Unter Hamburger Regie entwickelt das EU-Projekt „Panda“ ein Vorhersagemodell zur Qualität der Atemluft in Peking und anderswo. Bei den Stickoxiden herrscht in China die weltweit stärkste weiträumige Verschmutzung.

Hamburg. Chinesen mit Atemschutz, die in Peking durch eine zum Schneiden dicke Luft spazieren – solche Bilder sind in jüngster Zeit häufiger um die Welt gegangen. Sie zeigen, dass die Megacity ein aktueller Brennpunkt der globalen Luftverschmutzung ist. Europäische und chinesische Wissenschaftler wollen nun im EU-Projekt „Panda“ zunächst für Ostchina ein Instrumentarium schaffen, das besonders hohe Belastungen vorhersagen und so die Bevölkerung warnen kann. Auch soll es präzisiere Daten für politische Maßnahmen liefern. Koordiniert wird das Projekt vom Max-Planck-Institut für Meteorologie (MPI-M) in Hamburg unter Leitung des renommierten Atmosphärenchemikers und ehemaligen MPI-M-Direktors Prof. Guy Brasseur.

„Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation sterben weltweit drei Millionen Menschen vorzeitig durch Luftverschmutzung; die Schadstoffbelastung in China verkürzt die Lebenszeit der Bevölkerung um durchschnittlich drei Jahre, in Nordchina sogar um gut fünf Jahre“, sagt Brasseur. „In den vergangenen zwei, drei Jahren traten in Peking Spitzenwerte bei den Feinstaubkonzentrationen von 600 bis zu 1000 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft auf, und die Phasen mit hoher Luftbelastung dauerten ungewöhnlich lange an. Niemand konnte sich diese Extremsituationen so richtig erklären.“ In dem Land gebe es zu wenige Spitzenforscher zur Chemie der Atmosphäre, hier habe Europa eine Erfahrungsvorsprung.

Zum Vergleich: In der EU liegt der Feinstaubgrenzwert bei 50 Mikrogramm (Tagesmittelwert) und darf höchstens an 35 Tagen im Jahr überschritten werden. An den elf Hamburger Messstellen wurde seit 2012 kein Tageswert über 20 Mikrogramm gemessen. Von solchen Verhältnissen sind chinesische Metropolen wie Peking, Shanghai oder die kantonesische Provinzhauptstadt Ghangzhou im Süden des Landes noch weit entfernt. Ähnliches gilt für andere Schadstoffe. „Bei den Stickoxiden herrscht in China die weltweit stärkste weiträumige Verschmutzung, die Millionen Menschen betrifft“, sagt Projektmitarbeiterin Dr. Anne Katinka Petersen.

Um der Verschmutzung zu begegnen, müssen die Schadstoffemissionen sinken. Dies wird konterkariert durch die wirtschaftliche Entwicklung in China – jede Woche gehe dort ein neues Kraftwerk ans Netz, sagt Brasseur, die meisten würden mit Kohle befeuert. Immerhin habe die Regierung den Kampf gegen die Verschmutzung aufgenommen. So müssen Industriebetriebe bei starker Luftbelastung ihre Produktion drosseln. Und alle Provinzen seien aufgefordert, Vorhersagemodelle zur Luftqualität zu entwickeln.

Hier setzt das EU-Projekt an. Brasseur: „Unser Ziel ist es, eine Art chemische Wettervorhersage machen zu können. Sie sollte drei bis fünf Tage in die Zukunft reichen und in hoher Auflösung Ostchina abdecken. Die Menschen sollen erfahren, wo aktuell und in den kommenden Tagen die Luft besonders schlecht sein wird, um solche Gebiete meiden zu können. Oder umgekehrt um ihren Frühsport in Parks mit geringer Luftbelastung ausüben zu können. Europa hat eine riesige Menge an globalen Satellitendaten über Spurengase und allgemein über die Chemie der Atmosphäre. Diese Daten werden bislang zwar wissenschaftlich, aber kaum gesellschaftlich genutzt. Das wollen wir ändern. Und das gemeinsam mit chinesischen Kollegen in den stark belasteten Metropolregionen Peking, Shanghai und Guangzhou.“

Die wichtigsten Zutaten für die Vorhersage: Emissionsdaten (Was wird wo in welchen Mengen freigesetzt?), die Wetterlage (Wind transportiert Schadstoffe, Regen wäscht sie aus) sowie Kenntnisse über chemische Reaktionen in der Atmosphäre. Die Satelliten liefern Daten für den Anfangszustand in der Modellrechnung und machen sie dadurch realitätsnäher.

Die sieben am Projekt beteiligten europäischen Institutionen haben unterschiedliche Stärken und arbeiten jeweils mit einem chinesischen Partner zusammen. Das MPI-M gehört zu den weltweit führenden Entwicklern von globalen und regionalen Klimamodellen. Das Institut für Umweltphysik der Universität Bremen und die Freie Universität Brüssel liefern vor allem aufbereitete Satellitendaten. Französische und britische Experten befassen sich mit den Emissionen und Luftmessungen vor Ort. Norwegische Kollegen entwickeln die spätere Internetplattform, auf der die Daten zielgruppengerecht (Bevölkerung, Politiker, Wissenschaftler) abgerufen werden können.

Einen wichtigen Beitrag leistet der siebte im Bunde, das Europäische Zentrum für mittelfristige Wettervorhersage in Reading (England). Hier entstehen bereits Vorhersagen für die globale Verteilung der wichtigsten Luftschadstoffe, allerdings in einer Auflösung, die für regionale Auswertungen nicht ausreicht. In das Vorhersagemodell sind aktuelle Satellitendaten integriert. Für sich allein genommen haben Satellitenmessungen jedoch zwei gravierende Nachteile: Wenn der Himmel bewölkt ist, gibt es keine Daten. Und sie liefern nur Momentaufnahmen von einer bestimmten Lokalzeit, also dem Zeitpunkt, an dem der Satellit den jeweiligen Ort überfliegt. Deshalb ist es sinnvoll, die Messungen mit anderen Datenquellen im Modell zu kombinieren.

Im Januar war der offizielle Start des über drei Jahre laufenden, mit zwei Millionen Euro ausgestatteten „Panda“-Projekts. Die Zusammenarbeit mit den chinesischen Kollegen klappe sehr gut, sagt Petersen. Ein weiterer Pluspunkt sei die stärkere Vernetzung der chinesischen Forschungsstätten untereinander. Ähnlich wie in der Wirtschaft mache auch die Wissenschaft in China eine rasante Entwicklung durch, betont Brasseur. Inzwischen seien im Reich der Mitte attraktive Arbeitsbedingungen entstanden, die gerade US-Forscher nach China lockten, erzählt der Projektleiter, der selbst viele Jahre in Boulder (US-Bundesstaat Colorado) forschte.

In den vergangenen Jahren habe es einen Paradigmenwechsel gegeben, so Brasseur: „Früher sagte man: Die Luftverschmutzung ist global, also müssen auch unsere Modelle global sein. Heute arbeitet man eher mit einem Mosaik von regionalen Modellen, die die Brennpunkte der Verschmutzung abbilden.“ Das gilt auch für das derzeit entstehende europäisch-chinesische Vorhersagemodell. Atmosphärenforscher Brasseur hat bereits weitere Problemregionen im Visier, für die das „Panda“-Modell als Blaupause dienen könnte: „Ich bin mit Brasilien in Kontakt. Indien ist schon jetzt assoziiert. Und auch in Afrika gibt es belastete Regionen, denen Vorhersagemodelle zur Luftqualität helfen könnten.“