Gentechnisch veränderte Nervenzellen lassen sich punktgenau beeinflussen – zumindest in Zell- und Tierversuchen. Forscher erhoffen sich davon neue Ansätze zur Behandlung von Krankheiten wie Depressionen, Epilepsie und Parkinson.

Kopenhagen. Antriebslosigkeit bei Depressionen oder Angstzustände auf Knopfdruck beenden? Einen epileptischen Anfall mit einem Klick abstellen? Noch vor einem Jahrzehnt galt es als unmöglich, psychischen Krankheiten derart beizukommen. Unser Gehirn besteht aus schätzungsweise 100 Milliarden Nervenzellen (Neuronen). In diesem Kosmos punktgenau die zu oft oder zu wenig „funkenden“ Akteure zu identifizieren, die das neuronale Gleichgewicht stören, und dann regulierend einzugreifen, gehört zu den größten Herausforderungen der Wissenschaft.

Mittlerweile glauben allerdingsSpitzenforscher, dass sich „Schalter“ in das Gehirn einbauen lassen, mit denen sich bestimmte Typen von Nervenzellen gezielt steuern und so Fehlfunktionen beheben lassen. „Wir stehen womöglich an einem entscheidenden Punkt auf dem langen und mühsamen Weg, dieses rätselhafte Organ zu verstehen“, sagte Karl Deisseroth von der Universität Stanford auf dem Euroscience Open Forum (ESOF) in Kopenhagen, wo sich bis Donnerstag mehr als 3000 Wissenschaftler aus verschiedenen Disziplinen, Wirtschaftsvertreter und Politiker treffen.

Der Psychiater und Bioingenieur gehört zu den Mitbegründern der sogenannten Optogenetik. Dabei werden Nervenzellen genetisch so verändert, dass sie auf Licht reagieren und sich dadurch beeinflussen lassen. Auf diesem jungen Forschungsgebiet ruhen große Hoffnungen; es wird stark gefördert. Wohl auch deshalb wählte der 42-Jährige vor großem Publikum zunächst markige Worte. Später äußerte er sich auf Nachfrage zurückhaltender, schließlich beruhen seine Studien bisher erst auf Tierversuchen. Gleichwohl haben er und ein Dutzend Kollegen zuletzt Erfolge erzielt, die in den Neurowissenschaften für Aufregung sorgen.

In Kopenhagen stellte Deisseroth unter anderem die jüngste Arbeit seines Teams vor, die soeben im Fachjournal „Cell“ veröffentlicht worden ist. Demnach konnten die Forscher zeigen, dass ein bestimmtes Nervennetzwerk im Mäusegehirn offenbar eine wichtige Rolle für das Sozialverhalten der Tiere spielt. Als sie diese Neuronen in der sogenannten Area tegmentalis ventralis im Mittelhirn mit Licht stimulierten, verstärkte sich augenblicklich die Neigung der Maus, auf eine andere fremde Maus zuzulaufen – während eine gezielte Hemmung dieser Zellen die Maus sofort dazu brachte, ihre Annäherungsversuche einzustellen. In einer früheren, im Journal „Nature“ veröffentlichten, Studie hatte Deisseroths Team es durch gezielte Stimulation bestimmter Nerven im Mandelkern geschafft, die Ängstlichkeit einer Maus abzustellen, die in einem Labyrinth umherlief, und das Tier mutiger zu machen.

Deisseroth sieht diese Arbeiten als Ansatz, um Störungen wie Depressionen, soziale Ängstlichkeit und Autismus auf die Spur zu kommen. Die Hinweise, dass etwa der Mandelkern an der Entstehung von Angst beteiligt sein könnte, und dass die Zellgruppe Area tegmentalis ventralis in Verbindung mit Freude und anderen Gefühlen steht, haben Forscher in Experimenten bekommen, bei denen mit bildgebenden Methoden beobachtet wird, wie bestimmte Hirnregionen auf Reize reagieren. Ins Detail gingen diese Bilder aber nicht.

Die Optogenetik könnte nicht nur für eine genauere Auflösung neuronaler Vorgänge sorgen, sie kann diese zumindest im Tierversuch auch steuern.

