Die Zahl der Vögel ist drastisch gesunken. Ein neues Projekt will ihnen wieder die Umgebung verschaffen, die sie brauchen – und so der Art eine Zukunft geben

Magdeburg. Majestätisch schwebt der schlanke Greifvogel mit seinen langen Schwingen durch die Lüfte, sucht das Grünland nach Mäusen und anderen Kleintieren ab. Hat er eine potenzielle Beute erspäht, stößt er sich nicht, wie andere Raubvögel, im Sturzflug auf sie, sondern „schleicht“ sich segelnd an sie heran, um sie zu greifen. Der Rotmilan ist hierzulande nicht sehr bekannt, dabei ist hier seine Heimat. Er lebt nur in Europa, und 60 Prozent des Bestandes brütet in Deutschland. Um der Art eine Zukunft zu geben, startete das Bundesumweltministerium Mitte Mai das Schutzprojekt „Rotmilan – Land zum Leben“ mit einem Workshop in Magdeburg.

In den jüngsten zwei Jahrzehnten hat der elegante Flieger rund ein Drittel seines Bestandes eingebüßt. Für seine Jagd braucht er Brachflächen, Grünland oder Äcker mit niedrigem Bewuchs. Doch die mussten massiv dem Anbau von Raps, Mais und Getreide weichen. In den hochwachsenden Kulturen sind Mäuse, Maulwürfe und Feldhamster weitgehend vor dem scharfen Blick und anschließend vor den scharfen Krallen des Milans geschützt – und die Vögel bleiben hungrig. Sie lieben Landschaften aus Wiesen und Seen, Hecken und lichten Wäldern, in denen sie in mindestens 15 Metern Höhe ihre Horste bauen können. Doch solche Strukturen mussten immer mehr der intensiven Landwirtschaft weichen.

In Ostdeutschland, etwa an der Mecklenburgischen Seenplatte, sind die Rotmilane noch häufig zu finden – in den neuen Bundesländern leben rund zwei Drittel des deutschen Bestandes, der auf 10.000 bis 14.000 Brutpaare geschätzt wird. Die anmutigen Vögel, die an ihrem rostroten Gefieder, den hellgrauen Köpfen und vor allem am gegabelten Schwanz zu erkennen sind, hatten unter der politischen Wende zu leiden, sagt der Hamburger Ornithologe Alexander Mitschke. „Zu DDR-Zeiten gab es neben den großen Schlägen der LPG viel mehr Kleinstrukturen und Ecken, um die sich niemand gekümmert hat. Zudem wurden mehr Kleegras und Leguminosen als Viehfutter angebaut. Die Kulturen bleiben niedriger, davon profitierten die Milane.“

In Schleswig-Holstein brüten rund 130 Paare, mit Schwerpunkt im Südosten, im Kreis Herzogtum Lauenburg. „In Hamburg haben wir keine Brutpaare“, so Mitschke, „aber es lassen sich regelmäßig Rotmilane in den Vier- und Marschlanden sehen. Die Wiesenlandschaft ist für die Vögel ein attraktives Nahrungsgebiet. Wir warten darauf, dass nun endlich auch mal auf Hamburger Gebiet ein Paar brütet.“

Der Nahrungsmangel war lange Zeit der Hauptgrund für den Rückgang der Vogelart, für die Deutschland weltweit die größte Verantwortung trägt. Eine zweite Ursache ist hinzugekommen: „Neben Mäusebussarden werden Rotmilane am häufigsten durch Windrotoren getötet“, sagt Peer Cyriacks von der Deutschen Wildtierstiftung. Die Stiftung mit Sitz in Hamburg ist eine der drei Koordinatoren des Projekts. Die anderen beiden sind der Deutsche Verband für Landschaftspflege (DVL) und der Dachverband Deutscher Avifaunisten (Vogelkundler), kurz DDA.

Der Umstand, dass Windparkanlagen für die Rotmilane attraktiv sind, verstärkt die Kollisionsgefahr. Meist sind die Rotoren und ihre Zuwege von mäuseträchtigem Brachland umgeben. Doch wenn die Vögel in schaukelndem Segelflug und relativ niedriger Höhe nach Beute suchen, ist ihr Blick nach unten konzentriert – „die schnell drehenden Rotoren nehmen sie dann oft nicht rechtzeitig wahr. Oder sie können sie nicht wahrnehmen“, so Cyriacks. Mit Blick auf ihre jeweilige Bestandssituation seien Rotmilane und Seeadler die Vogelarten, die am stärksten durch Windräder gefährdet sind.

Das Projekt „Land zum Leben“ setzt vor allem bei der Landwirtschaft an. Cyriacks: „Wir wollen in elf Modellregionen, die über acht Bundesländer verteilt sind, eine Rotmilanfreundliche Landwirtschaft demonstrieren. Dazu werden Berater des Projekts, koordiniert vom DVL, interessierten Landwirten erklären, was sie für die Vögel tun können. Ändern sie die Bewirtschaftung entsprechend, erhalten sie eine zusätzliche Förderung im Rahmen der EU-Agrarzuschüsse.“ Die Rotmilanfreundlichkeit hängt vor allem an den ausgewählten Kulturen. „Kurz gesagt: Wir brauchen weniger Raps, weniger Mais und mehr Grünland“, so Cyriacks. Förster und Waldbesitzer könnten einen Beitrag leisten, in dem rund um Rotmilan-Horste auf Holzernten verzichtet werde – Bäume, auf denen die geschützten Vögel brüten, dürfen ohnehin nicht gefällt werden. Auch lärmende Erntemaschinen in Nestnähe könnten die Milane vertreiben und damit den Bruterfolg gefährden.

„Ein Großteil des Projektetats von 1,8 Millionen Euro wird in die Beratung der Landnutzer fließen“, so Cyriacks. Ein weiterer Teil dient der Forschung, auch zur Erfolgskontrolle der bezuschussten Umweltmaßnahmen. Biologen des DDA werden Rotmilane zählen. Tiere werden mit Sendern bestückt, um herauszufinden, ob sie ihre Nahrung tatsächlich auf rotmilanfreundlich bewirtschafteten Flächen suchen. Und Nistkameras sollen den Forschern Einblicke in ihr Leben sowie Hinweise auf ihr Nahrungsspektrum liefern. Letztendlich könnte das Projekt, das bis zum 30. Juni 2015 läuft, nicht nur den Rotmilanen zugutekommen. „Auch viele andere bedrohte Arten wie Feldhamster, Rebhuhn und Feldhase sollen von den Maßnahmen profitieren“, wünscht sich das Bundesamt für Naturschutz.

Die Internetplattform des Projekts: www.rotmilan.org