15 Staaten beschließen Initiative, um markante Tiere und Lebensräume des Nordostatlantiks zu bewahren. Bedrohungen der Tierarten und Lebensräume seien vielfältig betont die OSPAR-Kommission in London.

London/Hamburg. Neun bedrohte Vorzeigetierarten und drei besondere Lebensräume des Nordostatlantiks sollen künftig verstärkt geschützt werden. Eine entsprechende Initiative beschlossen die 15 Mitgliedsstaaten des OSPAR-Abkommens zum Schutz der Meeresumwelt und die Europäische Union in der vergangenen Woche. Neben vier Walarten (Blauwal, Grönlandwal, Nordkaper und Schweinswal) sollen die Leder- und die unechte Karettschildkröte, die Europäische Auster, die Islandmuschel (sie stellt mit 507 Jahren das älteste bekannte Tier der Welt) und die arktische Scheckente besser geschützt werden, ebenso die Lebensgemeinschaften von Kalkfelsen, Kolonien des Borstenwurms Sabellaria spinulosa und Siedlungszonen der Pferdemuschel (auch Große Miesmuschel genannt).

Eine herausragende Bedeutung hat der Schutz des Schweinswals. Der Wal kommt an allen europäischen Atlantikküsten vor, von der Barentsee und Island bis zu den Küsten Frankreichs und Spaniens. Der Gesamtbestand im Nordostatlantik wird auf rund 330.000 Tiere geschätzt. Er teilt sich in mehrere regionale Bestände auf, die zeitlich stark variieren. Bei Zählungen in der deutschen Nordsee in den Jahren 2002 bis 2006 tauchte die größte Anzahl mit 51.551 Schweinswalen im Mai/Juni 2006 auf. Dagegen wurden im Oktober/November 2005 nur 10.849 Wale gesichtet.

Seit einigen Jahren zieht der kleine Wal, der meist nur 1,80 Meter groß und 45 bis 70 Kilo schwer wird, im Frühjahr verstärkt die Elbe hinauf – pünktlich zur Stintsaison. Vermutlich folgt er den kleinen Fischen stromaufwärts, obwohl die Elbe mit dem regen Schiffsverkehr und dem damit verbundenen Lärm auf die Meeressäuger alles andere als einladend wirken muss. Tatsächlich mehren sich Anzeichen, dass Phocoena phocoena, so sein lateinischer Name, in der Hafenstadt Hamburg leicht die Orientierung verliert und nicht zurück in die Nordsee findet. So wurden in diesem Frühjahr an den Elbufern bis Mitte Juni 20 tote Schweinswale geborgen, die alle stark abgemagert waren.

Im freien Meer sind die in Küstennähe lebenden Schweinswale vor allem durch Fischernetze bedroht. Sie verheddern sich in Stellnetzen am Meeresgrund und ertrinken, weil sie nicht mehr zum Atmen auftauchen können. Eine ältere Untersuchung von gestrandeten Schweinswalen kam 2001 zu dem Schluss, dass 46 Prozent der Tiere durch Fischernetze verendet sind.

Schadstoffe können das Immunsystem von Schweinswalen unterdrücken

2005 beschloss die EU die Einführung von akustischen Alarmgebern (Pingern), die die Wale vor den Netzen warnen. Allerdings werden die Meeressäuger dadurch auch aus diesem Teil ihres Lebensraums vertrieben. Das schleswig-holsteinische Umweltministerium geht einen anderen Weg: Es vereinbarte am 17. Dezember mit zwei Fischereiverbänden, in den Sommermonaten die Stellnetze zum Schutz der Schweinswale um ein Drittel zu kürzen.

Auch Schadstoffe und Lärm setzen den Walen zu. Langlebige Substanzen reichern sich im Körperfett an und können die Fruchtbarkeit und das Immunsystem beeinträchtigen. So zeigte eine britische Untersuchung toter Wale aus der Ostsee, dass PCB-Gehalte von mehr als 17 Milligramm pro Kilo Fett das Immunsystem unterdrücken.

Da Schweinswale sich mit dem Echo ihrer Klicklaute orientieren und so auch auf Beutefang gehen, sind sie sehr lärmempfindlich. Unterwasserlärm durch seismische Untersuchungen oder das Rammen von Pfählen kann direkt das Gehör schädigen. Zudem kann Lärm die Tiere aus ihren Fortpflanzungsgebieten oder Nahrungsgründen vertreiben. Das Bundesumweltministerium hat Anfang Dezember ein Lärmschutzkonzept für den Bau von Windparks beschlossen. Darin enthalten sind Leitlinien zur Beurteilung von Schallemissionen, die durch Blasenschleier oder Hüllrohre, die die Pfähle bei Rammarbeiten umgeben, deutlich reduziert werden waren.

