Fachhochschul-Absolventen müssen auf dem Weg zur Promotion mehr Hürden überwinden als Bewerber mit Uniabschluss. In Hamburg sollen Universitäten bald zur Kooperation verpflichtet werden.

Marc Hasse und Jana Sepehr

Hamburg Auf der Liste mit Ländern, die Johannes Hinckeldeyn unbedingt mal kennenlernen wollte, kam Schottland nicht vor. Dass der Wirtschaftsingenieur dann zwischen 2010 bis 2012 gleich mehrfach sogar sechs bis zehn Wochen im Norden Großbritanniens verbrachte, hing mit einem akademischen Projekt zusammen: Er wollte seinen Doktor machen.

Dazu war er als Masterabsolvent mit sehr guter Abschlussnote zwar berechtigt, allerdings konnte er den Titel nicht an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg (HAW) erwerben, wo er studiert hatte. Denn die HAW ist eine Fachhochschule – das Promotionsrecht liegt aber bei den Universitäten. Zu Hamburger Universitäten unterhielt seine Fakultät jedoch keine Kontakte, die eine Promotion ermöglicht hätten.

Solche Beziehungen pflegten Professoren der HAW allerdings mit Kollegen in Glasgow. So kam 2009 zwischen der HAW und der University of the West of Scotland (UWS) eine Zusammenarbeit bei Promotionen zustande, von der beide Seiten profitieren: Die Schotten erhalten Förderungen vom Staat, unter anderem abhängig von der Zahl ihrer Doktoranden und ihrem wissenschaftlichen Output – deshalb sind ihnen talentierte Gäste aus dem Ausland willkommen. Die HAW profitiert von der Zusammenarbeit, weil sie ihren Absolventen so zum Doktor verhelfen kann. Diesen vergibt die UWS.

Hinckeldeyn erzählt, dass die UWS im Gegensatz zu mehreren deutschen Universitäten, die er ins Auge gefasst hatte, keine Auflagen mit der Promotion verbunden und ihm einen sehr gut strukturierten Projektplan für seine Promotion präsentiert habe. Ohnehin habe er sich eine „internationale Komponente“ bei seiner Promotion gewünscht. Weniger gut gefiel dem Ingenieur allerdings, dass er in Glasgow zu einer Wirtschaftsschule gehören sollte. Dennoch sagte er schließlich zu. „Es war eine pragmatische Entscheidung“, sagt der 34-Jährige.

Sein Fall ist keine Seltenheit. Für Fachhochschulabsolventen sei die Suche nach einem universitären Partner „nicht immer einfach“, sagt Prof. Zita Schillmöller, Leiterin des Promotionskollegs an der HAW. Obwohl die Hamburger Hochschule mit einer Vielzahl deutscher Universitäten individuelle Kooperationen unterhalte, suche sie bei Promotionen auch den Kontakt zu ausländischen Universitäten. Erst vor Kurzem vereinbarte die HAW eine Zusammenarbeit mit der Universitat Politècnica de València in Spanien.

Künftig könnte es zumindest für Fachhochschulabsolventen in Hamburg nicht mehr nötig sein, für die Promotion ins Ausland zu gehen. Denn mit der Reform des Hamburgischen Hochschulgesetzes will die Wissenschaftsbehörde (BWF) die Universitäten der Hansestadt verpflichten, kooperative Promotionsprogramme mit der HAW einzurichten. Das bedeute allerdings nicht, dass alle FH-Absolventen in allen Fächern promovieren könnten, sagt BWF-Sprecher Alexander von Vogel. Vielmehr beziehe sich die Regelung auf die „Exzellenzbereiche“ der HAW, also ihre forschungsstarken Zweige.

Die Neuregelung sieht auch vor, dass Masterabsolventen der HAW und anderer Fachhochschulen bei der Zulassung zur Promotion in Hamburg nicht mehr benachteiligt werden dürfen. Wenn ein Bewerber auf „strukturelle Defizite“ stoße, also etwa diskriminierende Formulierungen in Promotionsordnungen, könnte er sich künftig mit Verweis auf das Gesetz an die Rechtsaufsicht der Wissenschaftsbehörde wenden, sagt von Vogel.

Mit ihrem Vorstoß wagt sich die Wissenschaftsbehörde auf vermintes Terrain. Seit Langem gibt es hitzige Debatten über das Thema. Viele Fachhochschulen argumentieren, dass ihre Forschungsleistung wachse und sie deshalb das Promotionsrecht erhalten sollten. Viele Universitäten – allen voran die Technischen Universitäten – entgegnen, dass insbesondere die Grundlagenforschung immer noch hauptsächlich bei ihnen stattfinde, wohingegen Fachhochschulen hauptsächlich praxis- und lehrorientiert seien und deshalb kein Promotionsrecht benötigten.

