300 Autoren wollen die Online-Enzyklopädie wieder in Schwung bringen. Die Regeln sollen übersichtlicher werden

Karlsruhe. Schillernde Wikipedia-Szene: Exzellente Artikel, ehrenamtliches Engagement und kreative Gemeinschaft sind die eine Seite. Ständiger Frust, tiefe Kränkungen und persönliche Verletzungen die andere. Ein wichtiges Thema auf der größten Versammlung deutschsprachiger Wikipedia-Autoren, der „WikiCon“ 2013, die jetzt in Karlsruhe stattfand, war denn auch eine positive Gestaltung von Streitkultur.

Wenn das klappt – darin waren sich viele der rund 300 Teilnehmer einig – lassen sich wieder mehr Experten zur Mitarbeit bewegen. Die Qualität der Artikel ist der wichtigste Maßstab für den dauerhaften Erfolg der vor mehr als zwölf Jahren gegründeten Online-Enzyklopädie.

Die Wikipedia schwächelt: Die Zahl der aktiven Bearbeiter von Artikeln ist seit 2007 um ein Drittel zurückgegangen, wie eine Untersuchung des MIT zur englischsprachigen Ausgabe ergab. Auf der „WikiCon“ wies ein Referent nach, dass auch die Qualität zurückgeht, gemessen am eigenen Maßstab der Zahl „exzellenter Artikel“ in der deutschsprachigen Ausgabe: Die meisten wurden schon 2004 erstellt, mehr als 450. In diesem Jahr erhielten bislang nur sechs Beiträge diese besondere Auszeichnung.

Für viele ist das Schreiben eines Wikipedia-Artikels eine Sache, die mit persönlichem Stolz verbunden ist – was anderen Autoren dann nicht unbedingt gefällt. So erzählte die Radsportexpertin Nicola in Karlsruhe, wie sie einem ehemaligen Radrennfahrer in die Quere kam, der ebenfalls Wikipedia-Artikel schrieb. „Der wollte der Platzhirsch in diesem Bereich sein – und noch schlimmer: Ich bin eine Frau. Er hat mich dann permanent beschimpft. Dann wurde er irgendwann gesperrt, weil er auch andere Leute beleidigt hat. Und seitdem taucht er in regelmäßigen Abständen unter neuen Namen wieder auf. Bis er wieder gesperrt wird. Das geht jetzt seit 2009 so.“

Für die positive Gestaltung einer Streitkultur plädierte der Wikipedia-Autor Port(u*o)s: „Wir können nicht sagen: Schluss mit Streit. Streit ist das Treibmittel unserer Redaktionstätigkeit.“ Allerdings sagen auch „WikiCon“-Teilnehmer, dass sie sich aus Angst vor Pöbeleien lieber auf Nischenthemen konzentrieren und sich von politisch umstrittenen Themen fernhalten.

Dies, aber auch Anonymität und Textlastigkeit der Wikipedia stoßen vor allem Frauen ab. „Die Technik ist keine große Hürde für Frauen, sie kommen damit klar“, sagte Silvia Stieneker, die im Frauencomputerzentrum Berlin (FCZB) jeden Monat das Schreiben und Bearbeiten von Wikipedia-Artikeln unterstützt. Es sei aber wichtig, über Frusterlebnisse in der Wikipedia zu sprechen, und das gehe am besten im richtigen Leben.

Jetzt will Stieneker unter der Bezeichnung WikiWomen ein Netzwerk von Wikipedianerinnen aufbauen. Bislang stellen sie nur etwa neun Prozent der Aktiven. An der deutschsprachigen Wikipedia beteiligen sich etwa 6000 Menschen regelmäßig, dem harten Kern der Community gehören etwa 1000 an.

Expertenwissen gepaart mit dem Engagement vieler – das hat die Wikipedia auf Rang sechs der größten internationalen Webseiten gebracht. Sich dort positiv zu präsentieren ist auch für Firmen und Organisationen wichtig. Das führt aber auch dazu, dass es immer wieder zu Sperrungen von Wikipedia-Autoren kommt, die im Auftrag von PR-Agenturen geschönte Beiträge verfassen oder bestehende Artikel ändern. „Paid Editing“, bezahltes Schreiben, wird das in der Szene genannt.

Der Sozialwissenschaftler Dirk Franke, Wikipedia-Aktiver der ersten Stunde, ist nun dabei, mit vielen anderen das Regelwerk für die Autoren so zu ändern, „dass man den PR-Leuten klar sagt, was geht und was nicht, dass Wikipedia-Artikel neutral sein müssen und dass alles belegt sein muss“.

Das verwirrende Dickicht der 7000 Regelseiten soll gelichtet werden. Mit einem klareren Verfahren etwa für Sperrungen von Nutzern soll auch die Streitkultur verbessert werden. Bis zum Ende dieses Jahres soll ein Ergebnis vorliegen.

„Als Vorstand von Wikimedia Deutschland finde ich es toll, dass sich die Community darum kümmert“, sagte Pavel Richter. Er leitet die Geschäfte des Vereins, der hinter der Online-Enzyklopädie steht. Als Wikipedianer sei er auch der Meinung, dass die Regeln „sehr ins Kraut geschossen“ seien. „Kürze und Prägnanz sind für einen Enzyklopädie-Artikel extrem wichtig. Das sollte auch für das Regelwerk gelten“, sagte Richter.