Der Europäische Aal ist bedroht. Zwar kommen derzeit mehr Jungfische aus der Karibik an den Küsten Europas an. Doch Experten erklären, warum dieses Phänomen der Art noch nicht hilft.

Einen vielversprechenden Saisonstart der europäischen Glasaalfischerei meldet der Deutsche Fischerei-Verband. Der sechs bis sieben Zentimeter lange, noch transparente Nachwuchs des Europäischen Aals kommt alljährlich in den Wintermonaten vom Laichgebiet in der Karibik an den Atlantikküsten Europas an, zunächst im Süden, später auch in der Nordsee. Die guten Fänge der spanischen und französischen Kollegen „machen Hoffnung, dass sich der ansteigende Trend aus den Vorjahren fortsetzt“, so der Fischerei-Verband. Wissenschaftler in Hamburg und Kopenhagen sind dagegen weniger optimistisch.

Im vergangenen Jahrhundert sind die Bestände des Europäischen Aals so drastisch geschrumpft, dass er heute von der Weltnaturschutzorganisation IUCN als vom Aussterben bedroht eingestuft wird.

Neben der kommerziellen Fischerei und den Sportanglern setzen Wasserkraftwerke und Schadstoffe dem schlanken Knochenfisch zu. Die Europäische Union hat 2007 ihre Mitglieder verpflichtet, mit einem Aal-Management sicherzustellen, dass ausreichend viele geschlechtsreife Tiere (Blankaale) die europäischen Gewässer verlassen, um sich in der Sargasso-See fortzupflanzen. Als Maßstab dient die geschätzte Aal-Biomasse, die ohne menschlichen Einfluss abwandern würde. Von ihr sollten in jedem Fluss- oder Küstengebiet mindestens 40 Prozent erreicht werden.

„Die Ankunft der Glasaale ist das einzige verlässliche Maß, das wir derzeit für die Bestandsentwicklung haben“, sagt Dr. Reinhold Hanel, Leiter des Thünen-Instituts für Fischerei-Ökologie in Hamburg. Doch der vom Fischerei-Verband genannte „ansteigende Trend“ beginnt auf niedrigem Niveau. Hanel: „Nach dem Tiefstand vor zwei Jahren gab es im vergangenen Winter in der Nordsee einen deutlichen Anstieg von unter einem Prozent auf 1,5 Prozent des Jungfischaufkommens in den 1960er- und 70er-Jahren und von fünf bis zehn Prozent im Rest Europas.“ Und: „ Das allein hat noch keine Aussagekraft für den Bestandstrend bei den erwachsenen Tieren. Um hier eine Entwicklung erkennen zu können, müssen wir noch einige Jahre abwarten.“

Denn der Nachwuchs aus der Karibik hat noch einige Entwicklungsstadien und jede Menge Gefahren zu überstehen, bis nach mehreren Jahren oder Jahrzehnten geschlechtsreife Tiere die lange Reise antreten. Zunächst halten sich die kleinen Glasaale, die mit dem Golfstrom durch den Atlantik reisten, in den Küstengewässern auf – an der spanischen bis irischen Küste erscheinen sie von Oktober bis Dezember, an der Nordseeküste und im Kattegat erst im Februar/März. Insgesamt ist der Europäische Aal vom Schwarzen Meer bis zur Ostsee verbreitet. Da sich alle Tiere in der Sargasso-See fortpflanzen, gibt es europaweit nur einen Bestand.

Die Jungaale bleiben im Brackwasser oder schwimmen die Flüsse hinauf, wenn diese Temperaturen von gut zehn Grad erreicht haben (Steigaale). Hier wie dort verfärben sich allmählich ihre Körper: Bauch und Seiten werden gelblich, der Rücken hell bis tiefbraun (Gelbaale). In dieser Lebensphase, die je nach Region, Lebensraum und Bestandsdichte zwei Jahre bis einige Jahrzehnte dauern kann, fressen sich die weiblichen Fische auf eine Größe von gut einen Meter heran, die Männchen bleiben deutlich kleiner. Jungaale entwickeln sich in nördlicheren Breiten inklusive Deutschland tendenziell eher zu Weibchen, in der Mittelmeerregion eher zu Männchen.

In der letzten Phase werden die Tiere geschlechtsreif und legen große Fettreserven (bis zu 25 Prozent des Körpergewichts) an, um die lange Reise zum Laichgebiet Sargasso-See überstehen zu können. Der Kopf wird spitzer, der Rücken dunkler und die Bauchseite silberglänzend – deshalb der Name Blank- oder Silberaal. Sein weiteres Schicksal nach der Abreise ist größtenteils ungeklärt.