Seit der Einführung der Bachelor- und Masterabschlüsse, durch die Fachhochschul- und Uni-Absolventen formal gleichgestellt werden, ist den Universitäten das Promotions- und Habilitationsrecht geblieben. Dieses Privileg verteidigen Uni-Vertreter vehement.

Vor Kurzem kündigte Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Waltraud Wende (parteilos) an, den Fachhochschulen in ihrem Land das Promotionsrecht einräumen zu wollen. An Fachhochschulen werde genauso geforscht wie an Universitäten. Also sollten sie auch die gleichen Rechte haben, sagte Wende. Allerdings sollen nur forschungsstarke Fachhochschulprofessoren Doktoranden betreuen dürfen. Ende 2014 solle die Novellierung des Hochschulgesetzes abgeschlossen sein.

Reaktionen kamen prompt. Es sei sehr erfreulich, dass die Ministerin „endlich diesen Knoten durchschlagen“ wolle, sagte Michael Stawicki, Präsident der HAW. Er wünsche sich für Hamburg, „dass die entsprechenden Diskussionen aus dem letzten Jahrzehnt wieder aufgenommen werden“.

Er lehnte die Pläne ab, sagte Bernhard Kempen, Präsident des Deutschen Hochschulverbands, der Berufsvertretung der Universitätsprofessoren. Unis und Fachhochschulen hätten „verschiedene, sich ergänzende Aufgaben“; die Verleihung des Promotionsrechts an Fachhochschulen würde zu einer „Verwischung“ würden. Er sei aber für eine intensivere Zusammenarbeit.

Tatsächlich haben sich die Universitäten zuletzt weiter geöffnet: In fast allen Bundesländern gibt es inzwischen sogenannte kooperative Promotionsprogramme, bei denen ein Uni-Professor als Doktorvater fungiert. Bisher ergeben sich Kooperationen allerdings meist über gute Kontakte. So kam 2010 auch die Promotionsschule „C1-REM“ in Hamburg zustande, an der neben Absolventen der Uni Hamburg und der TU Harburg auch ein Nachwuchsforscher der HAW seinen Doktortitel erwarb. „Es war eine glückliche Fügung, dass ich Kollegen von der Universität kannte und es fachliche Überschneidungen gab“, sagt Paul Scherer, Professor für Mikrobiologie an der HAW, der an der Gründung der Schule beteiligt war.

Scherer engagierte sich 2011 auch bei der Gründung einer weiteren Graduiertenschule von HAW und Universität, an der nun Ingenieure und Naturwissenschaftler beider Hochschulen im Bereich der erneuerbaren Energien und intelligenter Stromnetze forschen und darüber promovieren. Das Verhältnis zu den Kollegen von der Universität sei „freundschaftlich“, erzählt Scherer; es sei eine „Partnerschaft auf Augenhöhe“.

Bei solchen freiwilligen Kooperationen soll es in Hamburg nach dem Willen der Wissenschaftsbehörde aber nicht bleiben; mit der Verpflichtung zur Kooperation müssten die Universitäten stärker auf die HAW zugehen. Warum sie der HAW nicht gleich das Promotionsrecht geben will, mag die Behörde nicht erläutern.

Dieter Lenzen, Präsident der Universität Hamburg, kommentiert das Vorhaben mit den Worten, es sei „konsequent und angemessen, Masterabsolventen von Fachhochschulen nicht zu benachteiligen“. Und: „Die standespolitische Unterscheidung zwischen Universitäten und Fachhochschulen wird sich über kurz oder lang ohnehin überleben, da diese Differenz international unbekannt ist.“ Garabed Antranikian, Präsident der TU Harburg teilt mit: „Eine Benachteiligung von FH-Absolventen fand und findet nicht statt.“ Die Einrichtung solcher Promotionsprogramme sehe er „nicht als problematisch an“.

Demnach könnten es Fachhochschulabsolventen künftig leichter haben, in Hamburg zu promovieren. Je nach Fach werden einige aber auch weiterhin im Ausland nach Partnern suchen müssen. Das kann auch Vorteile haben: Johannes Hinckeldeyn erzählt, die Promotion sei überwiegend reibungslos verlaufen; die Betreuung gut gewesen. Er habe in Schottland neue Freunde gewonnen und wertvolle wissenschaftliche Kontakte. Bereits nach kurzer Zeit habe er sich in Glasgow sehr wohl gefühlt, die Schotten seien ein äußerst liebenswertes Völkchen. Für die Abschlussfeier habe er sich sogar einen Kilt gekauft. Der Ph.D., wie der Doktorgrad in vielen englischsprachigen Ländern heißt, sei ihm in Deutschland problemlos anerkannt worden. Die unerwarteten Reisen nach Schottland haben ihm also genützt. Allerdings finanzierte Hinckeldeyn die Flüge und Aufenthalte mit einem Stipendium vom Bundesforschungsministerium. „Ohne diese Förderung“, sagt er, „hätte ich es mir damals womöglich anders überlegt.“