Möglich wurde das durch eine Entdeckung des deutschen Biochemikers Peter Hegemann, der an der Humboldt-Universität Berlin forscht. Er untersuchte Ende der 90er-Jahre die Grünalge Chlamydomonas. Dabei stieß er auf die Kanal-Rhodopsine. Diese Proteine öffnen spezielle Kanäle, über die Signale übertragen werden – gesteuert von Licht. 2004 gelang es Deisseroth zusammen mit dem Neurowissenschaftler Edward Boyden und Kollegen erstmals, das Gen der Algenproteine in Nervenzellen einzubauen, sodass diese das Protein produzierten. 2005 beschrieben die Forscher im Journal „Nature Neuroscience“, dass sich die Nervenzellen durch Laserlicht anregen ließen.

Konkret funktioniert das so: Zunächst bauen Forscher das Algen-Gen in ein harmloses Virus ein. Dieses spritzen sie in das Hirngewebe. Dort wird es von Nervenzellen aufgenommen. Es kann sich aber nicht weiter vermehren, deshalb bleiben die Nervenzellen „gesund“. In ihnen wird nun das Algen-Gen abgelesen – damit werden sie lichtempfindlich. Über kurze Lichtimpulse durch ein implantiertes Glasfaserkabel lässt sich ihre Aktivität auf Knopfdruck „anschalten“. Bei Licht öffnen sie einen Kanal, durch den geladene Teilchen fließen. Das löst das „Feuern“ aus, jene elektrischen Impulse, mit denen Neuronen im Gehirn kommunizieren.

Entscheidend ist, nur ganz bestimmte Nervenzellen anzusprechen. Das Team um Deisseroth stimulierte etwa für seine jüngste Studie zum Sozialverhalten bei Mäusen nur jene Neuronen, die das Glückshormon Dopamin verwenden. Dazu fügen Forscher dem eingeschleusten Algen-Gen eine Art Schlüssel hinzu, der dafür sorgt, dass der Code nur von bestimmten Nervenzellen abgelesen werden kann.

Mittlerweile nutzen das Verfahren Hunderte Forschergruppen weltweit, um Ansätze zur Behandlung neurologischer Erkrankungen zu entwickeln. Ein Beispiel ist die Parkinson-Krankheit. Womöglich könnten Nervenzellen, die ihre Aufgabe nicht mehr erfüllen, durch eine optogenetische Behandlung wieder aktiviert werden. Bisher lässt sich Parkinson durch die tiefe Hirnstimulation behandeln. Dabei regen implantierte Elektroden das Gehirn an. Nebenwirkungen dieses massiven Eingriffs können Depressionen oder Wahrnehmungsstörungen sein. Vielleicht ist eine optogenetische Stimulation präziser und schonender, überlegen Forscher.

Im Fokus steht auch die Epilepsie. Bei einem epileptischen Anfall entladen sich übererregte Nervenzellen gleichzeitig. Ließe sich die Aktivität einzelner Neuronen gezielt dämpfen, könnte man so womöglich Störungen behandeln. Im März dieses Jahres stellten Forscher um Peter Hegemann aus Berlin und Thomas Oertner vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) im Fachjournal „Science“ ein Verfahren vor, Zellen von Ratten mithilfe von Licht „auszuschalten“. Durch genetische Manipulation wurde aus einem eigentlich aktivierend wirkenden Protein ein hemmendes. In einem nächsten Schritt müsste erprobt werden, ob dieser Schalter auch in Tierversuchen funktioniert.

Doch was bei Mäuseexperimenten zur Routine werden könnte, kommt beim Menschen derzeit nicht infrage. Was geschähe, wenn fremde Gene in das Nervensystem eingeschleust würden, welche Nebenwirkungen dies haben könnte, ist unklar. Ein Mäusegehirn ist mit 75 Millionen Nervenzellen ungleich weniger komplex als das menschliche mit 100 Milliarden Neuronen – und nicht einmal das Mäusegehirn ist bisher verstanden. Unklar ist auch, mit welcher Technik sich beim Menschen Hirnregionen mit Licht behandeln ließen.

Karl Deisseroth gestand denn auch, dass es lange dauern könnte, „ehe Patienten davon profitieren werden“. Grundsätzlich sei er aber optimistisch: „Es wird sicher Rätsel geben, denen wir nie auf die Spur kommen werden – aber auch solche, die wir lösen werden.“