Hamburger Biologen wollen mithilfe von Sensoren herausfinden, wie die Nagetiere ihren Stoffwechsel an die Jahreszeiten anpassen

Erdnussbutter, süßlich duftend. Und Apfelstückchen, Erdnüsse, Hasel- und Walnüsse. Dieser Verlockung werden einige seiner Probanden nicht widerstehen können und ihm in die Falle gehen, dessen kann sich James Turner sicher sein. Die Frage ist nur, wann sie kommen werden. „Es ist ein Geduldspiel“, sagt der Biologe von der Universität Hamburg, während er behutsam die äußeren Zweige einer Eibe auseinanderschiebt, um sich einen Weg zum Stamm zu bahnen. Dort hängt ein Käfig, etwa so lang wie zwei Schuhkartons. Er ist leer.

Wir sind auf dem Ohlsdorfer Friedhof, nahe der Kapelle 7. Es ist kühl an diesem Morgen, ein leichter Nebel hängt zwischen den Bäumen. In der Ferne schnattern Gänse. Die weitläufige Anlage ist mit 391 Hektar etwa neunmal so groß wie der Vatikan; jedes Jahr werden hier bis zu 4700 Menschen beerdigt. Man kann diesen Ort beklemmend finden und zugleich viel Schönes entdecken. Etwa 36.000 Laub- und Nadelbäume gedeihen auf dem Areal, bevölkert von mehr als 50 brütenden Vogelarten. Und von Eichhörnchen. Ihretwegen ist James Turner hier.

Der 32-Jährige gehört zum Team um die Professorin Kathrin Dausmann. Die Forscher wollen mehr darüber herausfinden, wie Eichhörnchen und andere Tiere je nach Jahreszeit mit ihrer Energie haushalten, insbesondere im Winter, und wie sie sich an Engpässe im Nahrungsangebot und Temperaturschwankungen anpassen. Im Winter benötigen Säugetiere mehr Energie, um warm zu bleiben; zugleich finden sie weniger Nahrung. Dieses Dilemma umgehen einige Arten, indem sie die kalte Jahreszeit in einer Behausung verschlafen. Dabei kommen sie monatelang ohne Nahrung und Wasser aus, weil sie sämtliche Körperfunktionen, auch die Körpertemperatur, herunterfahren und so viel weniger Energie verbrauchen.

Eichhörnchen, so vermuten Biologen, sind in der kalten Jahreszeit zwar wenig aktiv, aber sie halten keinen Winterschlaf und reduzieren wohl auch nicht ihre Körpertemperatur. Aber stimmt das wirklich? Wie kommen die Nager ohne diesen Energiesparmodus zurecht? Und warum halten andere Tiere, zum Beispiel Igel, die ähnlich groß sind und in der gleichen Umgebung leben, Winterschlaf?

Studien zu diesen Fragen sind Teil der Grundlagenforschung, sie sollen das Wissen über unsere Tierwelt erweitern. Womöglich lassen sich die Erkenntnisse zum Winterschlaf irgendwann aber auch einmal für den Menschen nutzen. So würde sich etwa die Nasa freuen, wenn sie Astronauten bei langen Missionen in einen winterschlafähnlichen Zustand versetzen könnte. Profitieren könnte womöglich auch die Medizin, etwa wenn sich Spenderorgane „einschläfern“ und somit länger aufbewahren ließen. Noch ist das allerdings Zukunftsmusik.

Real ist die neue Technik, mit der Biologen heute arbeiten können. Früher mussten sie sich mit Beobachtungen von Tieren im Labor begnügen, um Phänomenen wie dem Winterschlaf nachzuspüren; es gab noch keine miniaturisierten Geräte, die man den Tieren in ihrer natürlichen Umgebung hätte anheften können. Inzwischen gibt es winzige Sender und Sensoren, mit denen sich der Aufenthaltsort der tierischen Probanden und deren Aktivität registrieren lassen.

Mithilfe solcher Instrumente hatte Kathrin Dausmann entdeckt, dass es Winterschlaf auch in den Tropen gibt. Im Osten Madagaskars buddeln sich zwei zu den Fettschwanzmakis gehörende Affenarten im „Winter“, während der nahrungsarmen Trockenzeit, in die Erde ein. Dausmann und zwei Kolleginnen fanden die Makis dort unter einer Schicht aus Laub, Humus und Wurzeln, weil sie die Tiere schon im Sommer mit Sendern ausgestattet hatten.

In einer früheren Studie, die es in das renommierte Journal „Nature“ schaffte, hatte Dausmann bereits von einer anderen Maki-Art im Westen Madagaskars berichtet, die sich zum Energiesparen monatelang in Baumhöhlen zurückzieht, ebenfalls während der Trockenzeit. Dausmann ist überzeugt, dass „wir auch mit unseren einheimischen Tieren noch viele Überraschungen erleben werden“.

