spenden. „Wir haben eine Stiftung eingerichtet und bisher von zwei StellenGeld bekommen: der Stiftung „Hamburg macht Kinder gesund“ und dem Donations Commitee der Firma Novo Nordisk Pharma GmbH. Außerdem sind wir angeschlossen an die Stiftung „Kind und Jugend“ vom Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte“, sagt Stefan Renz. Die weitere Finanzierung ist noch offen, aber das Ziel ist, diese Form der Prävention fest im Hamburger Gesundheitssystem zu etablieren.

Schwangere, die sich für das Stopp-Projekt

interessieren, sollten sich an ihren Frauenarzt

wenden. Wenn dieser noch nicht genügend über

das Projekt informiert ist oder zusätzliche Informationen benötigt werden, können Sie auch Kontakt zur Projektkoordinatorin Angela Falkenberg aufnehmen: Telefon und Fax 68891476, E-Mail: Stopp.gruppe @online.de, Homepage:www.hhgd.de/stopp