Götz Schomburg aus Hamburg arbeitete drei Monate auf der Kohnen-Station in der Antarktis – als Mediziner, Küchenhilfe und Wetterbeobachter

Hamburg. Als er das Flugzeug davonfliegen sah, das sie in der Eiswüste abgesetzt hatte, war Götz Schomburg kurz etwas mulmig zumute. Angekommen am Ende der Welt. Schnee so weit das Auge reicht. Weiße, endlos erscheinende Wildnis. Bis auf die Farbtupfer vor ihm: Elf orange-gelbe Stahlcontainer auf Stelzen – sein neues Zuhause für drei Monate.

Die Kohnen-Station in der Antarktis ist Deutschlands südlichster Außenposten, gelegen auf einem Plateau 2892 Meter über dem Meeresspiegel. Bis zum geografischen Südpol sind es „nur“ noch rund 1670 Kilometer. Gletscherforscher und Meteorologen des Bremerhavener Alfred-Wegener-Institutes (AWI) betreiben hier Klimaforschung; anhand von Eisbohrkernen wollen sie unter anderem die Klima- und Umweltgeschichte des Kontinents rekonstruieren. Die Arbeiten finden allerdings nur im antarktischen Sommer, von November bis Februar, statt. In dieser Zeit brauchen die Wissenschaftler auch einen Arzt mit speziellen Kenntnissen – jemanden wie Götz Schomburg.

Der 46-jährige Allgemeinmediziner, der in einer Praxisgemeinschaft in Eimsbüttel arbeitet, hat eine Zusatzqualifikation als Höhenmediziner. Über Kollegen erfuhr er von der Jobausschreibung des AWI und bewarb sich. „So eine Chance bekommt man vielleicht nur einmal im Leben“, sagt Schomburg. „Mich reizte die Herausforderung, ich wollte nach 13 Jahren in der Praxis einmal etwas anderes machen.“ Das AWI lud ihn zum Vorstellungsgespräch ein. Wenig später erhielt er die Zusage.

Warum er sich gegen seine vielen Mitbewerber durchsetzte, darüber kann Schomburg nur spekulieren. „Es geht ja nicht nur um fachliche Qualifikationen, sondern man muss unter den besonderen Platzbedingungen auf der Kohnen-Station im Team arbeiten können“, sagt er. Der Mediziner segelt oft, hat schon etliche Törns mitgemacht und viele Tage auf engem Raum mit Menschen verbracht – vielleicht war es unter anderem diese Erfahrung, mit der er überzeugen konnte.

Die Anreise gestaltete sich zäh, bot aber eine Überraschung. Nach dem Flug von Hamburg nach Kapstadt mussten sich Schomburg, die AWI-Forscher, der Koch und zwei Techniker fünf Tage lang gedulden, bis das Wetter den Weiterflug mit einem Transportflugzeug vom Typ Iljuschin Il-76 zuließ. „Zwei Tage vor dem Abflug erfuhren wir, dass auch Prinz Harry die Maschine nehmen würde“, erzählt Schomburg. Der 29-Jährige saß dann bei dem Flug zur russischen Nowolasarewskaja-Station in der Ostantarktis eine Reihe hinter Schomburg.

Allerdings hatte der Sohn des britischen Thronfolgers in der Antarktis ein anderes Ziel: Im Rahmen einer Charity-Aktion für Kriegsversehrte startete Harry mit drei Teams aus Großbritannien, den USA sowie einer kanadisch-australischen Mannschaft zu einem Marsch zum geografischen Südpol. Schomburg und die AWI-Leute mussten sich in der Nowolasarewskaja-Station fünf weitere Tage gedulden, bis sich der Wind so weit abgeschwächt hatte, dass sie zur Kohnen-Station weiterfliegen konnten.

Ein Arzt mit höhenmedizinischem Wissen wie Schomburg ist wegen der besonderen Lage der Station nötig. Während sich Bergsteiger langsam an die zunehmende Höhe gewöhnen können, ist dies beim Flug zur Kohnen-Station auf fast 3000 Meter nicht möglich. „Dadurch erhöht sich die Gefahr, dass einen die akute Bergkrankheit erwischt, um bis 60 Prozent“, sagt Schomburg. Kopfschmerzen, Schlaflosigkeit, Leistungsminderung, das sind die ersten Symptome. Im schlechtesten Fall können lebensgefährliche Lungen- oder Gehirnödeme entstehen.

„Alle Expeditionsteilnehmer wurden vor der Reise daraufhin untersucht, ob sie in der körperlichen Verfassung sind, auf diese Höhe ins Eis zu gehen“, erzählt Schomburg. „Für mich selbst war diese Untersuchung besonders wichtig. Denn wenn ich krank geworden wäre, hätte mir unter Umständen niemand helfen können – ich war ja der einzige Arzt auf der Station.“ Zwar arbeitet auch ein Mediziner in der Neumayer-Station III des AWI, die „nur“ zweieinhalb Flugstunden entfernt ist. „Die Frage ist aber, ob ein Flugzeug starten kann, wenn man es braucht“, sagt Schomburg.

Zu ernsthaften Erkrankungen kam es dann während seines Aufenthalts jedoch nicht. „Ich musste eher Kleinigkeiten behandeln, etwa einen entzündeten Fingernagel, und erste Symptome der akuten Höhenkrankheit mit Sauerstoffgaben behandeln“, erzählt Schomburg.

Langeweile kam deshalb aber nicht bei ihm auf. Nachdem Meteorologen ihn eingeführt hatten, notierte er morgens und abends die Wetterdaten, die von der Station gesammelt werden, und schickte sie per E-Mail über eine Satellitenverbindung zur Neumayer-Station. Er half in der Küche, war für die Mülltrennung zuständig und packte mit an, wenn die Station mit Hydraulikpressen erhöht werden musste. Das geschah, wenn sich unter ihr so viel Schnee angehäuft hatte, dass sie darin zu versinken drohte. Schomburg begleitete auch die Traverse, wie die mehrtägige Fahrt genannt wird, bei der AWI-Mitarbeiter mit Pistenbullys den Dieselkraftstoff, der zum Betrieb der Kohnen-Station nötig ist, von der Neumayer-Station dorthin bringt – und leere Fässer wieder zurück.

Geburtstagsglückwünsche an die Tochter gab es nur per Satellitentelefon

In seiner Freizeit machte sich Schomburg mit Skiern zu kleinen Touren auf. Wegen der Höhe lag die Sauerstoffsättigung seines Blutes anfangs nur bei 83 Prozent – normal sind 98. „Ich war deshalb anfangs sehr kurzatmig“, erzählt der Arzt. „Von Skilanglauf konnte keine Rede sein, es war eher Skilanggehen“, sagt er und lacht.

Hart war für ihn die Distanz zu seiner Familie. Er konnte Weihnachten nicht zu Hause sein und auch nicht zuSilvester, und als seine Tochter im Januar zehn Jahre alt wurde, konnte er ihr nur per Satellitentelefon gratulieren. In der Praxis in Eimsbüttel überbrückten die Kollegen seine Abwesenheit mit einer Vertretung.

Heute, zurück am Schreibtisch und mit zwei großformatigen Fotos aus der Antarktis als Erinnerung an den Wänden, schwärmt Schomburg von der „unfassbaren Weite“ der Landschaft. Er sei sehr dankbar für diese „großartige Erfahrung“. Ergäbe sich erneut die Chance, würde er prinzipiell wieder hinfliegen, sagt der Arzt. Mittelfristig komme das allerdings nicht infrage. „Sonst gibt es Ärger zu Hause.“