Der Weltklimarat legt in Berlin den dritten Teil seines Berichts vor und sieht wirtschaftlich vertretbare Wege, um die Erwärmung zu bremsen.

Berlin. Ottmar Edenhofer ist Klimaökonom und Mitglied im Weltklimarat IPCC. Bevor er am Sonntag im Berliner Kongresszentrum Estrel die wichtigsten Botschaften des neuen Klimareports präsentierte, machte er erst einmal klar, was er nicht wollte: den Regierungen vorschreiben, was sie im Klimaschutz zu tun haben. „Wir zeigen Optionen auf“, sagte Edenhofer. Jedes Land müsse entscheiden, auf welchem Weg es zum Ziel kommen wolle.

Das Ziel ist längst klar. Die internationale Staatengemeinschaft hatte sich 2010 auf dem Uno-Klimagipfel in Cancún (Mexiko) darauf verständigt, die globale Erwärmung bis Ende des Jahrhunderts auf maximal zwei Grad Celsius begrenzen zu wollen. In seinem Bericht zeigt der Weltklimarat auf, welche verschiedenen Wege zu diesem Ziel führen können. Notwendig sei vor allem, dass schnell und ambitioniert gehandelt werde, lautet die positive Botschaft der Klimaexperten. „Es kostet nicht die Welt, den Planeten zu retten“, sagte Edenhofer, Chefökonom des Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) und einer der drei Väter des neuen IPCC-Berichts.

Die Autoren des Reports analysierten 1200 Szenarien, generiert von 31 Modellen aus aller Welt, um verschiedene Klimaschutzpfade miteinander zu vergleichen. Sie bewerteten sie technologisch wie wirtschaftlich. Dabei wurde klar: Es gibt viele Wege, die zum Ziel führen.

Langfristiges Ziel ist die CO2-freie Energiegewinnung

Gut ein Drittel aller weltweiten Treibhausgas-Emissionen stammt aus dem Energiesektor, also aus der Verbrennung fossiler Energieträger wie Kohle, Gas und Erdöl. Allein bezogen auf das wichtigste Treibhausgas Kohlendioxid (CO2) sind es sogar zwei Drittel. Die Umstellung auf eine Energiegewinnung aus Wind, Sonne und anderen erneuerbaren Quellen sei bezahlbar, heißt es im IPCC-Bericht. Um das Zwei-Grad-Ziel zu erreichen, müsse der CO2-Ausstoß bis 2050 um 40 bis 70 Prozent unter das Niveau von 2010 gesenkt und bis Ende des Jahrhunderts fast vollständig gestoppt werden.

Dazu gilt es, den Anteil nicht-fossiler Energieerzeugung bis 2050 von derzeit 30 Prozent auf mehr als 80 Prozent zu erhöhen. Die Rede ist von einer „Decarbonisierung“ des Energiesektors, also von der Abwendung von kohlenstoffhaltigen Energieträgern. Als Option für eine CO2-freie Stromgewinnung werden neben den erneuerbaren Energien ausdrücklich auch die Kernenergie und die Einlagerung von CO2 (CCS-Technologie) genannt. Der Verkehr, Gebäude und Industrie müssten ebenfalls größere Beiträge zum Klimaschutz leisten, so der IPCC. Dasselbe gilt für die Landwirtschaft, etwa durch Aufforstungen und andere Landnutzungen.

Würden sich die heutigen Trends fortsetzen, so könnte der Temperaturanstieg angesichts wirtschaftlicher Entwicklung und eines Wachstums der Erdbevölkerung zum Ende des Jahrhunderts 3,7 bis 4,8 Grad betragen, errechneten die Modelle. Doch dieses Szenario lasse sich abwenden, wenn entschlossen gegengesteuert werde. Die Auswirkungen auf die Wirtschaft halten sich nach Aussagen des Berichts dabei in Grenzen.

Das weltweite Wirtschaftswachstum wird beim „Weiter so“-Szenario auf 1,6 und drei Prozent geschätzt. Ehrgeizige Klimaschutz-Maßnahmen würden es lediglich um rund 0,06 Prozentpunkte pro Jahr verringern, betonen die Experten. Es bleibe ein Zeitfenster des nächsten Jahrzehnts und maximal der nächsten zwei Dekaden, um zu moderaten Kosten reagieren zu können, sagte Edenhofer und warnte zugleich: „Je länger wir warten, desto teurer wird es.“ Und umso schneller müssten dann neue Technologien entwickelt und zur Marktreife gebracht werden.

Vor allem der rasante Aufbau von immer neuen Kohlekraftwerken in wirtschaftlich aufstrebenden Ländern wie China hatte in den vergangenen Jahren dazu geführt, dass der CO2-Ausstoß trotz vieler Klimaschutzbemühungen deutlich angestiegen ist. Im Jahr 2010 waren nur zehn Länder für 70 Prozent der weltweiten Treibhausgas-Emissionen verantwortlich. Allen voran China hat an den weltweiten CO2-Emissionen einen Anteil von mehr als 25 Prozent. Die Wissenschaftler sind optimistisch, dass es nicht zu spät ist zum Umsteuern. Der Vorsitzende des Weltklimarats, Rajendra Pachauri, forderte rasche Maßnahmen: „Der Hochgeschwindigkeitszug zur Verringerung der Treibhausgase muss jetzt losfahren – und die gesamte Weltgemeinschaft muss einsteigen.“

Die erneuerbaren Energien stehen an der Schwelle zur Wirtschaftlichkeit

Anlass zur Hoffnung gibt die technische Weiterentwicklung der erneuerbaren Energien. Sie stehen an der Schwelle zur Wirtschaftlichkeit und damit zur Nutzung im großen Stil. Der Bericht mahnt aber auch, bei der entscheidenden Uno-Konferenz 2015 in Paris ein verbindliches Klimaabkommen zu verabschieden. Wenn der Verbrauch fossiler Energien weiter ansteige wie bisher, werde sich die Erde um bis zu fünf Grad erwärmen.

Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) wertete den Bericht als Ansporn: „Wir müssen jetzt alles daran setzen, im Klimaschutz beherzt voranzugehen. Hendricks will in der kommenden Woche Eckpunkte für ein Klimaschutz-Sofortprogramm vorlegen.

Auch Greenpeace zeigte sich optimistisch. Der Klimabericht mache deutlich, dass eine globale Energiewende keine Belastung, sondern eine Chance sei. Die Welt stehe vor einer „historischen Wende“. „Brot für die Welt“-Klimaexpertin Sabine Minninger nannte es kontraproduktiv, dass die staatliche KfW-Bank im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit den Bau von Kohlekraftwerken finanziere.

Kritik kam auch vom Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter. Er warf der Bundesregierung vor, sie nehme das Problem des Klimawandels und die Empfehlungen der Experten nicht ernst: „Die Energiewende wird so betrieben, dass der CO2-Ausstoß in Deutschland in den nächsten Jahren weiter steigt.“

Der Energiepolitik-Experte Oliver Geden von der Stiftung Wissenschaft und Politik äußerte sich dagegen skeptisch zum Bericht: „Politisch hat das nicht viel Überzeugungskraft“, sagte Geden. Der 2006 veröffentlichte Report des ehemaligen Weltbank-Chefökonomen Nicholas Stern, der Klimaschutz als wirtschaftlich sinnvoll einstufte, habe in der politischen Praxis nicht viel verändert. Der neue Bericht wiederhole die „Fünf-vor-zwölf-Rhetorik“ früherer IPCC-Berichte, so Geden. Diese Botschaft nutze sich ab.