Mehlschwalben fühlen sich in Rathausnähe wohl. Die größten Brutkolonien leben in Elbnähe, eine sogar mitten in der Innenstadt

Hamburg. Sie fliegen zwitschernd durch die Lüfte, jagen akrobatisch Insekten: Mehlschwalben kommen jetzt aus Afrika zurück und verbreiten Sommeratmosphäre, auch in der Hamburger City. Die Kolonie zwischen Rathaus und Gänsemarkt (Schwerpunkt Alsterarkaden, Jungfernstieg, Große Bleichen) ist mit üblicherweise rund 125 Brutpaaren noch immer die größte Ansammlung im Stadtgebiet. Wie in anderen Städten auch haben es die spatzengroßen Flugkünstler in Siedlungsgebieten nicht leicht. Aber in Hamburg ist der Bestand stabil. Das zeigen Brutplatzzählungen des Arbeitskreises der Hamburger Vogelschutzwarte in den Sommern 2011 bis 2013.

„Schwalben nisten gern in der Nähe von Gewässern, an denen sie Insekten erbeuten. Die Kolonie in der City profitiert von Alster und Elbe. An den rauen Fassaden können sie ihre Nester bauen, das passende Material dazu finden sie in den Fleeten“, sagt Dr. Ronald Mulsow, der das Erfassungsprogramm der Vogelschutzwarte koordinierte.

Insgesamt zählten die Ornithologen 2114 besetzte Nester und erfassten dabei rund 90 Prozent des Stadtgebietes. Bei einer allgemeinen Bestandsaufnahme für den Hamburger Brutvogelatlas in den Jahren 1997 bis 2000 waren es nur 1958 Nester – ein leichtes Plus von knapp acht Prozent, das die Ornithologen als stabilen Bestand bewerten. Dabei gibt es zwei gegenläufige Trends: Der Zunahme von knapp 24 Prozent im östlichen Hamburg steht eine Abnahme von gut 15 Prozent in der Westhälfte entgegen. Mulsow: „Wir rätseln noch, woran das liegt. Fest steht: Grünland bietet den Schwalben ein besseres Nahrungsangebot als die Intensivlandwirtschaft. So sind in den Vier- und Marschlanden Mehl- und Rauchschwalben noch häufig, zumal ihnen dort die Bauernhöfe zusätzlich gute Nistmöglichkeiten bieten.“

Generell registrierten die Vogelkundler vor allem in Elbnähe und im Elbtal deutliche Zuwächse. Dort finden sich auch die größten Mehlschwalben-Kolonien der Stadt. Neben der City liegen sie in Moorburg (100) besetzte Nester), Wilhelmsburg (92), Moorwerder (90), Neuengamme (79) und auf der Peute (74). Dagegen seien die schwarz-weißen Vögel in vielen innerstädtischen Bereichen inzwischen verschwunden, so Mulsow. Auch in der City und noch stärker bei einer weiteren Stadtkolonie an der Horner Rennbahn seien die Vögel auf dem Rückzug – „viele Hausbewohner schlagen die Nester illegal ab. Dabei reicht schon ein Kotbrettchen unterhalb der Nester, um sich Unannehmlichkeiten zu ersparen.“

Früher galten am Haus brütende Schwalben als Glücksboten, heute sind sie vielen Bewohnern ein Ärgernis. Manche von ihnen entfernen die Nester, obwohl die Vögel und ihre Brutplätze geschützt seien, beklagt Mulsow. „Das Gesetz verlangt sogar bei Abriss von Häusern mit Nestern von Schwalben oder anderen Gebäudebrütern, dass als Ersatz künstliche Nisthilfen geschaffen werden.“

Schwalben sind standorttreu. Das heißt, sie weichen nicht sofort aus, wenn ihr angestammter Nistplatz verloren gegangen ist. Das kann dazu führen, dass der Bruterfolg ausbleibt und damit die Population geschwächt wird. Zwar brüten Schwalben oft zweimal im Sommer, frühestens Ende April bis spätestens Anfang September. Aber oft wird die Zeit knapp, wenn während der Brutsaison Nester zerstört oder die Vögel vergrämt werden, denn die ersten Artgenossen treten bereits Ende August den Flug nach Afrika an.

Wenn die Menschen sie akzeptieren, können Schwalben sehr gut mit ihnen leben. Als sogenannte Kulturfolger haben sie sich an eine von Menschen gestaltete Umwelt angepasst. Zum Beispiel beim Nestbau: Wo Uferzonen oder Pfützen fehlen, die feuchten Lehm, Ton oder Schlamm für die halbkugelförmigen Nester bereit halten, suchen sich die Vögel in Regenrinnen Ersatz. Auch Baustellen helfen den Schwalben in versiegelten Innenstädten, sagt Ornithologe Alexander Mitschke, der die Entwicklung der Citykolonie erfasst.

„Die Großbaustelle der U4 am Jungfernstieg hat den Schwalben 2008 und 2009 schöne Sandpfützen beschert. Die Fülle an Baumaterial führte dazu, dass einige Vögel sogar versuchten, in den Fenstersimsen des Alsterhauses Nester zu bauen.“ Umgekehrt habe die Fassadensanierung an der Alten Post Ecke Poststraße/Große Bleichen den Schwalben den Sommer 2013 verhagelt. Mitschke: „Die verhängten Fassaden haben dazu geführt, dass ich nur 97 Brutpaare zählte – nach 127 Paaren im Jahr 2012.“

Einige Vögel wichen womöglich in die HafenCity aus. Dort haben Mitschke und sein Kollege Marco Sommerfeld vom Naturschutzbund (Nabu) Hamburg an den modernen Stahl-Glas-Beton-Bauten erste nistende Mehlschwalben entdeckt. Aber auch dort seien bereits Drähte gespannt und sogenannte Taubenspieße aufgestellt worden, um sich gegen drohende Kotkleckse während der Brutzeit zu wehren.

Ihre Anpassungsfähigkeit mag den Hamburger Mehlschwalben helfen – den Artgenossen in Berlin geht es offenbar deutlich schlechter. Dort ermittelten Vogelkundler im Jahr 2010 eine Abnahme von minus 35 Prozent und haben keine Erklärung dafür. Auch bundesweit ist der Schwalbenbestand seit Jahrzehnten rückläufig, sowohl bei der Mehlschwalbe als auch bei den Rauch- und Uferschwalben.

Alle drei Arten stehen auf der Vorwarnliste zur Roten Liste der bedrohten Arten. Der Pestizideinsatz in der Landwirtschaft raubt den Vielfliegern ihr Futter. Der Rauchschwalbe, die in Gebäuden brütet, nehmen hermetisch verschlossene Stall- und andere Hofgebäude jegliche Nistmöglichkeiten. Die Uferschwalbe braucht – wie ihr Name schon sagt – naturnahe Flüsse mit Uferabbrüchen, in denen sie ihre Nisthöhle anlegt. Und bauwillige Mehlschwalben scheitern allzu oft an Abwehrmaßnahmen oder aalglatten Fassaden.

Dennoch seien Schwalben in Großstädten besser zu schützen als andere Vögel, sagt Marco Sommerfeld: „Sie brauchen keine besonderen Strukturen wie Bäume, denn sie nutzen nur den Luftraum. Aber sie benötigen Gebäude, an denen sie nisten können.“

Ausführliche Informationen zum Schwalbenschutz unter www.nabu.de, Stichworte: Tiere und Pflanzen/Vögel/Zugvögel/Schwalben