Harburger Ingenieure entwickeln ein System, bei dem Flugzeuge auf rollenden Schlitten landen und mit ihnen auch wieder abheben

Hamburg Ein Airbus nähert sich dem Flughafen. Elegant schwebt er der Landebahn entgegen – ohne Fahrwerk. Was im ersten Moment wie ein Unfallszenario erscheint, könnte eine mögliche Zukunft des Fliegens sein. Davon sind zumindest Jan Binnebesel und Till Marquardt überzeugt. Die beiden Absolventen der Technischen Universität Hamburg-Harburg gründeten ihre eigene Firma, um ein Landesystem zu entwickeln, das Flugzeugen ihr Fahrwerk und mit ihm bis zu 23 Tonnen Gewicht (inklusive Hydraulikantrieb) erspart. Ende Dezember schließen die beiden Ingenieure ihre Projektstudie GroLaS (Groundbased Landing System/bodenbasiertes Landesystem) ab. Sie ist Teil des Hamburger Programms Airport 2030 (s. unten).

Die Umwelt- und Kostenziele, die sich die Luftfahrtindustrie gesetzt hat, um möglichst treibstoffsparend zu fliegen, seien allein durch die Weiterentwicklung der herkömmlichen Technik nicht zu erreichen, sagt Jan Binnebesel. Dazu seien zusätzlich radikale neue Technologie notwendig. Ein Ansatz ist und bleibt die Gewichtsersparnis. Binnebesel: „Das Fahrwerk und dessen Hydraulik sind nutzlose Massen während des Reiseflugs. Schlitten mit Fahrwerken, die auf die unterschiedlichen Flugzeugtypen abgestimmt sind und an den Flughäfen bereitstehen, könnten das Flugzeugfahrwerk ersetzen.“

In gut zwei Jahrzehnten könnte nach Auffassung der Ingenieure ein Landevorgang so aussehen: Ein Flugzeug nähert sich der Landebahn. Dort steht ein Fahrwerk mit einem für den Flugzeugtyp passenden Schlitten. Dieser beschleunigt auf die Geschwindigkeit des Fliegers, richtet sich nach dessen Position aus, nimmt die Maschine auf und bremst sie ab. Zusammen rollen sie zur Parkposition und später wieder zur Startbahn. Dort beschleunigen Schlitten und Flugzeug gemeinsam bis zur Abhebegeschwindigkeit, bei der sich das Tandem wieder trennt. (Eine Animation des Landevorgangs sehen Sie oben)

„Die größte technische Herausforderung beim Landen ist die Positionsbestimmung des Flugzeugs“, sagt Binnebesel. Denn der Schlitten müsse sich auf den Flieger einstellen und nicht umgekehrt. „Wir arbeiten mit einem speziellen Satellitensystem, das auf wenige Zentimeter genau arbeitet. Es wird schon heute in ähnlicher Form in Flugzeugen eingesetzt. Jedoch fehlen noch weitere Informationen für die Synchronisation des Landesystems, etwa zur Neigung des Flugzeugs.“ Hier wollen die Ingenieure die Daten des Höhenmessers und Kreiselsystems nutzen, die im Flieger ohnehin erhoben werden. Diese werden an das Landesystem übertragen.

Zur Sicherheit muss die Position aber auch ohne Datenübertragung punktgenau ermittelt werden können. Dies leistet ein Radarmessgerät, das wetterunabhängig arbeitet und ein Lasersystem. Letzteres braucht eine relativ klare Sicht und tritt nur auf kurzer Distanz, in den letzten drei Sekunden vor dem Aufsetzen in Aktion – und damit in der kritischsten Phase der Landung.

Eine zweite Herausforderung ist der hohe Energiebedarf. Bis zu 200 Megawatt (MW) Spitzenleistung brauchen die entlang der Landbahn installierten Elektromagnete, um den Schlitten auf die Geschwindigkeit des landenden Jets zu bringen – das von Siemens entwickelte Antriebssystem ähnelt dem des Transrapids. Zum Vergleich: Die Motoren von Formel-1-Rennwagen haben Leistungen um 0,6 MW (rund 800 PS). Hier setzen Binnebesel und Marquardt (wie auch die Entwickler der Formel-1-Motoren) auf die Energierückführung: Energie, die bei den Bremsvorgängen gewonnen wird, wird unweit der Rollbahn mit Schwungrädern zwischengespeichert.