Die Rolle von OSPAR beschränkt sich beim Schweinswalschutz auf die Koordination von Forschungsaufgaben. So sollen die regionalen Schweinswal-Vorkommen näher untersucht werden, ebenso die Beifangraten durch Fischfang und die Folgen anderer menschlicher Einflüsse für die kleinen Wale.

Auch die arktische Scheckente ist durch Beifang gefährdet, doch ansonsten unterscheidet sich ihre Situation stark von den Schweinswalen. Der Vogel lässt sich nur im Varangerfjord in Nordnorwegen sowie in Estland und Litauen sehen, die OSPAR nicht angehören. Scheckenten brüten an den Küsten Alaskas und Ostsibiriens.

Europa besuchen sie zum Überwintern; jugendliche, noch nicht geschlechtsreife Enten kommen auch im Sommer. Es wird geschätzt, dass sich die Zahl der Scheckenten weltweit halbiert hat, nach Angaben der Organisation Birdlife International auf 100.000 bis 125.000 Tiere. In Europa gelten die beiden Vorkommen als stabil, wobei sich Anzeichen mehren, dass die Enten an den baltischen Küsten leicht abnehmen.

Zum Schutz der Enten fordert OSPAR von Norwegen einen Aktionsplan

Weil sich die Scheckenten in großen Gruppen auf eng begrenzte Bereiche konzentrieren, sind sie besonders durch Ölverschmutzungen gefährdet. Das gilt gerade auch für den Varanger-fjord, wo sich die Vögel oft in der Nähe der Häfen aufhalten. Das OSPAR-Papier zur Scheckente listet drei Vorkommnisse auf: Ein kleinerer Ölunfall tötete 1973 um die 2500 Enten, darunter viele Scheckenten. Bei einem größeren Leck kamen 1979 in dem Fjord zwischen zehn- und zwanzigtausend Seevögel ums Leben. Der jüngste Unfall 1996 verlief relativ glimpflich und tötete eine Handvoll Scheckenten.

Ein weiteres Problem sind Kollisionen mit Stromkabeln auf dem Weg in den Fjord und zunehmende Störungen durch Meereswindparks. OSPAR fordert von Norwegen einen nationalen Aktionsplan zum Schutz der nordischen Ente. Dabei könnten sich Managementmaßnahmen auf die wenigen Gebiete beschränken, in denen sich die Vögel versammeln. Denkbar seien Schutzgebiete, Sicherheitsvorkehrungen, um das Risiko von Ölunfällen zu senken und ein verbessertes Notfallsystem, heißt es.

Während die Enten aus dem hohen Norden in das weit entfernte nördliche OSPAR-Gebiet einschweben, kommen Lederschildkröten aus tropischen Breiten. Die größte lebende Schildkröte (Panzerlänge bis 2,5 Meter, Gewicht bis 700 Kilo) ist die einzige Meeresschildkröte, die sich regelmäßig in europäischen Gewässern aufhält. Die Reptilien legen ihre Eier an ihren Brutstränden in Französisch Guayana, Guayana und Surinam an der Nordküste Südamerikas ab, an der Westküste Afrikas (Kongo, Gabun) und auch an pazifischen Küsten. Ihre Futterplätze liegen weiter nördlich, darunter auch vor den Küsten Großbritanniens, Irlands und Frankreichs. Da sie nur alle paar Jahre brüten, halten sich auch geschlechtsreife Tiere über lange Zeit in den Nahrungsgründen auf.

Auch Lederschildkröten haben mit Langleinen, Stell- und anderen Netzen zu kämpfen, und sie sind einer zweiten großen Gefahr ausgesetzt: dem Plastikmüll. Die Schildkröten verwechseln im Wasser treibende Plastiktüten und Folienfetzen mit ihrer Lieblingsnahrung, den Quallen. Dieser Irrtum kann tödlich sein, das zeigten Untersuchungen von gestrandeten Schildkröten.

Die OSPAR-Kommission schlägt zum Schutz der Schildkröte vor allem Maßnahmen im Bereich Fischerei und Bestandserhebungen vor. Die EU-Kommission hatte Anfang November eine Initiative gestartet, die die Mitgliedsstaaten verpflichtet, den Verbrauch von Plastiktüten zu reduzieren. Auch Verbote sind angedacht.

Die Bedrohungen der Tierarten und Lebensräume seien vielfältig und reichten von lokalen Einflüssen bis weltweiten Gefahren, betont die OSPAR-Kommission in London. Sie gibt sich dennoch optimistisch: „Die jetzt erreichte Übereinkunft gibt den OSPAR-Mitgliedstaaten die Chance, gemeinsam den Gefahren zu begegnen, um den Status der Arten und Lebensräume zu verbessern.“