Sensoren messen alle 30 Minuten die Hauttemperatur der Tiere

Unter Biologen sorgen ihre Studien weltweit für Aufsehen. „Kathrin stand ganz oben auf der Liste der Wissenschaftler, mit denen ich am liebsten arbeiten wollte“, erzählt James Turner, während er auf dem Ohlsdorfer Friedhof über eine feuchte Wiese stapft. Turner kommt aus Australien; dort lernte er bei der Arbeit an seiner Doktorarbeit seine Frau kennen, eine deutsche Biologin. Nach einem gemeinsamen Forschungsaufenthalt in Kanada beschlossen die beiden, eine Zeit lang in Deutschland zu leben und meldeten sich bei Kathrin Dausmann – die ihm prompt zusagte. James Turner hatte in Australien über die Thermoregulation von Possums (Beutelsäugern) geforscht, er passte gut ins Team.

Und so kommt es, dass der Hitze und Trockenheit gewöhnte Australier nun im Norden Deutschlands auf einem feucht-kalten Friedhof steht. Auf einem Areal, das größer ist als 20 Fußballfelder, hat der Biologe 30 Käfige in Bäumen montiert. Eichhörnchen, die in diese Fallen liefen, implantierte er Reiskorngroße Chips unter die Haut und „nummerierte“ sie so. Zudem legte er den Tieren Halsbänder um. Diese messen alle 30 Minuten die Hauttemperatur der Nager, und das sechs Monate lang. Regelmäßig fährt Turner nun zum Friedhof, lockt die Tiere an und überprüft sie mit einem Scanner. Der implantierte Chip verrät ihm, um welches Tier es sich handelt. Dann entfernt er das Halsband und nimmt es mit ins Labor. Fängt er dasselbe Tier später wieder, legt er ihm erneut das Halsband um.

„Da, ich glaube, ich habe eines“, sagt er leise, taucht unter Baumzweigen hindurch und nähert sich einem Käfig mit der Nummer drei, in dem ein rotes Fellbündel hin und her wuselt. Das Tier trägt kein Halsband, es ist also ein „Neuling“. Der Biologe deckt den Käfig mit einer Decke ab, um das Eichhörnchen zu beruhigen; dann öffnet er den Verschlag und lässt das Tier in einen schmalen Stoffbeutel laufen. Er wiegt es – „380 Gramm, ein erwachsenes Tier“ – und öffnet den Schlauch in der Mitte, um das Geschlecht des Tieres festzustellen. Es ist ein Weibchen. Während der Biologe das Tier mit einer Hand festhält, öffnet er den Schlauch vorsichtig an der Kopfseite – „die Kleinen können kräftig zubeißen“ – und lässt das Hörnchen herausspringen.

Wenn Turner an der Uni seinen Computer mit den Daten von den Halsbändern füttert, erhält er eine Liste mit Zeiten und Temperaturen. „Wenn die Eichhörnchen in ihren Nestern ruhen, ist die Hauttemperatur konstant. Verlassen sie ihre Verstecke, so variiert die Temperatur und sinkt teilweise, abhängig davon, wie kalt es draußen ist“, erläutert er. „So bekommen wir eine Vorstellung von der Aktivität der Tiere.“

Zusätzlich erforschen die Biologen ihre Probanden im Labor. Dort messen sie den Sauerstoffverbrauch der Eichhörnchen, indem sie Luft aus deren Nistboxen absaugen. Im Abgleich mit der verzehrten Nahrung schließen die Wissenschaftler auf den Energieverbrauch der Tiere. „Es scheint bisher so“, sagt Turner, „als hätten die Eichhörnchen im Winter einen langsameren Stoffwechsel als vermutet“. Das könnte den Tieren beim Energiesparen helfen.

Ansonsten zeigte sich bisher – wenig überraschend –, dass die Nager mehr Zeit in ihren Kobeln verbrachten, wenn es kälter wurde. Eine dauerhafte Absenkung der Körpertemperatur haben die Hamburger Forscher bisher nicht beobachtet. Dazu oder zu anderen Phänomenen könnte es vielleicht kommen, wenn es richtig kalt würde. Der vergangene milde Winter war deshalb für die Studien von Turner und seinen Kollegen alles andere als ideal; auch der Winter davor brachte keine Kälterekorde. „In einem Winter mit längeren Bodenfrostphasen, in dem die Tiere ihre zuvor versteckten Nüsse nicht ausgraben können, würden wir ein anderes Verhalten sehen“, sagt Turner.

Mühsam ernährt sich das Eichhörnchen – das gilt auch für seine wissenschaftlichen Begleiter, die sich in Geduld üben müssen. Bis September 2015 soll das Projekt noch laufen – eine Chance auf einen kalten Winter haben die Forscher also noch.

Der Nebel über dem Ohlsdorfer Friedhof lichtet sich langsam. James Turner macht sich auf den Weg zur nächsten Falle.