Sie steht dann für die nächste Beschleunigung des Schlittens beim Landen oder als zusätzlicher Anschub des startenden Flugzeugs zur Verfügung. „Die Schwungradtechnik kann sehr schnell große Energiemengen aufnehmen und wieder abgeben. Deshalb haben wir sie gewählt“, sagt Binnebesel.

Was heute futuristisch wirkt, könnte um 2035 Realität werden, hoffen die beiden Entwickler. Sie sehen die größten Potenziale bei Langstreckenflügen, weil dort das Verhältnis von langen Flugzeiten zu wenigen Stopps besonders günstig ist. Hier sind wiederum Frachtflüge besonders interessant: Sie nutzen oftmals dieselben Routen und Flugzeugtypen. Für besonders frequentierte Airports lohnten sich die hohen Investitionen in ein solches Landesystem am ehesten, so Binnebesel.

Ziel ist es, hohe Marktanteile auf möglichst wenigen Flughäfen zu erreichen. Damit wäre auch die Zahl der Notflughäfen, die auf den Strecken der fahrwerklosen Flieger Schlittensysteme vorhalten müssten, begrenzt (bei Notlandungen außerhalb von Flughäfen fahren schon heutige Langstreckenmaschinen ihre Räder nicht aus – diese könnten auf unebenem Boden unkontrolliert abknicken oder abbrechen und dadurch erst eine Katastrophe auslösen).

Der Weg von der jetzt durchgeführten Vorstudie in die Praxis sei noch lang, betonen die Entwickler. Anhand der häufigsten Fernflugrouten ermittelten sie in einem Szenario für das Jahr 2035 insgesamt 18 besonders geeignete Flughäfen. Würden diese tatsächlich auf GroLaS setzen, so könnte potenziell ein Marktanteil von fast 20 Prozent erreicht werden. Käme dann bis 2040 ein weiteres Dutzend Airports hinzu, könnte bereits 30 Prozent des zivilen Flugverkehrs mit Bodenfahrwerken abgewickelt werden.

Ingenieurskollegen aus Paris haben die Idee dieses und eines zweiten, etwas jüngeren internationalen EU-Projekts zum fahrwerkslosen Fliegen aufgegriffen und ein Markteinführungsprogramm konzipiert. Demnach müssten zunächst genügend Weltflughäfen ihre Absicht erklären, die neuartige Landetechnik einführen zu wollen.

Im nächsten Schritt müssten dann die Fluggesellschaften befragt werden, ob sie bei der sich abzeichnenden Flughafenbeteiligung bereit sind, in fahrwerkslose Flieger zu investieren. Hersteller Airbus hält die Technik offenbar für vielversprechend, wie im Internet unter „Future by Airbus“ zu sehen ist. Letztlich werden externe Einflüsse wie Treibstoffkosten, Verkehrsaufkommen oder die potenziellen zusätzlichen Erlöse durch eine höhere Nutzlast über den Erfolg der revolutionären Technologie entscheiden, so Binnebesel.

Auch wenn die Vorstellung, ohne Fahrwerk abzuheben, etwas unheimlich anmutet: GroLaS könne das Landen in einigen Fällen sogar sicherer machen, sagt der Ingenieur: „Viele Hamburger haben noch die Bilder eines Lufthansa-Airbusses im Kopf, der im März 2008 bei starkem Seitenwind in Fuhlsbüttel landen musste und dabei mit einem Flügel den Boden berührte.“ Dies war der Notwendigkeit geschuldet, dass Flugzeuge unmittelbar vor dem Aufsetzen nicht mehr schräg gegen den Wind, sondern parallel zur Landebahn ausgerichtet sein müssen. Dadurch bieten sie dem Wind mehr Angriffsfläche. Binnebesel: „Unser Schlittensystem ist da flexibler und erlaubt es den Flugzeugen, mit dem sogenannten Windvorhaltewinkel aufzusetzen.“