Fest steht: Seit Ende der 1970er-Jahre ist das Glasaal-Aufkommen um 95 Prozent geschrumpft. Dennoch wurde und wird dem Nachwuchs heftig nachgestellt. Bis zum Exportverbot im Jahr 2011 gingen Millionen Glasaale an chinesische Aquakulturen. Inzwischen wird vor allem gefangen, um Besatzfische für das europäische Bestandsmanagement zu gewinnen. Hanel: „Deutschland setzt beim Management hauptsächlich auf Besatz. Andere Länder, etwa Irland, schränken die Fischerei ein.“

Der Nachweis, dass der künstliche Besatz von Binnengewässern mit Jungaalen dem Bestand tatsächlich nachhaltig hilft, sei noch gar nicht erbracht, sagt Hanel: „40 Prozent der Glasaale sterben beim Fang. Die anderen werden in Zuchtanlagen über den Winter gebracht, denn die Freisetzung erfolgt erst im Frühjahr. Leider ist nicht bekannt, was genau in diesen Betrieben passiert. Dadurch, dass Wissenschaftler keinen Zugang haben, können auch Bedenken, dass die Züchter die schnell wachsenden Tiere für die Mast in Aal-Aquakultur behalten und nur die langsam wachsenden, schwächeren Tiere als Besatzaale verkaufen, nicht entkräftet werden.“ Auch die Forderung der Wissenschaftler, Besatzaale – wie in Schweden – verpflichtend zu markieren, wurde bisher nicht erfüllt.

Eine zweite negative Selektion, die den europäischen Aalbestand langfristig schwächen könnte, nennt ein Papier, das der Internationale Rat für Meeresforschung (International Council for the Exploration of the Sea, ICES) mit Sitz in Kopenhagen Mitte November zum Aal veröffentlicht hat: „Das gesteigerte Bewusstsein, dass Aale mit Schadstoffen belastet sein können, führt dazu, dass der Aalfang zum Schutz der Verbraucher teils untersagt wird. Dieser selektive Fischereistopp kann dazu führen, dass der Anteil von belasteten Fischen mit schlechter Rogen-Qualität unter den fortpflanzungsfähigen Tieren steigt.“

Trotz Fischer und Angler, verletzenden Kraftwerksturbinen und Schadstoffbelastung entsprechen die deutschen Gewässer rechnerisch fast den EU-Vorgaben für die Biomasse der abwandernden Aale: Mehr als 2000 Tonnen Blankaale traten im Durchschnitt der Jahre 2008 bis 2010 ihre Reise in die Karibik an. Das steht in der jüngsten Bestandsaufnahme der Bundesländer aus Juni 2012. Damit wären 38 Prozent der geschätzten Abwanderung ohne menschlichen Einfluss erreicht.

Allerdings haben auch diese Zahlen einen Haken. Hanel: „Wir haben kürzlich für die Schwentine in Schleswig-Holstein gezeigt, dass die für die Managementpläne errechnete Abwanderung nicht der Realität entspricht. Statt der erwarteten 40 Prozent – das sind in der Schwentine 3,5 Kilo Aal pro Hektar Flussfläche – hatten nicht einmal zwei Prozent (0,13 kg/ha) tatsächlich das Gewässersystem verlassen.“

Zwei Flussgebiete fallen im Länderbericht zum Aal-Management negativ auf: Die Oder erreicht nur eine Abwanderungsrate von 16 Prozent, die Elbe sogar nur 13 Prozent. Die Aalfischerei an der Elbe und ihren Nebenflüssen hat eine große Bedeutung: Fast die Hälfte der in deutschen Gewässern gefischten und geangelten Aale werden im Flussgebiet Elbe gefangen – 2010 waren es 296 von 647 Tonnen.

Die Aalsterblichkeit durch die Fischerei übersteige andere menschliche Einflüsse wie Lebensraumverluste, Flussverbauungen, Wasserkraftwerke, Schadstoffeinleitungen oder eingeschleppte Krankheiten, betont der ICES in seinem Papier. Er warnt: „Der Bestandsstatus des Aals bleibt kritisch, schnelle Maßnahmen sind dringend nötig. Alle menschlichen Einflüsse auf die Sterblichkeit sollten auf möglichst nahe null reduziert werden.“